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Am liebsten wäre es allen gewesen, wenn bald
Weihnachten gekommen wäre, denn Abwechslung
tat not. Manchmal, wenn die Schranktüre ge
öffnet wurde, sagten die Glaskugeln aufgeregt:
„Jetzt kommt das Christkind“, aber dann wurde
die Türe wieder geschlossen, und alles war wie
vorher.
Dem Tannenzapfen fiel es am schwersten, und
oft gedachte er seiner frohen Jugend. Adi, der
Ast hatte recht, wenn er sagte, man solle den
Tag nicht vor dem Abend loben. Man ist eben
jung und dumm und will es nicht glauben.
Einmal, als die Tür wiederum aufging, da wur
den sie aber doch herausgeholt. „Jetzt wird es
lustig!“ jubelten die Glaskugeln und all die an
deren. Nur der Tannenzapfen schwieg still, denn
er war sehr gespannt auf das, was nun folgen
würde.
Als der Deckel abgenommen war, da befanden
sie sich in der guten Stube. Im Ofen summte ein
gemütliches Feuer, an der Wand tickte die Uhr,
und auf dem Tisch stand ein grüner Tannenbaum.
Als diesen der Tannenzapfen gewahrte, hätte er
am liebsten geweint vor Freude, aber er traute
sich nicht, weil er sich vor den vornehmen Glas
kugeln keine Blöße geben wollte. Deren einge
bildete Steifheit hatte er diesen nämlich abge
lauscht, obschon er wußte, daß er früher einmal
zu den Vornehmeren gehörte. So ist es, wenn man
vom Lande kommt. Jetzt glaubte er sich als ein
Städter und wollte als solcher dem Tannenbaum
imponieren. Es wäre ihm unangenehm gewesen,
wenn sein Landsmann erfahren hätte, wo seine
Wiege gestanden. Darum reute es ihn jetzt, daß
er den Glaskugeln vom Walde gesprochen hatte,
und er hoffte, sie hätten es vergessen. Ja, man
soll eben nie zu vorlaut plaudern, weil man nie
weiß, ob man sich damit nicht später einmal
schadet. Als er aber den Baum klagen hörte, wie
es im Walde so schön gewesen sei bei den Vö
geln, Hasen und Wieseln, wie der Schnee so
herrlich in der Sonne glitzerte und die Bächlein
unter dem Eise murmelten, da konnte er sich
doch nicht mehr halten, und die Tränen rollten
an ihm herunter. Es waren ganz dicke Tränen,
so daß der Vater, der den Zapfen in die Hand
genommen, davon ganz klebrige Finger bekam.
Nun hing der Vater all den Schmuck aus der
Schachtel an die Zweige, und die Wachslichter
wurden angeklammert, so daß es so recht weih
nachtete in der guten Stube. Und dann ging der
Vater hinaus.
Der Tannenbaum war traurig, wenngleich ihm
so viel Tand umgehängt wurde, und er seufzte:
„Wie heiß ist es hier drin, man glaubt zu ver
schmachten. Wenn ich nur ein wenig Luft hätte.
Ach, wie sind doch die armen Menschen zu be
dauern, welche so eingeengt in ihren Mauern
leben müssen! Du armer Tannenzapfen“, wandte
er sich an diesen, „du leidest auch bestimmt in
der Fremde. Mußtest du die Heimat schon lange
verlassen?“
„Nein!“ Jetzt hat er midi doch erkannt, dachte
der Tannenzapfen und war sehr geniert. Er ver
suchte jedodi das Gesicht zu wahren, indem er
antwortete: „Ja, ja, schon lange, schon recht lange
sogar, und seither habe idi mich ganz gut hier
eingelebt. Wir sind eine heitere Gesellschaft und
verstehen uns recht gut. Manchmal geht es hier
sehr witzig zu, dank den geistreidien Glaskugeln.
Ach, du wirst schon sehen, daß es dir gefallen
wird. Mode vergeht und Natur besteht, mach"
dir nidits draus, sagte der ...“, schnell biß sich
aber der Tannenzapfen auf die Zunge und schwieg.
Hochmütig hatten die Glaskugeln seiner Rede
gelauscht. Weil er sie aber gelobt hatte, gingen
sie aus ihrer Starrheit heraus und sagten: „So ist
es“, obgleich sie den Tannenzapfen für einen
Tölpel hielten. Dann schäkerten sie und taten
lustig, um zu zeigen, wie gescheit sie seien.
Der Tannenbaum aber seufzte nur und schüt
telte das Haupt, so daß einige Nadeln auf den
Tisch herabfielen. Dem Zapfen, der es gewahrte,
brach dabei das Herz. Am liebsten hätte er ihm
zugeschrien, daß er ja genau so denke wie er,
aber die Vornehmheit schnürte ihm die Kehle zu.
Die Uhr an der Wand tickte immerfort wie
eine alte Großmutter, wenn sie hinter dem Ofen
strickt, und genau wie diese sagte sie hin und
wieder: „Aber, aber, ihr dummen Kinder, wie
könnt ihr nur so die kostbare Zeit mit leerem
Geschwätz vertrödeln.“ Und dann tickte sie
weiter, die Uhr.
Zuletzt wurde der Tannenzapfen auf sie auf
merksam. Es dauerte immer eine Weile, bis man
in einer Stube die Uhr sprechen hört. Gewöhnlich
bemerkt man sie erst, wenn alles schweigt. Das
war jetzt gerade der Fall, darum lauschte nun
plötzlich der Tannenzapfen auf die Uhr und be
trachtete sie lange. Da fiel sein Blick auf die
drei Tannenzapfen, die unter ihr hingen, und,
glücklich, so unerwartet Kameraden anzutreffen,
wollte er sie schon froh begrüßen, da schlug die
Uhr vier Viertel, und einer der Tannenzapfen
schnurrte hinab, daß man glauben mußte, er
falle zu Boden. Gleichzeitig kam ein Vogel oben
aus der Türe und musizierte: „Kuckuck! Kuckuck!“
Darauf blieb der Tannenzapfen stehen. Gleich
bewegte sich nun aber ein zweiter hinunter: ein
anderer Vogel trat heraus, und jedesmal, wenn
die Stundenglocke ertönte, verbeugte er sich zier
lich, indem er „Kuckuck!“ dazu rief. Auch hob
er stets dabei die Flügel, und das tat er viele
Male, denn es war gerade sechs Uhr. Dann blieb
auch dieser Zapfen stehen, der Vogel machte die
Tür zu und nun war alles wieder still.
Eigentlich hätte jetzt der dritte Zapfen auch
fallen müssen, doch muckste er sich nicht. Wahr
scheinlich hatte er das nicht notwendig. Vielleicht
war er auch vornehmer als die anderen. Immer
hin ist das nicht gerecht, dachte der wirkliche
Tannenzapfen, wenn es ans Fallen geht, dann
hätten alle zu fallen, und er erinnerte sich dabei
an seinen eigenen Fall.