Full text: 1960 (0088)

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Ach, die Stachelbeeren! 
VON ROLAND BET5CH 
ch möchte Seiten füllen zum Lobe all dieser 
köstlichen Vorsommerbeeren. Ich tue es nicht, 
nein, ich erzähle nur ein kleines Erlebnis, das ich 
als Lausbub hatte und das mir immer ins Ge= 
dächtnis kommt, wenn ich die mancherlei Beeren 
sehe, die der frühe Sommer uns beschert. Mich 
hätten sie beinahe einmal das Leben gekostet, die 
Beerenfrüchte. Nämlich die Stachelbeeren. Ich 
glaube, es gibt keinen Lausejungen auf dieser 
Welt, der warten kann, bis die Stachelbeeren reif 
sind. Das dauert ihm viel zu lange; er verzehrt 
sie grün, hart, unreif. Sie schmecken auch grün 
und unreif viel besser. Sind Lausejungen da, die 
Widerspruch erheben? Welch ein prachtvolles 
Bauchweh kriegt man von unreifen Stachelbeeren, 
habe ich recht oder nicht? Lausejungen aller Zo= 
nen, allwo die Stachelbeere wächst, schart euch um 
mich, denn ich will erzählen, wie ich infolge über= 
reichlichen Genusses dieser grünen Gottesfrüchte 
beinah ersoffen wäre. Ersoffen, nicht anders. Im 
Rhein sogar. 
Damals war ich bei Großmutter in Speyer zu Be= 
such. Ich war im Sommer immer mit meinem Bru= 
der bei Großmutter zu Besuch. Und jedesmal bei 
der Abreise sagte sie: „Ich will die Bettelmanns= 
kränk kriegen, wenn ich euch Lausebengels noch 
einmal in Ferien nehme!" Im nächsten Jahr waren 
wir wieder da. Pünktlich wie die Stechmücken. 
Na ja, Nebensache. Auf jeden Fall hockten wir 
wieder einmal hinter den Beerensträuchern und 
füllten uns kannibalisch die Bäuche mit unreifen 
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Stachelbeeren. Dann gingen wir zum Schwimmen 
in das Rheinbad. Jeder, der einmal in Speyer im 
Schwimmbad gebadet hat, weiß, daß man dort in 
den freien Rhein hinaus kann. Das taten wir zwei 
auch. 
Mir nun erging es so: ich machte einen sogenann= 
ten Hechtsprung in den freien Rhein hinaus und 
merkte, als ich genügend weit draußen war, daß 
ich ganz furchtbare, kolikartige Leibschmerzen 
bekam. Die Schmerzen steigerten sich so, daß ich 
ganz steif wurde. Ich brüllte um Hilfe, versank, 
wurde von der Strömung weggerissen, kam wieder 
hoch, machte gewaltsame Anstrengungen und er= 
wischt den letzten Haken am Fangbalken der Ba= 
deanstalt. Von dort aus wurde ich gerettet. Ich 
war eine Kleinigkeit ohnmächtig vor lauter Schmer» 
zen. 
Meine Großmutter wurde benachrichtigt, eine 
Droschke mußte bestellt werden. Die Großmutter 
kam in der Droschke. Kinder, dieses Aufsehen! 
Ich war Mittelpunkt, kolikbehaftete Sensation. In 
der Droschke, zweispännig, fuhren wir nach Hause. 
Die Großmutter schimpfte fürchterlich, sie war 
ganz außer sich. „Ich will die Bettelmannskränk 
kriegen", sagte sie — und so weiter. Und dann 
sagte sie noch etwas durchaus Entsetzliches: „Das 
Geld für die Droschke muß die Vater bezahlen!" 
Diese Drohung fuhr mir durch sämtliches Kolik= 
gedärm. „Was", rief ich und bäumte mich auf, 
„die Hälfte mußt du bezahlen, du bist ja auch mit= 
gefahren!" 
Ich wurde ins warme Bett gestopft, und dann 
wurde der Arzt gerufen. Im warmen Bett zersto= 
ben die Schmerzen in alle Winde. Als der Arzt 
kam, machte ich auf der Matratze gerade einen 
Kopfstand mit anschließender Kreuzbiegung. 
„Dem Lümmel fehlt nichts mehr", sagte er, „es 
kostet drei Mark". 
Dann ging er wieder. Den Taler steckte er ein. — 
Ich wollte nur noch sagen: es dauert auch gar zu 
lange, bis die Stachelbeeren reif werden. Weiß der 
Teufel, woran das liegt. Heute bin ich, obwohl 
selbst schon lange im Stadion der Vollreife, noch 
manchmal versucht, sie vom Strauch zu pflücken, 
die grünen, harten, unreifen Kolikbeeren. 
„Warte doch, bis sie reif sind!" sagt dann meine 
Frau, die in solchen Sachen vernünftig ist. 
Ich kann und mag aber nicht warten. Lieber will 
ich Bauchweh kriegen!
	        
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