Das Jfoblenmänncbcn
von Elisabeth Kirch
Durch den finstern Wald schritt ein Knappe.
Seine Glieder schmerzten vor Müdigkeit, und sein
Kopf war schwer von seltsamen Gedanken. Denn
heute war ihm das Grubenmännchen erschienen,
der gute Geist, der schon viele hundert Jahre
zum Wohle der Knappen das Reich der Kohlen
beherrscht.
Später als sonst kam der Knappe nach Hause.
Seine Frau wollte schimpfen, als sie aber ihres
Mannes bleiches Gesicht sah, blieben ihr die
Worte im Munde stecken. „Was ist geschehen?“
fragte sie nur und stellte die magere Brotsuppe
auf den Tisch.
„Viel ist geschehen! Ich war heute zum letzten
Male in der Grube. Sie haben mich fortgejagt,
es fehle an Arbeit.“
Die Frau konnte es nicht fassen, daß ihr Mann
ohne Verdienst war und meinte: „Der Winter
steht vor der Tür, die Kohlen gehen zu Ende,
und das Häuflein Kartoffeln wird immer kleiner.
Und wie sollen wir das Gas bezahlen, wenn du
keinen Verdienst hast?“
„Schweig, Frau!“ rief der Bergmann. „Du
machst mir das Herz schwer.“
„Aber die armen Kinder!“ schluchzte die Frau.
„Sie sind bleich und schmal. Sollen die unschuldi
gen Seelen Not leiden?“
„Quäle midi nicht, Frau“, sagte der Knappe.
„Du warst dodi sonst tapfer. Schau, wir sind nicht
verloren. Das Kohlenmännchen hat Hilfe verspro
chen. Es ist mir im Stollen begegnet. Zwei von
unschuldigem Blut könnten uns retten, hat es ge
sagt, wenn sie den Weg zum Berggeistlein fän
den.“
Die Augen der Frau wurden größer und grö
ßer. „Zwei von unschuldigem Blut, hat das Gru-
benmänndien gesagt. Das können nur Kinder sein,
denn was gibt es, das unschuldiger wäre als das
Herz eines Kindes.“
So sagte die Frau, und dann gingen sie zu
Bett, der Knappe und sein Weib, und bald schlie
fen sie tief und fest.
Drinnen aber in der kleinen Kammer, wo die
Betten der Kinder standen, wachte einer, und das
war Heini. Er hatte alles gehört, was die Eltern
gesagt hatten, am Abend. Und nun lag Heini mit
offenen Augen und lauschenden Ohren im Bett
und wartete auf den ersten Hahnenschrei. Und als
der Hahn zum erstenmal krähte, stand Heini auf
und weckte auch Leni. „Steh auf, Lenchen, wir
müssen in den Wald gehen!“ Aber Leni wollte
nicht aufstehen, und da erzählte Heini, was sich
begeben hatte.
„Wenn es sein muß, gehe ich mit. Aber ich
fürchte mich“, schluchzte das kleine Lenchen und
zitterte wie Espenlaub. Aber Heini schalt die
Schwester und sagte, daß sie den Eltern helfen
müßten, sonst wären sie alle verloren. Und da
stand Leni auf. Husch - husch - schlüpften die
Kinder in ihre Kleider, in Strümpfe und Schuhe,
nahmen die Laterne vom Wandbrett und schlichen
sich aus dem Hause.
Draußen war es noch dunkel und kalter Nebel
wogte wie ein graues Meer über Wiese und
Wald. Im Wald war es stockdunkel, und gruselig
war es darin. Die Bäume wuchsen wie Riesen
aus dem Nebel hervor. Die Sträucher standen am
Wege wie böse Gespenster und reckten drohend
die dürren Arme, und regte sich ein Zweiglein im
Wind, so zuckte Leni zusammen und faßte Heinis
Hand fester. Heini schritt tapfer voran wie ein
richtiger Held und fürchtete sich auch nicht ein
bißchen. Endlich wurde der Wald lichter, und
nicht lange, da ragte aus dem Nebel ein Turm,
und viele Lichtlein blinkten den Kindern ent
gegen.
„Hier muß die Zeche sein“, sagte Heini, dort
steht der Turm mit dem Förderkorb, darin die
Knappen in die Grube fahren, und hier muß das
Kohlenmännchen zu finden sein. Wir wollen es
rufen.
„Kohlenmännchen! Kohlenmännchen, wo bist
du?“ rief Heini, aber es kam keine Antwort.
„Kohlenmännchen, wo bist du“, rief auch Leni.
„Hier bin ich“, rief da eine alte, dünne, zittrige
Stimme. „Wer ruft mich?“ — „Wir, Lenchen und
Heini, zwei von unschuldigem Blut.“
„Ach, ihr seid es, Lenchen und Heini!“ Vor den
Kindern stand wie aus der Erde gewachsen ein
kohlrabenschwarzes, steinaltes Männlein. Seine
Augen funkelten wie Diamanten aus dem runze
ligen Gesicht, und in seinem grauweißen Bart
hingen vieltausend schwarze, glänzende Perlen.
„Was wünscht ihr vom Kohlenmännchen?“
fragte das Geistlein. „Ach, hilf uns doch, liebes
Männlein“, bat Leni. „Unser Vater hat seine Ar
beit verloren.“
Da sagte das Männlein: „Ich kenne euren Va
ter, und weil ihr so gute Kinder seid, und den
Weg nicht gescheut habt durch Nebel und Nacht,
will ich euch helfen. Kommt in mein Reich.“
Das Männlein rührte eine silberne Glocke, da
kam aus der Tiefe ein Fahrstuhl. Die drei stiegen
ein und — hui — ging es in sausender Fahrt in
die Tiefe. Als sie eine Weile gefahren waren,
zog das Kohlenmännchen an einer silbernen Klin
gel, da stoppte der Kasten und das Kohlenmänn
chen und die zwei Kinder waren im tiefuntersten
Stollen. Im Stollen war es stockdunkel und sie
dendheiß war es darin. Das Männlein reckte die