Full text: 1960 (0088)

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VON ULLA RONGE 
Ursel und Steffi 
umme Gans, du!" Die drei Jungen rennen 
johlend davon. In fünf Meter Abstand bleiben sie 
abwartend stehen. In ihrer Haltung spürt sie die 
bitterste Verhöhnung. 
Von Michael und Hanno ist sie es gewohnt. Sie 
haben keine Schwester und spielen nur ihre derben 
Jungenspiele. Nächstes Jahr kommen sie alle vier 
in die Schule. Dann werden sie sich „bessern", hat 
Mama gesagt. Aber derjenige, der „dumme Gans" 
gerufen hat, ist ausgerechnet Steffi, ihr bester und 
einziger Freund. 
Immer, wenn er mit anderen Jungen zusammen ist, 
kommt es über ihn, wird er so ein Rüpel. Dann 
ist sie Luft für ihn, glatte, durchsichtige Luft. Seine 
Augen bekommen diesen fremden trotzigen Aus= 
druck. Zutiefst kann er sie kränken. 
Vergessen sind dann die schönen friedlichen Spiele 
in ihrem Kinderzimmer. Im umgekippten Spieltisch 
segeln sie auf hoher See, Vater, Mutter und alle 
Puppen und der Teddybär als Kinder. Steffi ist 
dann gut und lieb mit seinen blonden Locken und 
blauen Augen, fast wie ein Mädchen. Hinterher 
knacken sie in der Küche Nüsse, seine Lieblings= 
speise. Sie gibt sie ihm gern. — Als Belohnung für 
sein braves Spiel sozusagen. 
„Was willst du eigentlich von mir? Was hab ich 
dir getan?" Sie hält die Arme am Rücken ver= 
schränkt. Die Finger krallen sich erbost ineinander. 
Der Mund verzieht sich langsam zu einem Flunsch. 
In den großen dunklen Augen steht das Wasser. 
Die langen braunen Wimpern gehen rhythmisch 
wie ein Scheibenwischer. Vergeblich . . . 
Die erste Träne perlt langsam und gewichtig die 
Backe herunter. Sollte sie. Er kann ruhig sagen, 
daß sie wütend auf ihn ist, ungeheuer wütend! 
Seine Mundwinkel bekommen einen harten, spöt= 
tischen Zug. Nun verachtet er mich, denkt sie. Mir 
gleich. Ihre Augen werden kreisrund. Sie stampft 
mit dem Fuß auf. Die Jungen kichern. 
Michel und Hanno werden gerufen. Nun ist Steffi 
allein. Er kommt neugierig einige Schritte näher. 
Sie sieht so spaßig aus in ihrer Wut, denkt er. Er 
vertieft seine kleinen Jungenfäuste in die Hosen= 
taschen. Er wippt in den Fußspitzen und zieht den 
Oberkörper nach hinten. 5ie kennt diese Bewegung 
an ihm genau. — Immer, wenn er sich so groß 
fühlt. — Jetzt wird er gleich lachen, über mich 
lachen, denkt sie grimmig. 
Und schon bricht es aus ihm heraus, ein unbändi= 
ges, fröhliches Jungenlachen. 
Ihre Tränen haben freie Fahrt.. . 
Steffi fingert in den Hosentaschen. Natürlich kein 
Schnupftuch. Zum Teufel mit allen Schnupftüchern 
der Welt! Wenn man sie braucht, sind sie nicht da. 
Sie nimmt ihren Schürzenzipfel und wischt in den 
Eine kleine Jungenhand legt sich fest auf ihre Schulter: 
„Reib’ nicht so, du kriegst ja rote Augen.” 
Augen herum. Eine kleine Jungenhand legt sich 
fest auf ihre Schulter: „Reib' nicht so. Du kriegst 
ja rote Augen." 
Plötzlich flüstert er ganz nah an ihrem kleinen 
rundlichen Ohr: „Magst du Schweizerkäse? Wir 
haben welchen in der Speisekammer." 
Die dummen Tränen sind sofort versiegt. Genie= 
ßerisch reibt sie sich das Bäuchlein: „Hm, SchweU 
zerkäse, meine Lieblingsspeise." 
Alles Leid und aller Kummer sind verflogen. Hand 
in Hand gehen sie hinauf zu seiner Mutter.
	        
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