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VON ALFRED PETTO
kleiner Junge fuhr ich mit der Bahn durch das Sulzbachtal. Es ist das Tal mit den meisten Kohlen=
gruben. Ein Grubendorf reiht sich an das andere. Es war Nacht, ich stand am Fenster und blickte hinaus,
ich sah die Dörfer mit ihren kleinen einstöckigen Häusern, in denen die Bergleute wohnen, ein Haus
neben dem anderen, umsäumt von Gärten, Feldern, Wiesen. Da und dort in den Fenstern brannte noch
Licht. Ich sah die Berghalden, die sich wie riesige Spielkegel mitten aus den Wäldern gegen den Himmel
erhoben.
Der Zug fuhr unter einer Brücke hindurch, und über die Brücke bewegte sich eine Kolonne von Männern.
Sie hatten große Hüte auf, jeder trug einen Stock, auf den er sich beim Gehen leicht stützte. Der Gang
der Männer hatte etwas Müdes, Abgespanntes, Stumpfes. Sie hielten sich ein wenig vorgeneigt, wie
Menschen, die schwer gearbeitet haben und nun nach Hause wanken. Sie blickten nicht auf, als der Zug
unter ihnen durchrollte, wahrscheinlich redeten sie auch nichts miteinander. Und so verschwand der
lange, müde, trappelnde Zug der Männer im Dunkel der Nacht. Mein Vater sagte mir, das seien Berg=
leute, sie kämen von der Mittagsschicht, und jetzt gingen sie durch den Wald nach Hause.
Später sah ich diese Züge und Kolonnen noch öfters. Manche Männer waren noch schwarz im Gesicht,
und sie wanderten zu zweit und zu dritt über die Waldpfade heim, die schwarzen Wege, wie man sie
nennt und die unsere Wälder kreuz und quer durchschlängeln.
Heute begegnet man solchen Trupps nicht mehr, heute fahren die Bergleute mit ihren Motorrädern
oder in schweren, brummenden Omnibussen über die Landstraßen heim, in die entlegensten Dörfer.
Und es gibt auch die Schlafhäuser nicht mehr in der Vielzahl wie früher, jene Häuser, in denen die Berg=
leute aus den Dörfern des Hochwaldes oder des Westrichs während der Woche blieben. Vieles hat sich
geändert, der Lebensstil hat sich gewandelt, und die Erzählungen der alten Grubenpensionäre von frü=
heren Zeiten, von der bitteren Armut, dem Kinderreichtum, von Streiks und Aussperrungen, von der
Rückständigkeit der technischen Anlagen und von vielem anderen kommen den Jungen fast unglaub=
würdig vor.
Aber immer noch, in drei Schichten Tag und Nacht, fahren Tausende von Männern ein, um die Kohle los=
zugraben und heraufzubringen. Etwa sechzigtausend Mann verdienen ihr tägliches Brot an der Kohle,
auf den Schachtanlagen in unserem Land, deren Fördertürme die Wälder und Dörfer überragen.
Wer von diesem Land an der Saar berichten will, muß den Anfang machen mit der Kohle und den
Bergleuten.
Unter steten Gefahren entringt der Mensch den Eingeweiden der Erde den Schatz, der seit Millionen
Jahren darin verborgen liegt und ohne den die Welt heute noch immer nicht leben könnte. Das Stein=
kohlenbecken ist der nordöstliche Teil des Karbonlagers, das etwa von dem Dorf Frankenholz an der
heutigen pfälzischen Grenze nach Südwesten bis nach Lothringen hinein verläuft, wo es unter jüngeren
geologischen Schichten untertaucht. Die ältesten und tiefsten Flöze bergen die sogenannte Fettkohle, die
mittleren flözärmeren die Flammkohle, und die jüngsten die Magerkohle. Etwa vier Milliarden Tonnen
Kohlen, so wurde errechnet, lagern schätzungsweise noch im Schoß der Erde, oberhalb einer Teufe von
zwölfhundert Metern, und gefördert werden im Jahr mehr als fünfzehn Millionen Tonnen. Das heißt,
mehr als zweihundert Jahre lang könnte man noch Kohlen fördern und nicht ganz einem Viertel aller
Berufstätigen im Land das tägliche Brot geben mit ihren Angehörigen, wenn man fortfährt, die Kohle
m der Weise zu fördern, wie es heute geschieht. Von unseren Äckern aber könnten wir nur fünfzig
Tage leben im Jahr.
Wieviele Menschen haben schon von der Kohle gelebt und leben heute noch! Denn der Bergbau hier
ist an die fünfhundert Jahre alt. Zu Beginn, im ausgehenden Mittelalter, schürfte jeder noch regellos und
auf eigene Faust. Sie wühlten die Kohle aus dem Ausgehenden in sogenannten Stollen, jeder wie und
wo es ihm gefiel. Dann griffen die Herren des Landes ein, die Fürsten und Grafen, denen kraft alter