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sein unsteter Blick verrieten sein Wesen. Daß er
reich war an liegenden Gütern, an Burgen und
Schlössern, kümmerte sie wenig. Sie schenkte ihr
Herz dem deutschen Ritter, den sie oftmals heim*
lieh des Abends im Burggarten traf.
Dem Grafen von Montclair schmeichelte es mäch=
tig, als der Ritter aus Welschland um die Hand
seiner Tochter anhielt. Gerne wollte er sie ihm
zur Gemahlin geben, denn sein Reichtum stach
ihm sehr in die Augen. Verehelichte er sie mit dem
Welschen, würde sie Herrin werden über reiche
Güter und Schlösser, und mit ihrem Ansehen stieg
auch das seine vor den Augen der Welt. An dem
reichen Eidam hätte er auch einen mächtigen Bun=
desgenossen gegen seine zahlreichen Feinde.
So sprach er denn eines Tages zu seiner Tochter:
„Der Ritter aus Welschland wäre mir als Eidam
genehm, mein Kind. Er ist reich und von ritter*
lichem Wesen. Ich wüßte keinen, der dir mehr
bieten könnte an Ehre und Reichtum als er,
und ich stehe nicht an, dich ihm zur Frau zu geben.
Aber nun wurde es offenbar, daß seine Tochter
den Ritter aus Deutschland liebte. „Ihn nehme
ich zum Manne und keinen anderen", sagte sie
trotzig und sehr bestimmt.
Der Graf verlor seine Fassung. „So, den Ritter aus
Deutschland liebst du! Doch merke dir, nie und
nimmer gebe ich es zu, daß du dich dem hergelau*
fenen Ritter zu eigen gibst, diesem Habenichts,
der nichts besitzt als die Rüstung auf dem Leib
und ein bißchen Verstand im Kopf. Doch davon
kannst du nicht leben."
Da sagte das Mädchen: „Scheltet nicht auf meinen
Ritter, Herr Vater. Wenn er auch arm ist an Geld
und Gut, so ist er doch reich an Tugend und Kraft,
und ich wüßte keinen, der so edel und tapfer ist
wie er. Mit meinem Ritter kann sich der Galan
aus Frankreich nicht messen. Unter seinem sam*
tenen Wams verbirgt sich ein unstetes Herz, und
sein höfisches Gebaren ist nur Täuschung. Oh —
ich habe ihm ins Herz gesehen. Lieber sterben als
ihn zum Manne nehmen."
Als der Graf sah, daß er auf gütliche Weise nichts
ausrichten konnte, sagte er mit unverhohlenem
Spott: „Du nennst den Deutschen den tapfersten
aller Ritter. Gut, so soll er seine Tapferkeit vor
meinen Augen beweisen. Nur derjenige der bei=
den Ritter soll dein Gemahl werden, der mit Ge=
fahr seines eigenen Lebens einen Wagen im
schnellsten Lauf auf dem Breitenstein wenden
kann."
Das Mädchen packte Angst und Entsetzen, denn
es erschien ihm unmöglich, daß ein Ritter, und sei
es der tapferste unter der Sonne, es vermöchte, die
schwere Probe ohne Gefahr zu bestehen. Der Graf
aber frohlockte im stillen, denn er wußte, daß der
Welsche ein ebenso guter Reiter wie sicherer
Wagenlenker war. Es war ihm gewiß, daß dieser
forsche Draufgänger den Sieg davontragen würde.
Dann war der andere, der Ritter Habenichts, ge*
demütigt und mußte mit langem Gesicht und lee*
ren Händen abziehen.
Auf der Burg Montclair wurde nun eifrig für das
große Ereignis gerüstet. Und dann kam der Tag,
an dem sich das Schicksal der Grafentochter ent*
scheiden sollte. Sie saß mit bleichem Gesicht an
der Seite des Grafen auf der Tribüne, umgeben
von vielen Edlen und Großen aus den Gauen an
Mosel und Saar und zahllosen Rittern aus Welsch*
land. Auch viel Volk war gekommen von nah und
fern. Fast konnte das Gelände die Neugierigen,
die es bevölkerten, nicht fassen. Sie bestaunten die
glänzende Ritterschaft auf den Tribünen, all die
vielen wehenden Wimpel und Fähnlein, die von
großen Namen erzählten, von Macht und von
Reichtum.
Jetzt verkündeten drei Trompetenstöße den Be*
ginn des Rennens. Dem Welschen war durch das Los
die erste Fahrt zugefallen. Hoch aufgerichtet stand
er im Prunkwagen, den zwei feurige Rappen zogen.
Einen siegesgewissen Blick warf er zur Grafen*
tochter hinauf, die in gespannter Erwartung auf
ihrem Platze saß. Dann begann der Ritter die
Fahrt. Geschickt lenkte er die willigen Rosse, dann
aber beim Wenden auf dem schmalen Felsen
schlug plötzlich der Wagen um, und der Ritter
stürzte mit voller Wucht auf das harte Gestein.
Das Gesicht des Grafen von Montclair hatte sich
verfärbt. Zerstört war seine stolze Hoffnung, zu=
nichte gemacht waren seine Pläne, die er um den
reichen Eidam heimlich gesponnen. Er spürte, wie
sein Herz klopfte, und ein großes Unbehagen über*
kam ihn. War es das Gewissen, das sich meldete,
diese heimliche Stimme im Busen, die ihm vor*
warf, daß es frevelhaft sei, mit Menschenleben zu
spielen? Es hätte nicht viel gefehlt, und der Welsche
wäre ein Kind des Todes gewesen. Auch der Deut*
sehe, der jetzt antreten mußte, trieb ein Spiel mit
dem Tode.
Der Graf wollte sich erheben, wollte dem Frevel
ein Ende gebieten. Aber seine Glieder gehorchten
ihm nicht. Sie waren wie gelähmt, und mit einem