Full text: 1956 (0084)

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lief sie in die Schenke, denn ein Gast war ge 
kommen. 
Die Magd verließ ihr Versteck, lief eilends zum 
Brunnen, kicherte und sprach zu den Leuten: 
„Wißt ihr es schon, ihr Leute? Ein halber Schop 
pen Milch und ein halber Schoppen Wasser gibt 
auch ein Schoppen Milch.“ 
Die Leute schüttelten die Köpfe und dachten, 
die Magd sei nicht mehr richtig im Kopf. 
Als sie nach Hause kam, befahl ihr die Frau, 
sie solle in die Schenke gehen, derweil wolle sie 
den Leuten die Milch verkaufen. 
Die Magd war zufrieden und ging in die 
Schenke. Als ein Gast ein Glas Wein bestellte, 
mischte sie ihn zur Hälfte mit Wasser. 
Der Gast war erbost, rief die Wirtin und be 
schwerte sich über diesen Betrug. 
Die Magd aber lachte und sagte: „Was wollt 
Ihr? Ein halber Schoppen Wein und ein halber 
Schoppen Wasser gibt auch einen Schoppen Wein.“ 
Der Gast schüttelte den Kopf, denn eine solche 
Rechnung war ihm bis jetzt noch nicht voi- 
gekommen. 
Bald darauf kam ein zweiter Gast. Der bestellte 
ein Maß Bier. Die Magd tat zur Hälfte Wasser 
hinein, und als sich der Gast beschwerte, lacnte 
sie und sagte: „Ein halber Schoppen Bier und een 
halber Schoppen Wasser gibt auch einen Schoppen 
Bier.“ 
Der Gast lachte und meinte, diesen hübschen 
Witz müsse er weitererzählen und gab der Magd 
einen Gulden obendrein. 
Die Wirtin machte gute Miene zum bösen 
Spiel, drohte nur und sagte, sie solle das lassen, 
denn sie werde ihr mit solchen Späßen die Kund 
schaft vertreiben. 
Am Abend sollte die Magd ein Pfund Schinken 
holen. Sie brachte aber nur ein halbes Pfund 
Schinken und den Rest in armseligen Knochen. 
Da schalt die Frau. Die Magd aber sagte: „Was 
wollt Ihr? Ein halbes Pfund Schinken und ein 
halbes Pfund Knochen dazu gibt auch ein Pfund.“ 
Die Frau wurde zornig, gab der Magd eine 
Ohrfeige und schrie: „Du bringst midi mit deiner 
Dummheit noch an den Bettelstab.“ 
Am anderen Tage sollte die Magd die Schenke 
putzen. Sie wusch aber nur die halbe Stube auf, 
die andere Hälfte kehrte sie nur und streute dann 
Sand auf den Boden. 
Die Wirtin fragte: „Was soll das bedeuten? 
Seit je ist es doch Brauch, die ganze Stube zu 
putzen.“ 
Da sagte das Mädchen: „Was wollt Ihr, Frau 
Wirtin? Eine halbe Stube geputzt und eine halbe 
Stube gefegt ist audi eine ganze Stube.“ Ging 
und warf die Tür hinter sich zu. 
Die Wirtin war sehr zornig, gab der Magd 
ihren Lohn und jagte sie fort. 
Es dauerte nicht lange, da war es im ganzen 
Städtchen bekannt, daß die Wirtin vom Lamm 
eine arge Milchpantscherin sei. Bald blieben die 
Kunden aus, und die Frau mußte die Milch den 
Schweinen geben. 
Emes Tages kamen die Frauen der Stadt, stell 
ten sich um das Wirtshaus zum Lamm, und als 
die Wirtin hinausschaute, um zu sehen, was es da 
gäbe, schwangen die Frauen die leeren Milch topfe 
und riefen: „Wißt Ihr es noch, Frau Wirtin? Ein 
halber Schoppen Milch und ein halber Schoppen 
Wasser gibt auch einen Schoppen Milch.“ 
Da erschrak die Wirtin, fiel um und war tot. 
Als sie begraben wurde, kamen nur wenig Leute, 
ihr das letzte Geleite zu geben, und es sind audi 
nicht viel Tränen um sie geflossen, denn die 
Wirtin hatte nicht nur an der Milch gespart, son 
dern auch an den guten Werken Her Liebe. Nur 
Neugierige standen da und Spötter. 
Als man den Sarg aus dem Hause trug, tat sich 
mit einem Male oben das Fenster auf. Die Wirtin 
schaute heraus und rief mit spitzer zittriger 
Stimme: 
„Merkt es euch, ihr Leute: Ein halber Schoppen 
Milch und ein halber Schoppen Wasser gibt auch 
einen Schoppen Milch.“ 
Da kam ein großer Schreck über die Leute und 
sie wollten nicht glauben, daß die Wirtin gestor 
ben sei. Bald hieß es, sie hätte in der anderen 
'Veit keine Zuflucht gefunden. 
„Der Herrgott hätte sie nicht gewollt und audi 
der Teufel habe sie fortgejagt,“ sagten die Leute 
— und nun müsse sie friedlos auf Erden wandeln 
und nirgends fände sie Ruhe. 
Viele wollen sie schon gesehen haben. Am 
Kieselhumes geht sie um, sie trägt stets einen 
Mantel. An trüben Tagen schleicht sie im roten 
Mantel umher, darin sie wie ein flammender Blitz 
über die Felder hinfährt. 
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