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nichts verstand. Nur so viel preßte der Schulze aus
dem Knaben heraus, daß er Sebastian hieß und aus
St. Job stammte im Lütticher Land. Dies hatten die
Landsknechte ihm immer wieder eingepaukt.
Nun sah sich der Schulze vor die schwere Aufgabe
gestellt, dem verwilderten Knaben eine Heimstatt
zu geben und einen brauchbaren Menschen aus
ihm zu machen. Da er der Ansicht war, der Knabe
habe sich in dem Kellergewölbe absichtlich vor den
Landsknechten versteckt, um ihnen zu entrinnen,
knüpfte er daran die Hoffnung, es stecke wohl doch
ein guter Kern in dem Jungen, eine dunkel emp»
fundene Sehnsucht nach einem geordneten Leben
in Geborgenheit.
Diese Hoffnung hatte den wackeren Schulzen nicht
betrogen. Er sollte das von Tag zu Tag mehr er»
kennen. Der Knabe streifte nach und nach seine
Wildheit ab, jenes ungeschlachte Gebaren, das ihn
von anderen Kindern unterschied, und aus der
rauhen Schale entpuppte sich langsam und merk»
lieh ein gesittetes Menschenkind.
„Er hat gewiß gute Eltern gehabt", sagte der Schulze
öfter als einmal, „ja, mir scheint, er stammt aus
einem vornehmen Hause." Er nannte den Jungen
Sebastian Job und ließ ihn ein ordentliches Hand»
werk erlernen. Sebastian wurde ein Tuchweber wie
weiland der Jakob Fugger, der es in diesem Berufe
zu Reichtum und Ehre gebracht hat. Und zu Reich»
tum und Ehren gelangte auch Sebastian Job aus
dem Lütticher Land, nur auf eine andere Weise als
der Fugger. Bald war er als tüchtiger Meister sei»
nes Fachs bekannt und geschätzt und konnte daran
denken, einen eigenen Hausstand zu gründen. Da
war kaum einer unter den St. Wendeier Bürgern,
der ihm seine Tochter versagt hätte.
Er hatte ein Auge auf ein Mädchen geworfen, das
unter den St. Wendeier Töchtern durch seine Eigen»
art hervorstach. So blond wie sie war keine andere
im Städtchen, und keine hatte so schöne braune
Augen wie sie. Man sonnte sich gerne in ihrem
Glanze, der so viel Heiterkeit ausstrahlte, und man
erwärmte sich an ihrem Lächeln, das so vieles aus»
drückte und so manches verschwieg. Und kaum
eine andere hatte so gute Manieren wie sie. Das
Mädchen war die Tochter des Zunftmeisters, aber
man hätte es leicht für eine Dame von Stand halten
können.
Der Himmel mochte wissen, woher der Sebastian
seinen guten Geschmack bezog. Er war ihm wohl
angeboren wie so manches andere, das einen in
Erstaunen setzte, zum Exempel seine manchmal
großspurige Art und sein herrenmäßiges Auftre»
ten. Dieses Mädchen nun, das ihn mit geheimnis»
vollen Zauberfäden in seinen Bann zog, führte Se=
bastian heim. Die St. Wendeier fanden, daß sie die
Rechte für ihn wäre, denn er sei ja auch so ein Be»
sonderer. Sie meinten dies in gutem Sinne.
Sebastian Job lebte sehr glücklich mit seiner jungen
Frau. Dies sah man an seinen strahlenden Augen,
und das vernahm man aus seinem herzhaften
Lachen. In ihrer ebenso anmutigen wie sanften Art
brachte sie alle Saiten seines Gemütes zum Klin»
gen. Es war, als habe eine zauberhafte Musik ihn
angerührt. Dann fühlte er sich in eine andere Welt
versetzt, in eine Welt, die ihm dennoch vertraut
war. Ihm schien, er habe in ihr gelebt vor langer
langer Zeit, als er noch nicht unter den Landsknech»
ten war.
Langsam tastete sein Geist sich zurück in die Ge»
filde seiner frühen Kindheit. Aus grauen Nebeln
lösten sich spärliche Bilder, ungenau und ver=
schwömmen, tauchten in sein Bewußtsein und ver»
schwanden wieder. Aufs neue beschwor er sie, und
immer wieder war es eine Frau, die in seine Er»
innerung trat, eine junge blonde Frau, die sehr
schön war und so bezaubernd lächeln konnte. Und
dann sah er sich an der Hand der schönen Frau
durch einen weiten Park gehen mit uralten Bäu»
men. Ihr Kleid knisterte beim Schreiten wie schwere
Seide.
Diese Bilder nun beschäftigten Sebastian von Tag
zu Tag mehr. Sie beglückten und verwirrten ihn
zugleich. Es war seltsam: eines Tages überkam
ihn ein unwiderstehliches Verlangen, nach seinem
Geburtsort zu forschen und das Dunkel über seine
früheste Kindheit zu lüften.
Und so reiste er denn ins Lütticher Land, forschte
und fahndete dort. Städte und Dörfer hatte der