Full text: 1961 (0089)

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seiner Regierung bei 150 000 Gulden aus der 
Landkasse zuviel genommen, ohne was beide 
Städte als gezwungenen freiwilligen Beitrag ge= 
zahlt haben, um Ruhe zu bekommen. Denn so= 
lange der Präsident Hammerer das Ruder führte, 
ist kein Monat vergangen, daß nicht neue An= 
forderungen geschahen, und konnte man niemals 
in Ruhe sein, solange dieser Bösewicht unter dem 
Fürsten regierte, bis endlich 1790 den Sommer die 
Bürger wild wurden und dem Fürsten nach Neun= 
kirchen sagen ließen durch den Georg Röchling in 
Saarbrücken, er solle den Präsidenten Hammerer 
abschaffen, oder sie würfen ihn in die Saar oder 
hängten den Spitzbuben an seine Haustür in Bre= 
bach, wo er damals wohnte." 
Dieser kleine Bastille=Sturm war also der Anfang 
der Revolutionsunruhen in Saarbrücken. Noch 
haben in diesen Weihnachstagen des Jahres 1791 
die Revolutionstruppen die Stadt nicht erreicht, 
aber die Bürger diskutierten die Ereignisse in 
Frankreich, und auch der junge Koellner berichtet 
darüber aus dem Elsaß nach Hause. 
Mit ernster Sorge sieht der Vater Koellner eine 
schreckliche Zeit herannahen und denkt offenbar 
auch an einen gewaltsamen Tod, da er ja sein 
ganzes Leben im Fürstendienst stand. Der Sohn 
schrieb in seiner jugendlichen Art, daß es doch 
wohl gleich sei, wie wir sterben, einmal käme doch 
jeder an die Reihe. Dem Vater behagt diese 
Redensart durchaus nicht. Er meint, daß es einen 
Unterschied bedeute, ob man friedlich von dieser 
Welt scheide oder nicht. Bei einem gewaltsamen 
Lebensende könne von einem friedlichen Ende 
nicht geredet werden. Jedenfalls macht der Vater 
seinem Sohn klar, daß es sich nicht für einen 
Theologen schicke, in solcher Weise vom Sterben 
zu reden. Überhaupt ist der Vater der Auffassung, 
daß es nicht so toll hergehen wird, wie man glaubt. 
Je größer die Gefahr, um so näher sei die Rettung, 
je größer die Not, desto näher die Hilfe. 
„In Saarbrücken ist", so berichtet Koellner, „die 
Stimmung nicht anders wie im Elsaß. Das revolu» 
tionslüsterne Volk gleicht lauter Eisenfressern. Die 
Demokraten gebaren sich wie Löwen, die im Rachen 
einen Aristokraten schon dreiviertel verschluckt ha= 
ben. In jeder Faust hat er noch zwei, die er gerade 
erdrücken will, mit dem blanken Säbel schreit er 
Rache und ist willens, alles zu erwürgen, aber 
noch hat der Totengräber nichts zu tun. Man hat 
aus Frankreich vernommen, daß die Geistlichen, 
die im Lande bleiben wollen, der Nation den Treu= 
eid schwören müssen. 
Infolge der Eidesfrage kam es zu einem Streit 
darüber, ob die Priester, die den Eid geleistet 
haben, noch als rechtsgläubige Gottesdiener an= 
Zusehen seien oder nicht. Viele ernste Katholiken 
betrachteten die kirchlichen Handlungen der ver= 
eidigten Priester als gottlose Verrichtungen. Die 
Nichtgeschworenen schimpfen, schwören Rache und 
speien Geifer aus gegen die Geschworenen und die 
Nationalversammlung." 
„Somit", so schließt Koellner, „ist die Suppe ver= 
salzen, und wer die Suppe löffeln muß, wird eine 
große Hitze verspüren. Es wäre vielleicht gut, 
wenn das schwelende Feuer zum Lodern kommt, 
damit sich die Hitze auch wieder legen kann. Nach= 
richten schwirren durch die Stadt, daß die franzö= 
sischen Emigranten in Brüssel, Koblenz und 
Worms großen Lärm schlagen und der geflüchtete 
Adel sich in diesen unter den Prinzen versammeln 
will, um den Revolutionsheeren entgegenzutreten. 
ln Saarlouis rechnet man schon damit, daß diese 
Flüchtlinge eindringen wollen. Die Leute in Saar= 
louis haben erklärt, daß sie die Prinzen auf= 
nehmen wollen, wenn sie in Freundschaft kom= 
men. Im anderen Falle würden die Saarlouiser 
ihnen auch die Zähne zeigen. Man hört, daß die 
Emigranten die Absicht hätten, sich in die Schweiz 
zu begeben." 
Der alte Koellner spricht in seinem Brief auch von 
dem geistigen Wandel der Zeit. Die Menschen 
seien durch die Ereignisse gereizt und hätten an 
Liebenswürdigkeit verloren, die Freundschaft sei 
selten geworden, und es mangele an wahrem Wis= 
sen. Die Unterhaltung beschränke sich auf Ro= 
mane und Moralbiicher, die aus dem Gehirn eines 
gelehrten Professors entsprungen sind und zur 
Weisheit verhelfen sollten. Das Wesentliche gehe 
dabei verloren. Unter den Gelehrten mache sich 
eine Verachtung gegenüber dem unwissenden 
Volke breit, und sie täten so, als ob das Volk, das 
nichts vom „Gesetz" weiß, verflucht sei. Der 
Apostel Paulus wird von Koellner in Anspruch 
genommen, um diese Situation verständlich zu 
machen: „Die Klugen ertragen die Narren, weil 
sie klug sind. Das arme Volk muß nun solchen 
klugen Narren folgen." Der Umgang der Men= 
sehen untereinander sei außerordentlich verflacht. 
Wenn man sich begegne, frage man nach dem 
Wetter und fange dann gleich an, über Abwesende 
zu räsonieren und zu schimpfen. Wenn man sich 
dagegen ordentlich unterhalten wolle, bekomme 
man keine Antwort. 
So hat sich Koellner ganz in seinen Familienkreis 
zurückgezogen, in seinem Hause von der Umwelt 
abgeschlossen. Es fehlt ihm nicht an einem an= 
genehmen Zeitvertreib, da er sich das Buch der 
Offenbarung vorgenommen hat, um es zu „anato= 
mieren", d. h. auszulegen. Jedenfalls ist es im 
Kreis der Familien in jener Zeit auch ohne Radio 
und Kino oder Fernsehen nicht langweilig. Die
	        
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