Full text: 1956 (0084)

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Von Elisabeth K i r c H r 
Saarbrücken 
Nidit weit von hier lebte eine Mutter, die hatte 
ein Kind, das war so hübsch und fein, wie es 
weit und breit kein schöneres gab. 
Die Mutter hatte ihr Kindlein sehr lieb, so 
lieb, wie sonst nichts auf der Welt, und es war 
ihr ein und alles. Eines Tages, als sie am Spinn 
rad saß und ihr Kind mit Plaudern und Lachen 
in der Stube umherlief, klopfte es an die Türe 
und ein altes, häßliches Weib trat herein. 
„Was habt Ihr da für ein wunderliebliches 
Kind“ rief die Alte. Hat Bäcklein frisch und ge 
sund wie ein Apfel. Ach, laßt es mich ein einziges 
Mal herzen und küssen, Euer Kind, denn ich habe 
so gar keine Freude auf der Welt.“ 
Und ehe die Mutter es hindern konnte, hatte 
die Frau das Kind in die Arme genommen und 
hatte es mit ihren alten, welken Lippen geküßt. 
Kaum war sie zur Tür draußen, fing das Kind 
an zu weinen, ließ das Köpfchen hängen und die 
Ärmchen baumeln, die niedlichen Beinchen wank 
ten, und das Kind fiel zu Boden. Die Mutter 
erschrak, hob ihr Kind auf und legte es in sein 
Bettchen. „Mein Kind, mein armes Kind“ jammerte 
die Mutter. „Gewiß hat ihm das häßliche Weib 
mit seinem Gifthauch geschadet.“ 
Und sie nahm rasch ihr Halstuch und wollte 
zum Doktor laufen, der drei Stunden vom Dorf 
entfernt wohnte. 
Wie sie nun in ihrem Kummer durch den Wald 
lief und um ihr Kind jammerte, stand auf einmal 
Schluß von Seite 139 
Nun konnte er sich nicht genug tun, seinen klei 
neren Geschwistern zu erzählen, wie herrlich es 
draußen in der Welt ist. „Aber sehr, sehr ge 
fährlich ist es!“ warnte er sie. „Euch Kleinen 
würde ich es auf keinen Fall raten, den Versuch 
zu machen, sie kennen zu lernen, die schöne 
Welt!“ 
Ihn aber packte manchmal doch noch die Sehn 
sucht nach draußen, und er ruckte und druckte, 
schob und stieß so lange, bis der Strumpf ein 
Loch hatte. Dann aber hielt er inne. Der Schmerz 
und der Schreck damals waren ihm doch in die 
Knochen gegangen. Das Verlangen aber, die 
Welt zu sehen, vererbte Knollerich all seinen 
Kindern und Kindeskindem weiter. 
Und daher kommt es auch, daß bis auf den 
heutigen Tag die Strümpfe Löcher bekommen! 
ein winzig kleines Männlein vor ihr. „Was weinst 
du,“ fragte das Männlein. 
„Ach, um mein Kind weine ich. Es ist krank.“ 
Und die Mutter erzählte dem winzig kleinen 
Männlein, was geschehen war. 
Das Männlein schüttelte den Kopf. „Ich kenne 
das Weib!“ rief es mit zorniger Stimme. „Es ist 
eine Hexe. Sie trägt die Krankheit von Haus zu 
Haus.“ 
Die arme Mutter weinte laut auf. „Gibt es denn 
keine Rettung für mein armes Kind? Ich sehe, du 
bist eines von den seltsamen Wesen, die Herr 
sind über die Natur! Kannst du meinem Kinde 
nicht helfen?“ 
Das Männlein strich seinen rötlichen Bart, sah 
die Frau prüfend an und dann sagte es: „Ich bin 
das Salzmännlein. Wohl könnte ich deinem Kinde 
helfen, aber es gelingt mir nur dann, wenn du 
durch eine gute Tat den unterirdischen Wesen 
Freundschaft erweisest.“ 
„Sag, was soll ich tun?“ fragte die Frau.
	        
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