Full text: 1956 (0084)

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Zuletzt, als er sidi von dem sonderbaren Ge 
schehen erholt hatte, fragte er die Kameraden; 
„Na, ihr seid wohl auch schon lange hier in der 
Stube?“ 
Die drei wußten zuerst nicht, wen er meine. 
Weil er sie aber anguckte, merkten sie es endlich 
doch und brummten eisern: „Ja, schon lange!" 
„Und habt ihr nie Heimweh nach dem Walde 
draußen?“ fuhr der Tannenzapfen fort. Die drei 
sahen sich verwundert an, endlich fragten sie; 
„Nach was draußen?“ „Nach dem Walde, dem 
grünen Walde, unserer Heimat?“ fragt jetzt 
schüchtern der Tannenzapfen, denn die eisernen 
Stimmen liefen ihm kalt über den Rücken. Wie 
derum sahen sich die drei an. Zuletzt knurrte der 
Vornehme, nämlich jener, der nicht gefallen war: 
„Will der uns am Ende foppen?“ 
„Beileibe nicht“, erwiderte jetzt ängstlich der 
Tannenzapfen, „vielleicht ist es schon so lange 
her, daß ihr euch nicht mehr daran erinnert.“ 
Gleich kam ihm aber ein guter Gedanke, so daß 
er sich über sich selbst wunderte, und schnell 
fügte er hinzu: „Vielleicht seid ihr gar nicht im 
Walde gewachsen?“ 
Jetzt begriffen die drei schon besser, wo er hin 
zielte, daher schnarrten sie schwerfällig: „Wir sind 
im Schmelzofen gewachsen.“ Der Ofen, welcher 
vor sieh hindöste, wurde aufmerksam. Weil er 
glaubte, von ihm sei die Rede, fühlte er sich sehr 
geschmeichelt. Schnell mischte er sich in das Ge 
spräch, indem er fragte: „Welcher Ofen ist ge 
wachsen?“, denn er glaubte, er sei‘s. Es antwortete 
ihm aber niemand, deshalb hustete er verlegen 
und erfüllte die Stube mit Rauch. Die Uhr 
schüttelte darüber den Kopf und sagte: „Aber, 
aber!“ 
Auf einmal öffnete sich die Tür, und der Vater 
kam herein mit einem Pinsel und Farbe, welche 
er behutsam auf ein Zeitungsblatt stellte. Nach 
dem er nach dem Ofen gesehen und frische Luft 
durch das Fenster eingelassen hatte, strich er den 
Tannenzapfen schön silbern an und hing ihn an 
den Tannenbaum. Ganz stolz war der Tannen 
zapfen mit seinem neuen Kleid. Neugierig schielte 
er nach den Glaskugeln, doch diese sagten kein 
Wort. 
Dann kam die Mutter mit einer weißen Decke, 
welche sie über den Tisch breitete. Der Vater 
mußte dabei den Tannenbaum in die Höhe hal 
ten, wobei die Glaskugeln mit allem, was dran 
hing, erschreckt klimperten. Behutsam zündete 
der Vater die Lichter an, und zuletzt, als alle 
Spielsachen bereit auf dem Tische lagen, läutete 
die Mutter mit der Glasglocke. Mit großem Ge 
schrei stürzten darauf die zwei Buben herein, 
und das kleine Mädchen watschelte ihnen nach. 
Mein Gott, war das eine Freude! Die Kinder 
fielen über die Spielsachen her und schrien durch 
einander. 
Ach, es war so schön! Der Christbaum und der 
Tannenzapfen, welche das alles zum erstenmal 
erlebten, waren sehr gerührt und vergaßen ganz 
ihr Heimweh. Ja, jetzt hätten sie gar nicht mehr 
zurückgewollt, so groß war ihre Freude. 
„Siehe da, mein Tannenzapfen“, schrie auf 
einmal einer der Knaben mit glänzenden Augen 
und wollte ihn herunterholen, aber der Vater 
wehrte es ihm, weil die Farbe noch nicht trocken 
war. „Nein, ist der aber schön, viel schöner als 
das andere Zeug“, sagten die Kinder, und auch 
das kleine Mädchen zeigte hinauf und lallte: 
„Tannzapf“. Darüber lachten die Eltern, daß 
ihnen die Tränen herabliefen, und wie das kleine 
Mädchen das merkte, rief es immer wieder: „Tann 
zapf, Tannzapf“. Endlich, als es zu Bett gebracht 
wurde, wollte es den Tannenzapfen mitnehmen, 
und da es ihn nicht bekam, weinte es bitterlich. 
Zuletzt gingen die Eltern und die Kinder auch 
schlafen. Es war wieder still in der Stube und 
das Feuer im Ofen war ausgegangen. Nur die 
Uhr wollte nicht Feierabend machen, weil sie 
keine Zeit verlieren wollte. 
Niemand sprach, die Glaskugeln nicht, denn 
sie waren grün und gelb vor Zorn, und auch 
der Tannenzapfen nicht, weil ihm sein Erfolg 
vollauf genügte. Endlich aber murmelte doch eine 
Glaskugel: „Wenn man einem Esel eine Löwen 
haut umlegt, dann bleibt er doch ein Esel.“ Der 
Tannenzapfen lachte nur insgeheim, und weil 
niemand antwortete, schliefen sie bald alle nach 
einander ermüdet ein, denn der Abend war doch 
aufregend gewesen. 
In der Nacht riß sie aber einmal ein großer 
Lärm aus dem Schlafe. Das waren die Gewichte, 
welche schimpften und tobten. „Eine Gemeinheit 
ist es“, schrien sie, „daß nur immer die daher 
gelaufenen Faulenzer Beachtung finden, während 
unsereiner jahraus, jahrein schuftet, ohne je ein 
aufmunterndes Wort zu bekommen.“ Die Uhr 
schalt über sie und versuchte, ihnen mit dem
	        
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