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Waisenhauses zukommen sollten, weil die Bürger
der Stadt den sehnlichsten Wunsch hegten, ihre
Kinder in eine höhere Schule schicken zu können.
In seinem Wohnzimmer richtete zu diesem Zweck
der Inspektor des Waisenhauses eine Lateinschule
ein. Damit war in der Stadt Homburg der Anfang
eines höheren Schulwesens gemacht. Die Schule
hatte jedoch keinen langen Bestand, da die Re»
volution die Weiterführung im Jahre 1794 unmög»
lieh machte.
Viele der Waisenkinder wurden als Lehrlinge und
Hilfskräfte in der Manufaktur angestellt. Der Her=
zog ließ für die in der Fabrik beschäftigten Per»
sonen ein Reglement erstellen, das für die Ent»
wicklung des Arbeiterwesens von besonderer Be=
deutung ist. Es stellt ein Dokument der sozialen
Verhältnisse unter der Arbeiterschaft zu Beginn
des Industriezeitalters dar. Das Zunftwesen einer
selbständigen Handwerkerschaft diente zum Vor=
bild für die Ordnung der Arbeitsverhältnisse im
staatlichen Monopolbetrieb. Der Direktor und die
meisten Gesellen in der Anfangszeit kamen von
außerhalb und hatten daher keinen Besitz in der
Stadt. So wurden sie vom Frondienst befreit und
mußten eine Aufnahmesteuer bezahlen. Es wurde
eine Handwerkslade aufgestellt, in die die Gesel=
len alle vier Wochen etliche Kreuzer zu zahlen
hatten. Neuankommende mußten den Betrag von
20 Kreuzer entrichten und ihre Lehrbriefe sowie
Pässe in der Lade verwahren lassen, bis sie wie»
der auf Wanderschaft gingen. Alle drei Monate
mußte aus dem Kreis der Gesellen ein Altgesell
gewählt werden, der imstande sein mußte, zu
schreiben und zu rechnen. Die Kinder des Waisen=
hauses waren in der Fabriklehre vom Lehrgeld
befreit und konnten bereits vor Beendigung der
Lehre eine Vergütung, entsprechend ihrer geleiste»
ten Arbeit, erhalten.
In der Ordnung der Manufaktur war auch an die
Versorgung der kranken Arbeiter gedacht. Den
kranken Gesellen mußte wöchentlich aus der Lade
ein Gulden gereicht werden. Die jüngeren Gesel=
len hatten sich jeden Morgen nach dem Zustand
des erkrankten Kameraden zu erkundigen und
nötigenfalls für den Besuch eines Arztes zu sor=
gen. In schlimmen Fällen konnte dem Kranken
eine Wärterin gewährt werden, die aus der Lade
wöchentlich 15 bis 24 Kreuzer erhielt. Die Kranken
wurden nach Möglichkeit im Hause untergebracht,
wo auch für die Waisenkinder eine Krankenstube
vorhanden war. Unter Umständen konnten auch
erkrankte Gesellen in das städtische Spital ver»
bracht werden. Im Sterbefall wurden fünf Gulden
zur Bestreitung der Begräbniskosten gewährt. Die
Gesellen waren nicht nur verpflichtet den toten
Mitarbeiter auf den Friedhof zu begleiten, son=
dein die gebetenen Gesellen mußten auch den Sarg
kostenlos zum Grabe tragen.
In unserer Heimat denkt heute niemand mehr
daran, daß die Homburger Waisenhausmanufak»
tur Tuche fabrizierte, die nicht nur im Herzogtum,
sondern auch in den anderen Ländern begehrt waren.
In den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts
gab es noch in Siegen eine Fabrik, die sogenannten
„Homburger Siamois" (im Volksmund „Schamaß")
fabrizierte. Als „Siamois de Hombourg" war er
auch in Paris und anderen französischen Städten
bestens bekannt. Allerdings sind von dem ganzen
Unternehmen heute nur noch einige Druckstöcke,
die man zum Druck der Stoffe verwendete, er=
halten.
Der ganzen Stiftung war nur eine kurze Blüte
beschert. Beim Herannahen der Revolutions»
truppen verließen die Herzogliche Familie und der
größte Teil des Hofstaates das Land. Da die
Landesregierung zu existieren aufgehört hatte,
entfielen die Einnahmen aus den verordneten Ab»
gaben des Landes, und die Zinsen wurden nicht
mehr gezahlt. Im Jahre 1794 brandschatzte die
Ausleerungskommisison der Sansculottes die An»
stalt. Dabei verlor das Waisenhaus 3 575 und die
Fabrik 6 991 Gulden. Die Kinder konnten nicht
mehr versorgt, geschweige denn neue aufgenom»
men werden. Nach weiteren vier Jahren war die
Anstalt fast völlig geräumt, und ein Unterpräfekt
von Zweibrücken schildert den Zustand der An»
stalt im Jahre 1799 wie folgt: „Der Mangel an
Lebensmittel ist so drückend, daß man genötigt
ist, die armen Waisen beinahe nackt einhergehen
zu lassen, ihre Kleider sind zerrissen, ihre Hem»
den in Fetzen, dieselben werden mehrere Wochen
lang getragen, ohne gewaschen zu werden, aus
Mangel an anderen zum Wechseln."
Nach den Befreiungskriegen wurde das Herzogtum
Zweibrücken nicht wieder errichtet, sondern dem
Königreich Bayern einverleibt. Die verbliebenen
Mittel reichten nicht mehr aus, die Anstalt ins
Leben zu rufen. Zwar ging der Betrieb der Manu»
faktur noch weiter, aber nicht mehr unter Staat»
licher, sondern unter privater Regie. Dadurch war
es nicht mehr möglich, den Betrieb zum Nutzen des
Waisenhauses zu kontrollieren und den Zweck der
Stiftung zu erfüllen. Eine ordnungsgemäße Ver»
Pachtung des Unternehmens an die Homburger
Familie Zöller erfolgte erst am 1. März 1822. Die
Aufrechterhaltung des Unternehmens war eine
dringende Notwendigkeit, da immerhin noch
20 Weber und 100 Spinner darin ihr Brot ver»
dienten. Die Gebäude und Wirtschaftsräume zur
Unterbringung der Waisen wurden dagegen am
12. September 1823 an die Stadt Homburg ver»
kauft. Die Stadt glaubte, in dem neuerworbenen