Full text: 1959 (0087)

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Eine Erzählung aus dem Saarland / Von Elisabeth Kirch 
ichael befand sich im dritten Lehrjahr und 
gehörte zu jenen Burschen, die, mit höl 
zernen Schaufeln bewaffnet, in der Werkstatt 
herumliefen, den Meistern und Gehilfen die fer 
tigen, immer glühenden Gegenstände abnahmen 
und zum Brennofen trugen. Es war kein Kinder 
spiel, zwischen all den Feuern zu arbeiten, die 
aus den Ziegelöfen schlugen und eine höllische 
Hitze verbreiteten. 
Schnelligkeit war hier die Hauptsache, und an 
Schnelligkeit wetteiferten die kleinen Burschen, 
all die vielen Lehrlinge, die in der Glasfabrik zu 
Wadgassen in die Kunst der Glasmacherei ein 
geführt wurden. Hier schaffte auch Michaels 
Brudier Franz, der ihm um ein Dutzend Jahre 
voraus, bereits Geselle war und es gewiß auch 
zum Meister bringen würde, denn die Eignung 
zum Glasmacherberuf brachten die Rottmanns 
schon mit zur Welt, ebenso wie die Neigung zu 
diesem uralten angesehenen Handwerk, und auch 
Michael war mit diesem alten Erbe ausgestattet. 
Seine Mutter hätte ihren Jüngsten zwar lieber 
in einem anderen Berufe gesehen, in dem künf 
tigen Amt eines geistlichen Herrn etwa, da der 
Glasmacherberuf mancherlei Gefahren in sich 
barg, und ihr Mann ihnen schon frühzeitig zum 
Opfer gefallen war. 
Aber die heiße Trockenheit in dem Saal hatte 
es bis heute nicht vermocht, dem Michael irgend 
etwas anzuhaben. Er war das geworden, was ihm 
von Geburt vorbestimmt war, ein hochgewachse 
ner Bursche mit geschmeidigen Gliedern, einem 
hübschen offenen Gesicht, daraus unter der 
hohen Stirn zwei helle, große Augen leuchteten. 
Die höllische Glut des Brennofens hatten ihre 
Schärfe und ihren Glanz nicht zu mindern ver 
mocht. Daß er zu alledem auch allerlei gute 
Geistesgaben besaß, hatten seine Lehrer in der 
Schule schon früh erkannt, auch seine Zeugnisse 
besagten es, und seine Mutter berief sich immer 
wieder gerne darauf, wenn sie ihm irgendeinen 
anderen Beruf schmackhaft machen wollte. Aber 
Michael nahm keinen Anstand daran, ein Glas 
bläser zu werden. Er fühlte das alte Erbe seiner 
böhmischen Vorfahren in sich, die ihr Wissen und 
Können in diesen Winkel an der Saar gebracht 
hatten. 
Hatte er nicht in einem gelehrten Buche gele 
sen, daß in alter Zeit in Venezia die Glasmacher 
in großem Ansehen standen und die Glasmeister 
als Künstler einen hohen Rang einnahmen, und 
ihre Töchter in adelige Familien hineinheirateben? 
Und ein Glasmeister wollte er ja auch werden, , 
und manchmal träumte er sich in noch höhere 
Ränge hinein. 
Vorläufig freilich mußte er noch als Lehrling 
mit der Stange herumsausen und die Gehilfen 
und Meister bedienen. Es war zwar eine stumpf 
sinnige Arbeit und erforderte wenig Verstand, 
nur Schnelligkeit und Geschicklichkeit, damit es 
keine Zusammenstöße mit Kameraden gab. Denn 
das bedeutete meist nicht nur Scherben, sondern 
oft auch Blut und Wunden und gar noch Strafe 
dazu. 
Und seltsam: in der letzten Zeit war es öfter 
als einmal vorgekommen, daß Adam, der Sohn 
eines Meisters, ihm mit der Schaufel gefährlich 
nahe gekommen war, aber Michael war ihm je 
desmal geschickt ausgewichen. War es Unge 
schicklichkeit von dem Jungen, war es Übermut, 
oder war es böse Absicht? Jedenfalls war Adam 
ein hinterlistiges Bürschlein. Michael traute ihm 
nicht so recht und hielt sich, so gut es ging, von 
ihm zurück, was jener ihm als Hochmut auslegte 
und sich gelegentlich durch kleine Nadelstiche 
rächte. Aber Michael war eine gut geartete Na 
tur, und die Arbeit füllte all sein Denken aus, 
so daß ihm keine Zeit blieb, über Adam nachzu 
sinnen. Nur eben im Gefühl saß ihm jenes unbe 
stimmte Etwas, das ihn vor Adam warnte. Jener 
war der Ältere. Wenn er einmal Gehilfe war, 
blieb Michael immer noch Lehrling. Daß Michael 
freilich so bald schon in den Rang eines Gehil 
fen aufrücken würde, hatte er nicht für möglich 
gehalten. Aber der Anlaß dazu war traurig ge 
nug: Sein großer Bruder Franz, der beste und 
tüchtigste unter den Gehilfen, verunglückte durch 
die Ungeschicklichkeit eines neuen Lehrlings, der 
ihm beim Stolpern die Schaufel mit der glühen 
den Glasmasse ins Gesicht stieß. 
Der Meister Hildebrand, seit je ein Freund 
der Rottmanns, hatte kein Bedenken, nun den 
Michael vorübergehend an den Platz zu stellen, 
den bislang der Franz eingenommen hatte. Außer 
Adam nahm keiner Anstoß daran, aber Michael, 
in der Sorge um den Bruder, merkte es nicht, 
daß Adam gegen ihn hetzte und stänkerte. Jetzt 
durfte Michael zum ersten Male schöpferische Ar 
beit tun, durfte mit Hilfe seines Atems und sei 
ner geschickten Hände Ballons aufblasen und sie 
in bimförmige Formen umwandeln, die er dann
	        
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