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Von Walter Vollmer
Der Verfasser, der hier Selbsterlebtes schildert, war jahrelang selbst Bergmann im Ruhr
gebiet, ehe er den Bohrhammer mit der Feder vertauschte. Er ist inzwischen ein bekannter
Dichter geworden, der 1955 mit dem West fiilischen Dichterpreis der Regierung ausgezeichnet
wurde.
D ie Welt hat viele Gesichter! Wenn man jung
ist und vor Daseinslust heute singen möchte,
morgen eher sterben und ganz und gar ver
gehen, weil die Schwermut der Jugend wie ein
dahineilendes, schwarzes Segel die Tage und Ge
danken überschattet, dann ist es verständlich, daß
man griesgrämig werden kann, wenn die Stunde
zur Abfahrt gekommen ist.
An einem Sommerabend war es, als aus einem
herrlichen Tag mit weichen süßen Winden ein
zärtlich schöner Abend geworden war und ich mit
Heinrich Brademann hoch am Geländer der Hänge
bank saß. Alt und gelassen hockte Bradeinann
neben mir. Ihn schien das Glitzern der Bahnhofs
lichter, das Rauschen der fernen abendlichen Stadt
und das Rufen der Männer auf der Bergehalde
nicht zu rühren. Still, wie tot, saß er da, blickte
mit erloschenem Altmännergesicht vor sich hin und
wartete auf das Schachtsignal. Mir aber strömte
aus der dröhnenden Welt der Gesang des Lebens
zu, und ich war von tiefer Unruhe erfüllt. Sie gab
mir große Worte ein vom Sinn dieser Unruhe in
den brausenden Städten, und ich weiß heute, daß
es Fragen waren nach Sinn und Ordnung in die
ser vielgesichtigen, gefährlichen und schönen Welt.
Heinrich Brademann dachte nicht daran, sie mir
zu beantworten, und doch hat er es auf seine
Weise noch in der gleichen Nacht getan, daß ich
es his heute nicht vergessen habe.
„Lärme nicht so groß“, sagte er schließlich.
„Wenn du erst einmal sechs Kinder großgezogen
hast und in Ehren alt geworden bist, ist alles
anders. Auch Gott!“
„Wieso? Ein anderer?“
„Junge Leute schwätzen manchmal, wo sie
schweigen sollten. Sie nehmen sich selber ernst,
aber nicht so sehr, wonach sie fragen.“
„Sieh an: Du denkst wohl nur an deine kranke
Ziege, was?“
„Auch das ist Christenpflicht, mein Junge.“
Ich begann zu singen und mit der Lampe auf
der ßlechplatte zu trommeln; der Alte spürte
meinen Trotz, lächelte und meinte, wobei er mit
dem Daumen die Spitze seiner Hacke prüfte:
„Aber frage nur, ich habe es auch getan.“
„Verspotten lasse ich mich nicht“, rief ich, und
da donnerte ein Schnellzug unter der Eisenbahn
brücke her, sein Dampfgewölk umschlang uns wie
ein gewaltiger Berg warmer, fließender Seide, und
das Schachtsignal jankte zur Einfahrt.
Ach, wieviele Gesichter hat doch die Welt!
dachte ich und wäre an diesem Airend lieber in
einer großen, schönen Stadt gewesen als auf der
Hängebank von Schacht I! Die Körbe rasselten int
Schacht. Hoch über dem mächtigen Gerüst funkelte
ein Stern im Gestänge. Mein Kamerad Brademann
sah ihn gamicht.
Wir arbeiteten im engen, heißen Ort. Drückende
Hitze, Dunkelheit und der harte Stein unter Flöz
„Sonnenschein“ hatten mich eine sommerliche
Traumwelt längst vergessen lassen. Hier sprach
der alte Berg, der sich uns nicht geben wollte, so
daß ich ihm mit dem Bohrhammer zu Leibe ging.
Das Gedröhn hallte unter der Firste wider. Wir
brauchten nicht miteinander zu sprechen, nur her
anhalten mußten wir uns, dem Berg zu Leibe
rücken, schwitzen und bisweilen einander zunicken,
damit alles seinen Fortgang nehme. Der Alte
glich einem Berggeist, wie er als dunkler Schatten
im engen Loch hin und herkroch, schwarz und
schmächtig, ein zähes Grubengespenst, das mit
dem Hauer Brademann von vorhin keine Ähnlich
keit mehr hatte. Er war ein anderer geworden.
Aber auch ich hatte die Welt vergessen und
gab es dem schweren Hammer in meinen Fäusten,
daß er federte und sein unablässiges Rollen und
Rauschen wie donnernder Eisengesang die einsame
Bergstille durchtobte, darin wir zwei verlassen
hockten.
Einmal, es mochte gegen drei Uhr sein, riß der
Alte plötzlich an meinem Schweißhemd. Ich warf
den Hahn herum, lauschte. Der Nachhall kam aus
der bergtiefen, dunklen Stille des nahen Stapel
schachtes zurück.
„Nichts! Weiter!“
Sieht er Gespenster? dachte ich, lachte und
wieder sprang die Preßluft im Eisenhammer,
rüttelte und zwang das Bohrgestänge in den
mahlenden Stein, während des Alten Lampe hin
und wieder suchend wie ein wandernder, roter
Stern auf- und niederglitt.
Was treibt den alten Berggänger heute Nacht?
lachte ich, ja, ich grinste ihn an und begegnete
seinem schwarzen, fragenden Gesicht, das nicht
wie sonst Antwort gab. War er auch manchmal
ein störrischer Griesgram, ich mochte ihn doch, ja,
ich liebte ihn fast, diesen Alten, der es haßte, von