145
VON CARL LUDWIG SCHAFFNER
N ichts kennzeichnet den alten Ottweiler Bürger
mehr als seine unbändige Lust zum Hänseln und
zum Spotten. Keine Gelegenheit geht vorüber, wo
von dieser Anlage nicht ausgiebig Gebrauch ge=
macht wird. Hochburgen dieser Hänseleien, aber
auch Fundgruben alter Geschichten sind die un=
zähligen Vereine, die sich im Laufe der Zeit her=
ausgebildet haben und in denen nach dem „offi=
ziellen Daal", wie man so hübsch das Wort „lang=
weilig" umschreibt, im „gemiedliche Daal" stets
solche Volkswitze und Geschichten zur Sprache
kommen. Daß Witze und Ulk meist der Urwüch=
sigkeit Rechnung tragen und derb ausfallen, oder,
um es in der Volkssprache auszudrücken, „vunn
gude Eldere schtamme", versteht sich von selbst.
In den folgenden Kleingeschichten soll vor allem
der Typus des Alt=Ottweilers, das sog. „Original",
dargestellt werden.
Geschichten vom „Hof=Karel"
Der Typus eines lustigen Alt=Ottweilers war bei=
spielsweise der „Hof=Karel": lustig, geweckt und
stets zu Streichen aufgelegt. Nachdem er das
Schlosserhandwerk erlernt hatte, arbeitete er als
Bergmann auf der Grube Maybach. Von ihm er=
zählt man sich folgendes nette Geschichtchen:
Es war um die Zeit, als die Zugklingel als neue
Errungenschaft in den Häusern Ottweilers Eingang
fand, und zwar, wie man sich denken kann, zum
besonderen Ergötzen der halbwüchsigen „Lorme",
die wieder ein geeignetes Instrument zum Schaber=
nack=Spielen hatten. Der „Hof=Karel" entwickelte
unter seinen Altersgenossen ein besonderes Ge=
schick, die Klingelbesitzer zu äffen, zumal um die
Mittagszeit, aber aus sicherem Versteck sich über
das Geschimpfe der Gefoppten zu belustigen.
Eines Tages, als er aus der Schule kam, bemühte
er sich, den vollgepackten Bücherranzen auf dem
Rücken, vergeblich den zu hoch angebrachten Klin=
gelzug des Kaufhauses K. zu erreichen, bis er
schließlich aus Ärger über das Vergebliche seiner
Bemühungen in bittere Tränen ausbrach.
Zufällig ging der damalige Oberpfarrer vorbei,
sah die Betrübnis des „Hof=Karel" und erkundigte
sich teilnehmend, was der Junge denn da wolle.
„Ei schelle, Herr Owwerparre", sagte der kleine
Sünder, worauf der Herr Oberpfarrer gutmütig
die Klingel in Bewegung setzte. Als die Klingel
das Haus alarmierte, erhellte sich das Gesicht des
kleinen „Hof=Karel" zusehends, und freudig drehte
er sich zu seinem erstaunten Helfer in der Not um
mit den Worten: „Danke scheen, Herr Owwer
parre! Alleweile misse mer awwer laafe, awweile
kumme se!" Sprach's und lief dem verdutzten
Oberpfarrer davon.
Als der „Hof=Karel" aus der Schule entlassen, die
Abschiedsfeier zu Ende und das Zeugnis in Hän=
den der jungen Lebenskandidaten war, fragte ihn
sein früherer Lehrer St., bei dem er es immer „gut
stehen" hatte: „Nun, Karl, bei welchem Lehrer
warst du denn am liebsten in der Schule?"
„Och — 's sinn lauder Mängel", war „Hof=Karels"
ungeschminkte Antwort.
„Baas Marian" und die „Parre Gaas“
Die alte „Baas Marian" hatte in Alt=Ottweiler den
Ziegenbock zu betreuen — eine wichtige Aufgabe,
da die Ziegenzucht im alten Ottweiler in Blüte
stand. Nun war der alte Schlossermeister H. „kip=
pich" mit der Alten, hätte aber gerne seine Ziege
zu Baas Marians Bock gebracht. Er sann hin und
her, wie er das machen sollte, ohne daß die Alte
etwas merkte.
Endlich kam ihm ein origineller Einfall. Seinen
jüngsten Lehrjungen schickte er im guten Konfir=
mandenanzug „hinten herum" über die „Tensch"