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Ach, die Stachelbeeren!
VON ROLAND BET5CH
ch möchte Seiten füllen zum Lobe all dieser
köstlichen Vorsommerbeeren. Ich tue es nicht,
nein, ich erzähle nur ein kleines Erlebnis, das ich
als Lausbub hatte und das mir immer ins Ge=
dächtnis kommt, wenn ich die mancherlei Beeren
sehe, die der frühe Sommer uns beschert. Mich
hätten sie beinahe einmal das Leben gekostet, die
Beerenfrüchte. Nämlich die Stachelbeeren. Ich
glaube, es gibt keinen Lausejungen auf dieser
Welt, der warten kann, bis die Stachelbeeren reif
sind. Das dauert ihm viel zu lange; er verzehrt
sie grün, hart, unreif. Sie schmecken auch grün
und unreif viel besser. Sind Lausejungen da, die
Widerspruch erheben? Welch ein prachtvolles
Bauchweh kriegt man von unreifen Stachelbeeren,
habe ich recht oder nicht? Lausejungen aller Zo=
nen, allwo die Stachelbeere wächst, schart euch um
mich, denn ich will erzählen, wie ich infolge über=
reichlichen Genusses dieser grünen Gottesfrüchte
beinah ersoffen wäre. Ersoffen, nicht anders. Im
Rhein sogar.
Damals war ich bei Großmutter in Speyer zu Be=
such. Ich war im Sommer immer mit meinem Bru=
der bei Großmutter zu Besuch. Und jedesmal bei
der Abreise sagte sie: „Ich will die Bettelmanns=
kränk kriegen, wenn ich euch Lausebengels noch
einmal in Ferien nehme!" Im nächsten Jahr waren
wir wieder da. Pünktlich wie die Stechmücken.
Na ja, Nebensache. Auf jeden Fall hockten wir
wieder einmal hinter den Beerensträuchern und
füllten uns kannibalisch die Bäuche mit unreifen
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Stachelbeeren. Dann gingen wir zum Schwimmen
in das Rheinbad. Jeder, der einmal in Speyer im
Schwimmbad gebadet hat, weiß, daß man dort in
den freien Rhein hinaus kann. Das taten wir zwei
auch.
Mir nun erging es so: ich machte einen sogenann=
ten Hechtsprung in den freien Rhein hinaus und
merkte, als ich genügend weit draußen war, daß
ich ganz furchtbare, kolikartige Leibschmerzen
bekam. Die Schmerzen steigerten sich so, daß ich
ganz steif wurde. Ich brüllte um Hilfe, versank,
wurde von der Strömung weggerissen, kam wieder
hoch, machte gewaltsame Anstrengungen und er=
wischt den letzten Haken am Fangbalken der Ba=
deanstalt. Von dort aus wurde ich gerettet. Ich
war eine Kleinigkeit ohnmächtig vor lauter Schmer»
zen.
Meine Großmutter wurde benachrichtigt, eine
Droschke mußte bestellt werden. Die Großmutter
kam in der Droschke. Kinder, dieses Aufsehen!
Ich war Mittelpunkt, kolikbehaftete Sensation. In
der Droschke, zweispännig, fuhren wir nach Hause.
Die Großmutter schimpfte fürchterlich, sie war
ganz außer sich. „Ich will die Bettelmannskränk
kriegen", sagte sie — und so weiter. Und dann
sagte sie noch etwas durchaus Entsetzliches: „Das
Geld für die Droschke muß die Vater bezahlen!"
Diese Drohung fuhr mir durch sämtliches Kolik=
gedärm. „Was", rief ich und bäumte mich auf,
„die Hälfte mußt du bezahlen, du bist ja auch mit=
gefahren!"
Ich wurde ins warme Bett gestopft, und dann
wurde der Arzt gerufen. Im warmen Bett zersto=
ben die Schmerzen in alle Winde. Als der Arzt
kam, machte ich auf der Matratze gerade einen
Kopfstand mit anschließender Kreuzbiegung.
„Dem Lümmel fehlt nichts mehr", sagte er, „es
kostet drei Mark".
Dann ging er wieder. Den Taler steckte er ein. —
Ich wollte nur noch sagen: es dauert auch gar zu
lange, bis die Stachelbeeren reif werden. Weiß der
Teufel, woran das liegt. Heute bin ich, obwohl
selbst schon lange im Stadion der Vollreife, noch
manchmal versucht, sie vom Strauch zu pflücken,
die grünen, harten, unreifen Kolikbeeren.
„Warte doch, bis sie reif sind!" sagt dann meine
Frau, die in solchen Sachen vernünftig ist.
Ich kann und mag aber nicht warten. Lieber will
ich Bauchweh kriegen!