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2Das luareu Zeiten
Von Kurt Hoppstädter, Wiebelskirchen
üor 100 Jahren!
Vieles hat sidi gegenüber der guten, alten Zeit
vor etwa 90 bis 100 Jahren geändert. Unser Le
benstil, die Anforderungen, die wir zu stellen
gewohnt sind, wurden üppiger, stiegen mit den
besseren Verdienstmögliehkeiten, dem erhöhten
Einkommen und wenn wir zusammenfassend ur
teilen, dann müssen wir sagen, daß wir heute
mit einem Aufwand leben, der unseren Vorfahren
erstaunlich, unfaßbar erschienen wäre.
Man sage nicht, die tedmisdie Entwicklung
habe das mit sich gebradit. Selbst wenn es da
mals Kinos, Rundfunk, Straßenbahnen, Gas, Fahr
räder, Autos, elektrisches Licht usw. gegeben
hätte, so hätten sich die Menschen der damaligen
Zeit das alles einfach nidit leisten können, denn ihr
Verdienst war sehr, sehr schmal. Trotzdem sparten
sie sich freilich ihr Häuschen und ihren Garten zu
sammen. Dodi konnten sie das nur, wenn sie
sich die Grosdien im wahrsten Sinne des Wortes
vom Munde absparten. Vergnügungen und Zer
streuungen gab es außer an kirdilidien Festen
und an der Kirmes kaum, und Erholung mußte
die abendliche Rast am Ofen oder im Sommer
vor der Haustür, das Schwätzdien mit dem Nach
barn und der Sonntagsspaziergang über die
Felder geben.
Wie sah es nun damals mit den Einkommens
verhältnissen aus? Bei der überragenden Bedeu
tung der Kohlengruben war selbstverständlich
damals, wie heute, der Lebensstandard des Berg
mannes aussdilaggebend für die wirtschaftlichen
Verhältnisse der Gesamtbevölkerung. Der Saar
bergmann verdiente im Durchsdmitt: für zwölf-
stündige Schicht in der Grube 17 Groschen, über
Tage 16 Silbergrosdien, für die achtstündige
Schicht in der Grube 14 Silbergroschen. Das be
deutete ein durchschnittliches Jahreseinkommen
von etwa 150 bis 160 Taler (1 Taler = 30 Sil
bergroschen). Demgegenüber verdienten ein Stei
ger im Jahre 276 bis 354 Taler, ein Fahrsteiger
420 Taler und ein Obersteiger 504 Taler, wäh
rend das Jahresgehalt eines Lehrers durchschnitt
lich 182 Taler betrug und die Bürgermeisterei
Ottweiler folgende Besoldungen gewährte; Polizei
diener 150 Taler, Feldhüter 66 Taler, Naditwäch-
ter 40 Taler. Ähnliche Besoldungen gewährten
auch die übrigen Bürgermeistereien.
Uber die Lebenshaltungskosten erfahren wir
Näheres aus den Untersuchungen des damaligen
Landrates von Schlechtendahl in Ottweiler. Da
nach benötigte eine „den arbeitenden Klassen an-
gehörige Familie“ jährlidi etwa 150 bis 200
Taler, um bei Sparsamkeit bestehen zu können.
Von dieser Summe entfielen auf: Nahrungsmittel
90 bis 120 Taler, Wohnung 12 bis 18 Taler,
Brennmaterial 10 Taler, Kleidung und Wäsche 24
bis 32 Taler, Hausrat und Werkzeug 8 bis 14
Taler, Abgaben und Schulgeld 6 Taler. Die Be
hörde mußte also selbst feststellen, daß bei
spielsweise ein Bergmann nur knapp das Existenz
minimum erreichte, das heißt das, was man da
mals so nannte.
Die Marktpreise betrugen für V2 hg Rind- und
Hammelfleisch SV2 bis 4 </& Silbergroschen, Kalb
fleisch 2 bis 3 Silbergroschen, Schweinefleisch 5
bis 5y% Silbergroschen, geräucherter Speck und
Schmalz 8 bis 10 Silbergroschen, Schinken 7 1 /&
bis 8 Silbergrosdien, Butter 7 bis 9 Silbergrosdien,
Mildi 2 Silbergroschen, während der durdischnitt-
liche Preis für Kühe etwa 48 Taler, gute Milch
kühe 60 Taler, Ochsen 105 Taler, Pferde 160
Taler und gemästete Schweine von etwa 170
Pfund 25 Taler betrug. Um einen Vergleich mit
den heutigen Verhältnissen zu erhalten, vergleiche
man beispielsweise die Butter mit dem Einkom
men damals und heute. Wir kommen dann zu
der erstaunlichen Feststellung, daß damals ein
Bergmann in der heutigen Währung monatlich
10 — 12 000 frs. verdiente.
Es gab zu dieser Zeit audi noch mandie ein
schränkende Bestimmungen zur Lebenshaltung.
So war es z. B. nodi 1861 den Bergleuten ver
boten, an Zahltagen und in Grubenkleidern Gast
häuser zu besuchen. Bis zum 23. Juli 1862 be
durfte der in den königlichen Gruben beschäftigte
Bergmann, wenn er vor dem 24. Lebensjahre
heiraten wollte, eines von der Bergwerksdirektion
Saarbrücken ausgestellten „Heiratsconsenses“, und
so mandie unehelidie oder, besser gesagt, vor-
ehelidie Geburt dürfte damit zu erklären sein,
daß der Amtssdiimmel der Bergbehörde nicht
immer so sdmell trabte, wie es den Heiratslusti
gen nötig erschien.
Bei den geschilderten Einkommensverhältnissen
war das Leben gewiß nicht leidit und das Auf
ziehen einer großen Kindersdiar (Kinderzuschläge
und Kindergeld waren nodi unbekannte Begriffe)
eine überaus sdiwere Aufgabe für die Eltern.
Trotzdem entfielen im Saarland dieser Zeit auf
eine Ehe durchschnittlich vier Kinder.