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Eine Erzählung aus dem Saarland / Von Elisabeth Kirch
ichael befand sich im dritten Lehrjahr und
gehörte zu jenen Burschen, die, mit höl
zernen Schaufeln bewaffnet, in der Werkstatt
herumliefen, den Meistern und Gehilfen die fer
tigen, immer glühenden Gegenstände abnahmen
und zum Brennofen trugen. Es war kein Kinder
spiel, zwischen all den Feuern zu arbeiten, die
aus den Ziegelöfen schlugen und eine höllische
Hitze verbreiteten.
Schnelligkeit war hier die Hauptsache, und an
Schnelligkeit wetteiferten die kleinen Burschen,
all die vielen Lehrlinge, die in der Glasfabrik zu
Wadgassen in die Kunst der Glasmacherei ein
geführt wurden. Hier schaffte auch Michaels
Brudier Franz, der ihm um ein Dutzend Jahre
voraus, bereits Geselle war und es gewiß auch
zum Meister bringen würde, denn die Eignung
zum Glasmacherberuf brachten die Rottmanns
schon mit zur Welt, ebenso wie die Neigung zu
diesem uralten angesehenen Handwerk, und auch
Michael war mit diesem alten Erbe ausgestattet.
Seine Mutter hätte ihren Jüngsten zwar lieber
in einem anderen Berufe gesehen, in dem künf
tigen Amt eines geistlichen Herrn etwa, da der
Glasmacherberuf mancherlei Gefahren in sich
barg, und ihr Mann ihnen schon frühzeitig zum
Opfer gefallen war.
Aber die heiße Trockenheit in dem Saal hatte
es bis heute nicht vermocht, dem Michael irgend
etwas anzuhaben. Er war das geworden, was ihm
von Geburt vorbestimmt war, ein hochgewachse
ner Bursche mit geschmeidigen Gliedern, einem
hübschen offenen Gesicht, daraus unter der
hohen Stirn zwei helle, große Augen leuchteten.
Die höllische Glut des Brennofens hatten ihre
Schärfe und ihren Glanz nicht zu mindern ver
mocht. Daß er zu alledem auch allerlei gute
Geistesgaben besaß, hatten seine Lehrer in der
Schule schon früh erkannt, auch seine Zeugnisse
besagten es, und seine Mutter berief sich immer
wieder gerne darauf, wenn sie ihm irgendeinen
anderen Beruf schmackhaft machen wollte. Aber
Michael nahm keinen Anstand daran, ein Glas
bläser zu werden. Er fühlte das alte Erbe seiner
böhmischen Vorfahren in sich, die ihr Wissen und
Können in diesen Winkel an der Saar gebracht
hatten.
Hatte er nicht in einem gelehrten Buche gele
sen, daß in alter Zeit in Venezia die Glasmacher
in großem Ansehen standen und die Glasmeister
als Künstler einen hohen Rang einnahmen, und
ihre Töchter in adelige Familien hineinheirateben?
Und ein Glasmeister wollte er ja auch werden, ,
und manchmal träumte er sich in noch höhere
Ränge hinein.
Vorläufig freilich mußte er noch als Lehrling
mit der Stange herumsausen und die Gehilfen
und Meister bedienen. Es war zwar eine stumpf
sinnige Arbeit und erforderte wenig Verstand,
nur Schnelligkeit und Geschicklichkeit, damit es
keine Zusammenstöße mit Kameraden gab. Denn
das bedeutete meist nicht nur Scherben, sondern
oft auch Blut und Wunden und gar noch Strafe
dazu.
Und seltsam: in der letzten Zeit war es öfter
als einmal vorgekommen, daß Adam, der Sohn
eines Meisters, ihm mit der Schaufel gefährlich
nahe gekommen war, aber Michael war ihm je
desmal geschickt ausgewichen. War es Unge
schicklichkeit von dem Jungen, war es Übermut,
oder war es böse Absicht? Jedenfalls war Adam
ein hinterlistiges Bürschlein. Michael traute ihm
nicht so recht und hielt sich, so gut es ging, von
ihm zurück, was jener ihm als Hochmut auslegte
und sich gelegentlich durch kleine Nadelstiche
rächte. Aber Michael war eine gut geartete Na
tur, und die Arbeit füllte all sein Denken aus,
so daß ihm keine Zeit blieb, über Adam nachzu
sinnen. Nur eben im Gefühl saß ihm jenes unbe
stimmte Etwas, das ihn vor Adam warnte. Jener
war der Ältere. Wenn er einmal Gehilfe war,
blieb Michael immer noch Lehrling. Daß Michael
freilich so bald schon in den Rang eines Gehil
fen aufrücken würde, hatte er nicht für möglich
gehalten. Aber der Anlaß dazu war traurig ge
nug: Sein großer Bruder Franz, der beste und
tüchtigste unter den Gehilfen, verunglückte durch
die Ungeschicklichkeit eines neuen Lehrlings, der
ihm beim Stolpern die Schaufel mit der glühen
den Glasmasse ins Gesicht stieß.
Der Meister Hildebrand, seit je ein Freund
der Rottmanns, hatte kein Bedenken, nun den
Michael vorübergehend an den Platz zu stellen,
den bislang der Franz eingenommen hatte. Außer
Adam nahm keiner Anstoß daran, aber Michael,
in der Sorge um den Bruder, merkte es nicht,
daß Adam gegen ihn hetzte und stänkerte. Jetzt
durfte Michael zum ersten Male schöpferische Ar
beit tun, durfte mit Hilfe seines Atems und sei
ner geschickten Hände Ballons aufblasen und sie
in bimförmige Formen umwandeln, die er dann