Full text: 1955 (0083)

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klopfenden Herzens zu den Freunden zurück und 
hörte mit Grausen, daß er sein Spiel unterbrach 
und mir etwas nachrief. Atemlos betrat ich die 
Höhle und keuchte: 
„Draußen sitzt . . . der Rattenfänger von 
Hameln!“ 
Oskar fuhr sich vielsagend an die Stirne: 
„Er ist verrückt!“ stellte er lakonisch fest und 
griff nach dem letzten seiner Äpfel. „Wie sollte 
der Rattenfänger von Hameln hierher kommen?“ 
„Ich — ich mache das doppelte Kreuz und 
blicke zum Himmel, ohne zu lachen!“ Das war 
bei uns die Form eines rechtsgültigen Schwures, 
den ich auch sofort leistete, indem ich Zeige- und 
Ringfinger der rechten Hand, ein Kreuz bildend, 
auf dieselben Finger der linken legte und mit 
todernster Miene zum Himmel, d. h. zur Höhlen- 
decke, aufblickte. 
„Er hat geschworen!“ sagte Herbert dumpf, 
„also ist es wahr. Wo ist er?“ 
„Ihr könnt ihn von der Höhle aus sehen!“ Ich 
zitterte vor Erregung und die beiden begaben 
sich zum Ausgang unseres Wigwams, um bald 
darauf schreckensbleich zurückzukehren. Schwei 
gend saßen wir eine Weile nebeneinander, und 
in den Augen Herberts blinkten plötzlich Tränen, 
während ich vergeblidi versuchte, ein tapferes 
Gesicht zu zeigen. 
„Wenn wir die Höhle verlassen, nimmt er uns 
mit“, sagte Oskar in kläglichem Ton. 
„Wir müssen ihn überrumpeln“, versuchte ich 
forsch zu sein, aber ich fürchte, es klang nicht 
minder jammervoll, als die Worte Oskars. Die 
beiden sahen midi entsetzt an, und ich fühlte 
mich verpflichtet, „elende Feiglinge“ vor mich 
hinzumurmeln. 
Wieder herrschte Schweigen. 
„Wenn man ihm vielleidit sagen würde, wo — 
wo es Ratten gibt?“ meldete Oskar sich endlich 
zaghaft und fuhr sidi mit dem Zipfel seiner 
Spielschürze über die Augen. 
Das war eine Idee. Vielleicht waren ihm Ratten 
lieber als Kinder und er ließ uns laufen. Neue 
Hoffnung schöpfend, berieten wir eifrig den Vor- 
sdilag. — Wer aber sollte es ihm sagen? 
„Es wird gelost!“ bestimmte Herbert. 
Wir losten also. Natürlich zog ich das kürzeste 
Holz aus den Händen Oskars und wurde somit 
beauftragt, als Unterhändler vor den berühmten 
Rattenfänger von Hameln hinzutreten. Nach 
einigen guten Ratschlägen machte ich midi auf 
den Weg, zitternd, dem guten Herrgott meine 
Kinderseele empfehlend. Endlich stand ich vor 
dem Mann, der die Flöte vom Munde nahm und 
mich mit seinem stechenden Blick ansah. 
„Herr Rattenfänger “, stotterte ich, „Herr 
Rattenfänger — wenn du uns nadi Hause gehen 
läßt, dann sage ich dir, wo es viele Ratten gibt. 
Unten auf der alten Grube nämlich, — Herr 
Rattenfänger, da kannst du Ratten fangen 
und uns — — und — —!“ 
Idi hatte diese Worte hastig hervorgestoßen, 
während der seltsame Mann midi zunächst ver 
wundert anhörte, dann aber in ein lautes Ladien 
ausbrach. 
„Idi braudie keine Ratten", sagte er endlich 
mit heller Stimme und einer eigenartigen Be 
tonung. „Du und die beiden dort, —“ er zeigte 
zu der Höhle hinüber, — „ihr seid mir genug! 
Kommt her, ihr zwei!!“ 
Nun sdiien alles verloren. Oskar und Herbert 
hatten sidi vor die Höhle gewagt und kamen 
jetzt sdiludizend und mit sdilottemden Knien 
näher. Der Rattenfänger aber versicherte uns 
hastig, da audi idi jetzt in das Schluchzen ein- 
stimmte, daß er uns bestimmt nichts Böses tun 
würde. Wir mußten uns zu seinen Füßen nieder 
lassen, und er begann wieder sein Flötenspiel. — 
Bald vergaßen wir unsere Furcht, die Tränen 
versiegten, und wie gebannt lausditen wir den 
lieblichen Melodien, die der Rattenfänger uns 
vorspielte. Es modite wohl ein malenswertes Bild 
sein, der Mann in seinen bunten Kleidern, flöte 
spielend auf einem moosüberwachsenen Stein 
sitzend, während wir drei Bürsdichen vor ihm 
auf dem grünen Teppidi der Liditung lagen, den 
Kopf in die Hände gestützt. 
Plötzlich aber wurde das Idyll unsanft gestört. 
Der Rattenfänger ließ brüsk die Flöte sinken, 
murmelte etwas Unverständliches und schritt ohne 
ein weiteres Wort davon. Da bemerkten wir auch 
schon den alten Förster vom Pfaffenkopf, der sich 
uns näherte, laut über die Zigeuner schimpfend, 
die sich in seinem Wald herumtrieben. Als wir 
ihn eines Besseren belehren wollten und ihm 
sagten, daß es kein Zigeuner, sondern der Ratten 
fänger von Hameln war, wurde er wütend und 
wir suchten schleunigst das Weite. 
Oskar wurde ein Opfer des letzten, grausamen 
Krieges. Herbert aber habe ich kürzlich getroffen. 
Seltsam, wenn wir auch bei der Erinnerung an 
unsere Jugendstreiche herzhaft lachten, als wir 
auf unseren Wald und die Begegnung mit dem 
Rattenfänger von Hameln zu sprechen kamen, 
blieben wir eigenartig ernst dabei. Es schien, 
als fürchte jeder, der andere könne ein Wort 
sagen, das etwas in uns zerstört hätte, was wir 
schon seit jener glücklichen Kindheit in uns trugen.
	        
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