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waren ja überhaupt nicht allzu viele, die in Ott=
weder beim richtigen Namen genannt wurden.
Gott, wer könnte auch alle, die sich „gleich
schreiwe", ohne Spitznamen auseinanderhalten.
Einfach unmöglich, zumal für den lustigen Alt=
Ottweiler, der jedem gerne etwas anhängt. Aber
unser Tiedche war nicht bösartig, wenn man ihn
bei seinem Spitznamen nannte. Der gemütliche
Handwerksmeister und humorvolle Spötter konnte
überhaupt nicht bösartig werden. Erst recht nicht
dann, wenn er sein Tiedche „iwwer de erdne
Klowe" gesteckt hatte und lustig in die Welt hin=
auspaffte.
Es war kurz vor dem ersten Weltkrieg. Der Kaiser
war in Metz, und nach den Manövern sollte dort
eine große Parade steigen. Kein Wunder, wenn
das Volk mit Kind und Kegel nach Metz eilte, um
sich das seltene Schauspiel anzusehen. Tiedche
und eine Handvoll Freunde waren auch dabei.
Tiedche natürlich nicht ohne sein Tiedche. In Metz
mischte sich unser Häuflein unter das Volk, wo es
am dichtesten Spalier bildete. Man war lustig und
guter Dinge. Aber der Kaiser Peß auf sich warten,
und unserem Tiedche wurde es langweilig. Er sann
auf Schabernack und spann mit seinen Freunden
ränkevolle Pläne.
Als dann in der Ferne lautes Rufen kündete, daß
der Kaiser nahe, steckte sich unser Tiedche in aller
Gemütsruhe seine irdene Pfeife in Brand und
natürlich sein „Tiedche" über den Pfeifenkopf.
Darob, wie abgemacht, lautes Hallo bei seinen
Freunden, die alle Umstehenden auf den Mann mit
dem Tiedche aufmerksam machten. Froh, eine
kleine Abwechslung zu haben, guckte alles nach
unserem Tiedche, guckte und staunte, lachte und
freute sich und lachte auch noch, als der Kaiser
vorbeifuhr und keiner ihn sah.
Erst als es zu spät war, roch man Lunte und machte
seinem Ärger recht kräftig Luft. Tiedche aber und
seine Freunde, die sich später noch oft am Stamm=
tisch über den gelungenen Spaß belustigten, zogen
es vor, sich auf französisch zu empfehlen.
Sein letztes Wort
Schwer lag die Würgefaust des Sensenmannes an
eines alten Handwerkers Kehle. Totenstille
herrschte in dem Raum, wo sich voll Anteilnahme
die Anverwandten um das Sterbebett zusammen*
gefunden hatten. Nur das Ticken der Wanduhr
sowie unterdrücktes Flüstern und Schluchzen ver=
kündeten Leben.
Da gingen plötzlich durch das offene Fenster von
draußen die gequetschten Töne einer Drehorgel:
„Mutter, der Mann mit dem Koks ist da" und
„Denk Dir, mein Liebchen, was ich die Nacht im
Traume gesehen"; die alten Schlager von ehedem
sammelten rasch eine dichte Kinderschar um den
Drehorgelmann. Da schleicht einer der Verwandten
auf leisen Sohlen vor Haus, gibt dem alten Leier=
kastenmann ein Geldstück und bedeutet ihm,
seine Schlager doch etwas weiter entfert vom
Sterbehaus zu spielen. Der Drehorgelmann sucht
das Weite, und wieder herrscht Totenstille.
Doch der Sterbende hat trotz allem gemerkt, was
vor sich ging. Mühsam wendet er sich dem Wieder*
eintretenden zu und fragt mit erlöschender 5tim=
me: „Haschd'm ebbes gewwe?" — „Jo", war die
Antwort, „e Grosche!" — „Ich hädd'm ebbes...',
murmelte der Alte, drehte sich wieder um auf die
andere Seite — und war tot.
„Sinn Ihr noch so rickstennich?"
Der alte Malermeister X. war eines der bekann=
testen Originale, der Typus eines Alt=Ottweiler
Bürgers: harmlos, gemütlich und mit einer un=
bändigen Lust zum Hänseln und Spotten. Keine
Gelegenheit, die er dazu ungenutzt vorübergehen
ließ. Daß Witze und Ulk oft der Urwüchsigkeit
Rechnung trugen und derb ausfielen, oder um es
mit einem Wort des Volkes zu sagen, „von recht
guten Eltern stammten", versteht sich von selbst.
Also kurz und gut — unser Meister hatte bei sei=
ner handwerklichen Arbeit auch einmal ein ört=
chen zu tapezieren, wohin bekanntlich selbst ein
Kaiser zu Fuß gehen muß. Dort sieht er mit stillem
Schmunzeln eine Riesenrolle geripptes Papier. Als
die Hausfrau nach seiner Arbeit sehen kommt und
mit ihm plauscht, stellt er sich dumm und fragt
wißbegierig nach dem Verwendungszweck. Die
Dame des Hauses errötet verschämt und wird
noch verlegener, als der Meister die Hände über
dem Kopf zusammenschlägt und laut lachend
meint: „Du liewer Himmel, sinn Ihr noch so
rickschtennisch! Mir hann vor so ebbes dehaam
Glasbabbier Nr. 6!"