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Ein Kinderarzt über Anzeichen der gefährlichsten Kinderkrankheit
und wie die Mütter sich verhalten sollen.
Vorsicht bei einer eigenen Diagnose
V o n D r. m e d. Kurt O x e n i u s
Eine junge Mutter ruft den Kinderarzt an, er
möchte schnell kommen, da sie befürchte, ihr
Kind sei an Diphtherie erkrankt. Im Vertrauen
gesagt, das ist ein Zauberwort, mit dem man
unfehlbar einen Arzt sofort herbeizitiert, denn
kein Arzt kann zu Hause bleiben, wenn bei
einem Kinde die Gefahr einer Diphtherie droht.
So auch im vorliegenden Falle. Der Arzt eilte
zu dem 2V2jährigen Mädchen hin — gottlob, es
handelte sich nur um eine grippale Halsentzün
dung. Nicht lange danach wurde der Arzt zu
demselben Kinde gerufen. Diesmal gab eine
Mandelentzündung Veranlassung zu der Be
stellung. Um es kurz zu machen, innerhalb
anderthalb Jahren wurde der Kinderarzt sieben
mal zu dem Kinde wegen befürchteter Diph
therie gerufen, ohne daß es sich je um eine
solche handelte. Jedoch ersieht man daraus,
welche Geduld ein Arzt besitzen muß, um den
Anforderungen, die kleine und große Kinder an
ihn stellen, zu genügen.
Die Mutter war allmählich ruhiger geworden,
die Diphtheriefurcht hatte sich gelegt. Eines
Tages trifft sie den Arzt in der Elektrischen
und redete ihn an: ihr Mädchen sei nicht ganz
wohl, aber es habe wohl nichts zu bedeuten,
da das Fieber nur etwa 38 Grad betrage. Immer
hin, wenn der Herr Doktor an einem der
nächsten Tage einmal nach dem Kinde sehen
wollte, so wäre ihr das sehr lieb — aber es
eile durchaus nicht.
Nun wollte es der Zufall, daß der Arzt in der
Nähe des Kindes zu tun hatte und so das Kind
am gleichen Tage bequem besuchen konnte. Er
sah dem Kind zunächst in den Hals, da dies ja
bekanntlich die wichtigste Untersuchung bei
einem Kinde ist, und entdeckte sofort auf beiden
Mandeln einen grau-weißlichen, charakteristi
schen diphtherischen Belag. Die Mutter wurde
bei dieser Nachricht fast ohnmächtig. Jahrelang
hatte die Furcht vor dieser Krankheit sie ge-
ängstigt und gepeinigt, und nun war das Ge
fürchtete wirklich eingetreten. Glücklicherweise
kam das Serum noch rechtzeitig zur Anwendung,
denn am 1. Tage gegeben, heilt es ja in rund
100 Prozent Fällen. Am 5, Tage aber wirkt es
nur noch bei 60 Prozent; Voraussetzung ist
natürlich, daß die erste Dosis genügend stark
ist. Doch darin hatte der Arzt eine große Er
fahrung, und ich weiß von ihm, daß er inner
halb 20 Jahren nicht ein einziges Diphtherie
kind verloren, aber auch keins in ein Kranken
haus eingewiesen hat. Und diese Resultate wur
den bereits erzielt, bevor die sehr nützliche
Schutzimpfung eingeführt wurde. Letztere aber
hat einen gewissen kleinen Nachteil insofern,
als bei einer Diphtherie-Erkrankung das äußere
Bild, der Belag, verändert und undeutlicher wird.
Doch die Entscheidung, ob eine Diphtherie
besteht oder nicht, liegt stets in den Händen
des Arztes, der deshalb bei jeder Halserkran
kung sofort in Kenntnis gesetzt werden muß.
Jedoch muß auch die Mutter es verstehen, den
Rachen eines Kindes zu inspizieren. Das Heim
tückische bei der Diphtherie ist eben, und des
halb erfolgt dieser Bericht, daß sie so schleichend
auftritt. Gewiß, es kann auch bei einer Diph
therie einmal eine Temperatur von 40 Grad
Vorkommen, aber das ist eine Ausnahme. In der
Regel hält sich das Fieber bei Diphtherie um
38—38,5 Grad. Uns Ärzten ist es daher viel
lieber, wenn eine Halsaffektion mit hohem
Fieber verläuft, denn dann ist es meistens nur
eine Mandelentzündung, Angina. Die Entschei
dung aber, ob Serum gegeben werden muß, hat
der Arzt zu treffen, und er kann gewöhnlich
nicht bis zum Eintreffen des Bescheides über
einen Abstrich warten, sondern muß schnell
handeln. Denn bei keiner anderen Krankheit
— außer bei der Blinddarmentzündung — ist
das Schicksal des Patienten so abhängig von
dem richtigen und sofortigen Handeln des Arztes
wie bei der Diphtherie.
HansSchnell
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Neunkirchetl-Saar, Hospitalstrasse 34/36, Tel. 2485
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