Full text: 1958 (0086)

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sät. Doch die Mutter achtete nicht darauf. Un 
verdrossen schritt sie bergan, obwohl ihre Füße 
sie so schmerzten, daß sie fast nicht weiter 
konnte. Aber der Gedanke an ihr Kind trieb sie 
weiter vorwärts. Endlich erreichte sie den Gip 
fel, aber das Kraut sah sie nicht. Drei Tage lang 
suchte sie es unter den andern Kräutern, und 
endlich, als es schon dunkel wurde, entdeckte 
sie es. Schnell nahm sie eine Handvoll der zart 
grünen Blätter und eilte, ohne zu zögern, den 
selben Weg, den sie gekommen, zurück. 
Zu Hause angekommen, kochte sie, obwohl sie 
todmüde war, noch den Tee für ihr Kind und 
reichte ihm das Getränk. Dann aber fiel sie in 
einen tiefen, tiefen Schlaf und wurde erst wach, 
als die Sonne schon hoch am Himmel stand und 
eine helle Kinderstimme rief: „Zieh mich an, 
Mutter, ich will aufstehen, ich habe Hunger!" 
Von dem Tage an war das Kind wieder fröh 
lich und gesund und niemand war glücklicher 
als die Eltern. Des Vaters Herz aber hatte sich in 
der sorgenschweren Zeit gewandelt. Es war hin 
fort offen für die Nöte anderer Menschen, er gab 
den andern, was er konnte. Wo er aber ein 
hungerndes Kind sah, sorgte er für es, bis es 
groß und stark war und selbst sein Brot ver 
dienen konnte. 
Von Werner Jakobi 
Vor vielen Jahren war der Südwind einmal 
aus Neugier ins weiße Schloß der Schneekönigin 
geschlüpft. Er fegte durch alle Räume und be 
staunte die kristallene, glitzernde Pracht. Ge 
rade als er im Eiskeller war, schlug hinter ihm 
die Tür ins Schloß und fror augenblicklich so 
fest zu, daß es für ihn unmöglich war, sie wie 
der aufzudrücken. — „Ach,“ stöhnte er, „warum 
mußte ich auch so neugierig sein? Was wird jetzt 
König Lenz ohne mich anfangen?" 
Da hörte es der Südwind vor der Eiskeller 
tür laut und schallend lachen: „Haha! Hihi! 
König Lenz wird dich niemals mehr sehen! Aus 
ist es mit seiner Herrschaft auf Erden! Hahaha! 
Eiskönigin und König Frost werden jetzt sehr 
froh sein, wenn ich ihnen erzähle, daß du, Süd 
wind, auf ewig gefangen sein wirst. Auf Wieder 
sehen! Aber erst, wenn du eiskalt bist! Hohoho!" 
Dann sauste es und brauste es noch einmal — 
und schließlich wurde es im Eisschloß ganz still. 
Dem Südwind lief es eiskalt den Rücken hin 
unter: Das war der Nordwind, sein größter 
Feind, und was der sagte, das machte er mei 
stens wahr. — Der Nordwind aber fuhr höhnisch 
lachend auf die Erde und brachte seinem weißen 
Königspaar die Neuigkeit. Ach, wie freuten sich 
die beiden, denn nun konnten sie ewig ihre kal 
ten, weißen Teppiche auf der Erde ausbreiten. 
Sie brauchten keine Angst mehr vor König Lenz 
zu haben, denn hatte er den Südwind nicht, so 
war er machtlos. 
Ein kleiner Vorbote des Frühlings aber, der 
trotz Schnee und Eis aus der Erde herausspitzte, 
hatte die Neuigkeit mit angehört. Es war das 
Schneeglöckchen. 
„Da muß ich unbedingt helfen", sagte es. 
Schnell verkündete es im Blumenland unter der 
Erde: „Unser Freund, der Südwind ist im Eis 
schloß gefangen! Wir müssen ihm helfen!" 
Und nun begann es unter der Erde lebendig 
zu werden. Tausend Blumen flüsterten sich die 
Nachricht zu. Und so hörte es auch König Lenz 
in seinem Blumenschloß. Schnell nahm er sei 
nen Zauberstab und einen Schlüsselbund von 
Himmelsschlüsselchen und eilte zum Schloß der 
Schneekönigin, Dort machte er sich unsichtbar 
und suchte seinen Südwind. Nach langem Su 
chen hörte er ihn hinter der festverschlossenen 
Eiskellertür stöhnen. Schnell nahm König Lenz 
ein Himmelsschlüsselchen und eins . . . zwei ... 
drei ... war der Südwind wieder frei! Nun aber 
beeilte er sich, auf die Erde zu kommen, denn 
dort wartete man schon lange auf ihn. 
Da, eines Morgens wurde es der Schnee 
königin und dem König Frost sehr warm in 
ihrem Pelz und sie fingen an zu schwitzen. Als 
sie sich erstaunt ansahen, rief ihnen der Nord 
wind zu: „Der Südwind! Rettet euch!" Schnell 
packten sie ihre weißen Gewänder und ihren 
Eismalkasten ein und liefen dem Nordwind nach. 
Es war auch wirklich höchste Zeit. Die Früh 
lingssonne brannte ihnen schon auf den Rücken 
— hinter ihnen läuteten tausend Schneeglöck 
chen, Stare, Schwalben, Lerchen, Amseln und 
Finken machten fröhliche Musik, denn die Erde 
war endlich von Schnee und Eis befreit. Lachend, 
mit einem Strauß am Hut, hielt König Lenz sei 
nen Einzug. Freudig begrüßten ihn die Men- 
sc ^ en: „Es tönen die Lieder, 
der Frühling kehrt wieder!" 
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