VII
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Gefühlen zu sprechen und sie mit Schweigen
oder Spott zu beantworten pflegte.
Als ich die Bohrer wechselte, meinte er mit
heiserer Stimme: „Der Berg drückt!“
„Laß ihn drücken!“ rief ich prahlerisch zurück.
„Die Bohrlöcher wird er mir wohl stehen lassen?“
„Wir sind allein hier in der Abteilung.“
Ein plötzliches, ahnungsvolles Grauen durch
flog mich. Dennoch wollte ich den Hebel wieder
herumwerfen, da rief die sich überschlagende
Stimme des Alten: „Ich hab’ es doch gewußt!
Achtung! der Berg kommtl Lauf —I“
Ich sehe den Abendstern im Gestänge des
Schachtgerüstes plötzlich aufleuchten, er blitzte
und flog auseinander, und wo er gefunkelt hatte
türmten sich weiße Wolken, dahinter die Sonne
glänzte, erlosch und grollend in Finsternis versank,
Als wir in der klaren Frühe zur Waschkaue gingen,
sah die Welt anders aus . . .
alles in Gedankenschnelle. Und der Tod sprang
aus zwielichtemden Schatten aufheulend über
midi her, nein, der Berg war es, der niederwuch
tete und mir das Licht aus der Hand sdilug, daß
ich im Dunkeln saß, niedergeworfen und einge
klemmt, erstickt im aufwühlenden Staub, erwürgt
vom Nebel, hilflos — adi, armseliger Grubentod !
„Hier! Mein Licht!“ schrie eine Stimme. Ich riß
mich los, griff atemlos zu, ädizend schob der Berg.
Es grollte drohend in der Tiefe. Ich sah von dem
Alten nur die weißen Augen in dem schwarzen
Gesicht. Warum sprang er nicht zurück? Nein, er
tat es nicht! Fiel ihm nichtein! „Lauf—!“ keuchte
er und war doch dem rettenden Durchgang näher
als ich.
Idi fiel. Der Alte stand unter einem Eisenträger,
der ihn erdrücken mußte und hielt ihn mit ge
beugter Sdiulter. Er winkte: Lauf! Raus hier!
Aber ich w'ußte es ohnehin: Stürzte der Träger,
war idi verloren!
Hui—! ging ein Wetterzug durdi den langen
Berg. Heinrich Brademann stand stöhnend da,
und ein böses Berggespenst hockte auf seiner
mageren Schulter und drückte zum Erbarmen —■
ich stolperte, lief und war gerettet! Da sprang auch
der Alte zur Seite, und gleich darauf knallte der
Brudi polternd auf die Sohle. Nicht eine Minute
länger hätte er ihn gehalten. Ich fing ihn auf.
Stumm saßen wir lange am Stapelschacht und
hörten den sich langsam verziehenden Stimmen
der Erde zu, wie sie durdi Schächte und Gesenke
dahinfuhren und sich in der Ferne verzogen.
Heinrich Brademanns trübe Lampe hielt ich dabei
in der Hand.
Als wir in der klaren Frühe über die Hänge
bank zur Waschkaue gingen, sah die Welt anders
aus. Auch Brademann war wieder ein wortkarges,
krummes Männchen wie alle Tage und ging neben
mir her, ärgerlich, daß ihm sein Licht verloren
gegangen war. Aber ich hielt ihn doch fest. Als
er stehen blieb und die Morgensonne ihm in sein
stoppeliges Nachtgesidit schien und hinter ihm die
weite, junge Welt wunderbar im ersten Früh
licht erstrahlte, mußte ich ihm schon sagen: „Die
Lampe, Heinrich, geht natürlich auf meine Rech
nung, wenn man sie dir vom Lohn abziehen
sollte.“
„Hm, kannst ja audi nichts dafür.“
„Du hast dein Leben für mich eingesetzt. Ein
mal muß idi es sagen!“ Sieh an, der alte Brade
mann: Er reckte sidi auf und ließ den Feuermann
Nickel erst Vorbeigehen, dann bat er: „Du, ver
sprich mir das!“
„Was, Brademann?“
„Rede nidit darüber! Idi will nicht, daß so
etwas an das öffentliche Ohr kommt, verstehst
du? Meine Kinder sind so weit heran, daß sie
sich selber helfen können. Du bist ein junger Kerl.
Für didi habe idi als Ortsältester die Verantwor
tung.“ Und etwas leiser: „Und nicht nur vor der
Bergbehörde, sondern vor unserem Herrgott!“
Ich stieß ihn an: „Bin ja selber ein armer Hund,
Heinrich, aber wie soll idi dir danken? Unter uns?“
„Du bringst heute nachmittag zwei Zigarren mit
und hilfst mir beim Häufeln der Kartoffeln. Tust
du das?“
„Worauf du didi verlassen kannst!“
„Und mach kein Geschwätz vor Gott und der
Welt! Es sdiickt sidi nicht!“
Damit ging er, und idi folgte ihm nachdenklidi
und dodi meines jungen Lebens froh wie ein
junger Vogel im Sonnenglanz.
Heinridi Brademann ist seit langem tot. Oft
habe ich an ihn denken müssen, wenn ein Ge
spräch um die letzten Dinge suchend kreiste und
dazu geschwiegen. Und ich hoffe, er wird es mir
verzeihen, diesen „kleinen Zwischenfall“ dodi
noch an das „öffentlidie Ohr“ gebracht zu haben,
ich hoffe es, lieber, alter Kamerad von Schacht I!