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VI
Sj m vergiftete ^H^oteiett
Von Conrad Lubos, Schwalbach
Der alte Obersteiger einer kleineren Grube
ließ sich sein Mittagessen regelmäßig von dem
Kauenwärter, einem alten Faktotum, von Hause
holen, um sich den Weg zu ersparen. Nun schie
nen ihm seit einiger Zeit die Fleischportionen
zuweilen etwas klein geraten zu sein, bzw. all
mählich immer kleiner zu werden. Er machte
gelegentlich einmal abends nach der Heimkehr
seiner Frau darüber Vorhaltungen. Diese wies
jedoch den Vorwurf ganz entrüstet zurück;
„Kleine Portionen? Verstehe Dich nicht!“ Der
Obersteiger wird nachdenklich: Oder sollte etwa
jemand anderer, — der alte Ignaz . . .? — Nun
man könnte ja mal sehen! —
Am nächsten Tage zu Mittag, — es gab Kote
letts, — rührte der Obersteiger das Essen nicht
an. Als nach der Schicht der alte Ignaz das Ge
schirr abholen kommt, sieht er das Essen nodr
unangerührt stehen und zieht ein erstauntes Ge
sicht. Dem Obersteiger kommt er sehr verlegen
vor.
„Awas, Herr Obersteiger, Sie han ja gomix
geß! Die schön Kotelett! Es wär ja schad defor;“
„Ach was, schmeckt mir heute nicht! Trag mir
das Essen wieder so nach Hause!“
Ignaz bekam einen roten Kopf, trat verlegen
von einem Bein auf das andere, schüttelte den
Kopf, wußte offensichtlich nicht was er sagen
sollte. Doch blieb ihm nichts anderes übrig, als
den Auftrag auszuführen.
So sah hernach die Frau des Obersteigers, daß
bereits jemand anderes an den Koteletts vorge
arbeitet hatte. Wenn der Obersteiger dem alten
ergrauten Ignaz auch keine großen Vorhaltungen
oder Vorwürfe dieserhalb machen wollte, so galt
es doch, ihm diese Naschhaftigkeit und Unart
abzugewöhnen.
Am nächsten Tag gab es wieder Koteletts. Eins
war besonders in Papier eingehüllt. Noch in
Gegenwart von Ignaz schneidet der Obersteiger
von dem in Papier eingepackten Kotelett einige
Stücke ab und legt sie im Büro verteilt unter
und hinter die Schränke.
Mit großen Augen verfolgt Ignaz das Ge
baren des Betriebsführers. „Awas, Herr Ober
steiger! Was machen Sie denn da? Das schön
Kotelett! Wie schade dorum!“
„Was heißt hier schade! Wir müssen doch
hier endlich mal mit den Mäusen Ordnung
schaffen! Das ist ja hier schon geradezu eine
Plage geworden! Na, das Kotelett wird ihnen je
doch schlecht bekommen!“ Die Augen von Ignaz
wurden immer größer, der Mund bleibt ihm
offen stehen: „Wieso, Herr Obersteiger?“ kommt
es gequält von seinen Lippen. „Nun, das Kote
lett hier ist extra für die Mäuse mit Strychnin
vergiftet!“ Ignaz wird abwechselnd weiß, gelb
und grün, greift sich mit den Händen nach dem
Leib, krümmt sich, als würde er schon von Todes
qualen geplagt, fängt entsetzlich an zu jammern
und zu stöhnen, dann stürzt er davon, wie von
Furien gehetzt.
Der alte Obersteiger lachte: „Der ist kuriert!"
Am nächsten Tage erschien Ignaz nicht zur
Schicht. Nur seine Frau kam ihn entschuldigen:
Ihr Mann sei schon gestern furchtbar krank von
der Grube nach Hause gekommen, habe dauernd
erbrechen müssen, habe um den Arzt und den
Pastor geschickt und sein Testament gemacht.
Die Frau war in Tränen aufgelöst. Und doch
schien es dem Obersteiger, als würde in ihren
Augenwinkeln ein gewisser Haß funkeln. Er
stellte sich harmlos: „Aber sagen Sie mal, was
fehlt ihm denn eigentlich? Er war doch gestern
noch ganz gesund?“ Verlegen knautscht die Frau