Full text: 1961 (0089)

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waren ja überhaupt nicht allzu viele, die in Ott= 
weder beim richtigen Namen genannt wurden. 
Gott, wer könnte auch alle, die sich „gleich 
schreiwe", ohne Spitznamen auseinanderhalten. 
Einfach unmöglich, zumal für den lustigen Alt= 
Ottweiler, der jedem gerne etwas anhängt. Aber 
unser Tiedche war nicht bösartig, wenn man ihn 
bei seinem Spitznamen nannte. Der gemütliche 
Handwerksmeister und humorvolle Spötter konnte 
überhaupt nicht bösartig werden. Erst recht nicht 
dann, wenn er sein Tiedche „iwwer de erdne 
Klowe" gesteckt hatte und lustig in die Welt hin= 
auspaffte. 
Es war kurz vor dem ersten Weltkrieg. Der Kaiser 
war in Metz, und nach den Manövern sollte dort 
eine große Parade steigen. Kein Wunder, wenn 
das Volk mit Kind und Kegel nach Metz eilte, um 
sich das seltene Schauspiel anzusehen. Tiedche 
und eine Handvoll Freunde waren auch dabei. 
Tiedche natürlich nicht ohne sein Tiedche. In Metz 
mischte sich unser Häuflein unter das Volk, wo es 
am dichtesten Spalier bildete. Man war lustig und 
guter Dinge. Aber der Kaiser Peß auf sich warten, 
und unserem Tiedche wurde es langweilig. Er sann 
auf Schabernack und spann mit seinen Freunden 
ränkevolle Pläne. 
Als dann in der Ferne lautes Rufen kündete, daß 
der Kaiser nahe, steckte sich unser Tiedche in aller 
Gemütsruhe seine irdene Pfeife in Brand und 
natürlich sein „Tiedche" über den Pfeifenkopf. 
Darob, wie abgemacht, lautes Hallo bei seinen 
Freunden, die alle Umstehenden auf den Mann mit 
dem Tiedche aufmerksam machten. Froh, eine 
kleine Abwechslung zu haben, guckte alles nach 
unserem Tiedche, guckte und staunte, lachte und 
freute sich und lachte auch noch, als der Kaiser 
vorbeifuhr und keiner ihn sah. 
Erst als es zu spät war, roch man Lunte und machte 
seinem Ärger recht kräftig Luft. Tiedche aber und 
seine Freunde, die sich später noch oft am Stamm= 
tisch über den gelungenen Spaß belustigten, zogen 
es vor, sich auf französisch zu empfehlen. 
Sein letztes Wort 
Schwer lag die Würgefaust des Sensenmannes an 
eines alten Handwerkers Kehle. Totenstille 
herrschte in dem Raum, wo sich voll Anteilnahme 
die Anverwandten um das Sterbebett zusammen* 
gefunden hatten. Nur das Ticken der Wanduhr 
sowie unterdrücktes Flüstern und Schluchzen ver= 
kündeten Leben. 
Da gingen plötzlich durch das offene Fenster von 
draußen die gequetschten Töne einer Drehorgel: 
„Mutter, der Mann mit dem Koks ist da" und 
„Denk Dir, mein Liebchen, was ich die Nacht im 
Traume gesehen"; die alten Schlager von ehedem 
sammelten rasch eine dichte Kinderschar um den 
Drehorgelmann. Da schleicht einer der Verwandten 
auf leisen Sohlen vor Haus, gibt dem alten Leier= 
kastenmann ein Geldstück und bedeutet ihm, 
seine Schlager doch etwas weiter entfert vom 
Sterbehaus zu spielen. Der Drehorgelmann sucht 
das Weite, und wieder herrscht Totenstille. 
Doch der Sterbende hat trotz allem gemerkt, was 
vor sich ging. Mühsam wendet er sich dem Wieder* 
eintretenden zu und fragt mit erlöschender 5tim= 
me: „Haschd'm ebbes gewwe?" — „Jo", war die 
Antwort, „e Grosche!" — „Ich hädd'm ebbes...', 
murmelte der Alte, drehte sich wieder um auf die 
andere Seite — und war tot. 
„Sinn Ihr noch so rickstennich?" 
Der alte Malermeister X. war eines der bekann= 
testen Originale, der Typus eines Alt=Ottweiler 
Bürgers: harmlos, gemütlich und mit einer un= 
bändigen Lust zum Hänseln und Spotten. Keine 
Gelegenheit, die er dazu ungenutzt vorübergehen 
ließ. Daß Witze und Ulk oft der Urwüchsigkeit 
Rechnung trugen und derb ausfielen, oder um es 
mit einem Wort des Volkes zu sagen, „von recht 
guten Eltern stammten", versteht sich von selbst. 
Also kurz und gut — unser Meister hatte bei sei= 
ner handwerklichen Arbeit auch einmal ein ört= 
chen zu tapezieren, wohin bekanntlich selbst ein 
Kaiser zu Fuß gehen muß. Dort sieht er mit stillem 
Schmunzeln eine Riesenrolle geripptes Papier. Als 
die Hausfrau nach seiner Arbeit sehen kommt und 
mit ihm plauscht, stellt er sich dumm und fragt 
wißbegierig nach dem Verwendungszweck. Die 
Dame des Hauses errötet verschämt und wird 
noch verlegener, als der Meister die Hände über 
dem Kopf zusammenschlägt und laut lachend 
meint: „Du liewer Himmel, sinn Ihr noch so 
rickschtennisch! Mir hann vor so ebbes dehaam 
Glasbabbier Nr. 6!"
	        
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