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Dabei arbeitet der Motor im Bremsfalle als
Generator und liefert die Energie, die früher in
Wärme umgesetzt und vernichtet wurde, in das
Netz zurück. Diese Energierückgewinnung be
deutet vor allem bei bergreichen Strecken eine
beachtliche Kostenersparnis. Da das Fahrzeug
zusätzlich in den Endstufen Widerstands
bremsung und außerdem noch Druckluftbremsen
aufweist, ist ein höchster Stand der Verkehrs
sicherheit gewährleistet. Für entsprechende Be
quemlichkeit der Fahrt ist andererseits durch
die Güte des Karosserieaufbaues und der Innen
ausstattung gesorgt.
Nach diesen Ausführungen wird vielleicht die
Frage auftauchen, ob der Obus Straßenbahn
und Autobus völlig verdrängen wird. Deshalb
ist es angebracht, dazu die Ergebnisse der bis
herigen Erfahrungen anzuführen. Die Wirt
schaftlichkeitsberechnungen aller Verkehrsge
sellschaften ergeben als Mittelwert, daß bei
Wagenfolgen bis zu 10 Minuten (also mindestens
alle 10 Minuten ein Wagen in gleicher Richtung)
die Straßenbahn das wirtschaftlichste Verkehrs
mittel darstellt, während bei Wagenfolgen von
10—20 Minuten der Obus und über 20 Minuten
der Autobus vorzuziehen ist. Selbstverständlich
erfordert die Errichtung oder Umstellung einer
Linie jeweils genaue Untersuchungen, die auch
schon einmal zu abweichenden Ergebnissen
führen können. Der Obus ist jedenfalls als Nah
verkehrsmittel eine wichtige Ergänzung, er wird
Straßenbahn und Autobus teilweise ersetzen,
aber nicht verdrängen. Daß man aber mit Pro
gnosen etwas vorsichtig sein muß, zeigt die
Tatsache, daß schon wieder eine Neuentwick
lung erschienen ist.
Angestoßen durch die Brennstoffknappheit
der Kriegsjahre wurde in den Jahren 1947 bis
1950 eine weitere Entwicklung auf dem Gebiet
der Nahverkehrsmittel bei der Maschinenfabrik
Oerlikon in Zürich-Oerlikon vollendet, die eben
falls eine wertvolle Ergänzung der bisherigen
Nahverkehrsmittel zu werden verspricht. Die
Firma nennt dieses nach Erfindungen des Ober
ingenieurs Storsand aufgebaute Fahrzeug: Gyro
bus. (Nach dem griechischen Wort für Kreisel
oder Schwungrad.) Dieser Gyrobus stellt prak
tisch einen Obus dar, der keine Oberleitung
mehr, sondern nur noch einzelne Tankstellen
für elektrischen Strom benötigt. Zwischen den
beiden Achsen des Fahrzeuges ist nämlich ein
großes Schwungrad von 1,6 m Durchmesser und
1500 kg Gewicht (Bild 2) innerhalb des Wagen-
m NEUFANG MALZBIER
bodens liegend eingebaut. Wie die Abbildung
zeigt, ist das Schwungrad mit dem Anker eines
Drehstromkurzschlußläufermotors zusammenge
baut. Die Einheit von Schwungrad undMotor nennt
die Firma: Elektrogyro. An das normale Dreh
stromortsnetz angeschlossen bringt dieser Motor in
wenigen Minuten das Schwungrad auf eine Dreh
zahl von 3000 U/min. Die dabei im Schwungrad
aufgespeicherte kinetische Energie, die, wie eine
kurze Nachrechnung zeigt, 3 Millionen kg/m
oder 7000 kcal übersteigt (mit Berücksichtigung
des Wirkungsgrades von Brennkraftmaschinen
entspricht das etwa der Energie von 2—3 Litern
Benzin), wird zum Antrieb des Fahrzeuges ver
wendet. Durch Zuschalten von Kondensatoien
wird der Asynchronometer von der Schwung
masse angetrieben zum Generator und speist
einen polumschaltbaren Drehstrommotor, der
über ein Differential die Hinterbrücke antreibt.
Mit einer Motorkombination ist es bei der
neuesten Ausführung möglich, sieben gleich
mäßig über den Geschwindigkeitsbereich von
0 bis 50 km/h verteilte Fahrstufen auch bei
fallender Drehzahl des Elektrogyros zu er
halten. Da das Schwungrad in Wasserstoff um
läuft, sind die Reibungsverluste soweit ver
ringert, daß es im Leerlauf mehr als 10 Stunden
benötigt, bis es zur Ruhe kommt. Bei Ab
bremsung der rotierenden Masse bis zum Still
stand reicht die gespeicherte Energie aus, einen
mit 50 Personen besetzten Gyrobus 6 km weit
zu befördern, während bei einem Drehzahl
abfall bis zu 2000 U/min noch 2 km überbrückt
werden können. Es ist dann nur erforderlich,
alle 2 km an einer normalen Haltestelle
einen normalen Drehstromanschluß herzustellen.
Mittels einer sinnreichen klappbaren Stromab
nehmerkonstruktion wird das Schwungrad inner
halb der normalen Haltezeit dann wieder auf
volle Drehzahl beschleunigt. Die Abbildungen
zeigen den Gyrobus mit eingeklapptem Strom
abnehmer in Fahrt (Bild 3) und Strom „tankend“
(Bild 4) an einer Haltestelle. Durch den im
Bild sichtbaren vierten Kontakt an der Seite
wird das Chassis des Fahrzeuges während der
Ladung geerdet. In mehrwöchigem fahrplan
mäßigem Dauerbetrieb hat der Gyrobus auf
den ersten Versuchslinien in der Schweiz seine
Brauchbarkeit bewiesen, wobei die Erwartungen
in technischer und betrieblicher Hinsicht über
troffen wurden.
Den bergmännischen Leser dürfte es auch
interessieren, daß von der Firma Oerlikon für
südafrikanische Goldminen die ersten mit dem
gleichen Elektrogyro ausgerüsteten Grubenloko
motiven geliefert wurden.