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ahnemann
Eine Spiesener Humoreske
Von Ingeborg M a r g ai t, Saarbrücken
Der Schwank, wie der ehemalige Bergmann
und heute wohlbestallte Postkurier der Regie
des Mines de la Sarre, Johann Spindler, zu
seinem Spitznamen „Hahnemann" kam, brachte
in der Spiesener Gegend auch
den Griesgrämigsten zum
Lachen:
Es war der Heilige Abend
des Jahres 1911. Der 20jährige
Bergmann und Meßdiener Jo
hann Spindler feiert mit seinen
Freunden vom Gesangverein
„Eintracht" die Wiederherstel
lung des Kirchenturms, in den
am letzten Fronleichnamstag
der Blitz eingeschlagen hatte.
Auch der Kirchhahn war am
Morgen von drei Dachdeckern,
unter der regen Teilnahme der
Spiesener Bevölkerung, auf den
Turm gebracht worden.
Wer weiß, welcher Teufel den
Spindler Hannes juckt — viel
leicht ist auch das Bier schuld daran — als er
mit seinem Freund, dem Serge Fritz, die Wette
abschließt, um Mitternacht den Kirchhahn ganz
allein wieder vom Turm herunterzuholen Als
Belohnung winken zehn Glas Bier.
Zur festgesetzten Stunde verläßt er mit
einigen seiner Kumpanen das Lokal. In der
Metzgerei besorgt er sich noch zwei „Bütt-
stränge" (Stricke), dann geht's zur Kirche.
Während seine Begleiter gespannt der Dinge
harren, die da kommen sollen, hangelt sich
Hannes am Kandel hoch, über die schiefe Ebene
des Daches gelangt er in den 58 m hohen
Turm. Beim schwachen Licht des Mondes
klettert er innen am Gerüst weiter aufwäits.
Nun steht er am Aussteigloch. Ein eisiger Wind
bläst ihm ins Gesicht. Einen Augenblick ver-
schlägt's dem Hannes auf seiner einsamen Höhe
den Atem. Dann wirft er kurz entschlossen
seinen „Büttstrang" nach oben, angelt ein Steig
eisen, befestigt den Strick daran und seilt sich
auf diese Art an den sechs 1,20 m auseinander
liegenden Haken hoch. Als er auf der Turm
spitze angelangt, hat er gewonnenes Spiel. Das
Kreuz vor ihm ist von einer Eiskruste über
zogen. Es schwankt wie ein schwaches Rohr im
Schneesturm hin und her. Nun so schnell wie
möglich den Hahn abmontiert und am zweilen
„Büttstrang' befestigt! Dann geht es wieder
abwärts mit dem 64 Pfund schweren und 1,20 m
hohen Hahn auf dem Rücken.
Am Aussteigloch wird die Sache
kritisch, und der kühne Klet
terer muß geschickt manövrieren,
um seine Beute durch die enge
Öffnung zu bekommen. Aber
endlich ist es geschafft. Hannes
steht aufatmend auf der festen
Erde, zeigt seinen Kameraden
triumphierend den blinkenden
Hahn und schleppt ihn gemein
sam mit ihnen in das Gasthaus
der Witwe Schmidt, genannt
„feige Katt", wo sie schon mit
Spannung erwartet werden.
Spät in der Nacht wird noch
ein Festessen zubereitet. Einer
der Gesellen „organisiert" zu
Hause ein halbes Schwein, das
die Wirtstöchter zubereiteten. Hei, wie das
schmeckt!
Serge Fritz hat also seine Wette verloren
und muß dem Hannes zehn Helle bezahlen. Da
mit aber nicht genug — gibt es noch viele edle
Spender, die dem Held des Abends ein Gläs
chen traktieren. Erst am frühen Morgen findet
die Zecherei ein Ende. Da ist es den beiden
Freunden, als trügen sie zwei Kirchturmhähne
nach Hause. Hannes übernachtet bei Serge Fritz,
und bald schon verkündet lautes Schnarchen,
daß die beiden fröhlichen Zecher ihren Rausch
ausschlafen. Der Kirchhahn aber hält am Fuße
des Bettes einsame Wacht über das trunkene
Paar.
Das Gerücht, wonach der Spindler Hannes
den Kirchturmhahn entführt haben soll, ver
breitete sich wie ein Lauffeuer in Spiesen. Kein
Wunder, daß auch die Polizei Wind davon be
kommt. Der Polizeidiener Fuchs ist dem Übel
täter bald auf der Spur. Er rüttelt ihn höchst
persönlich unsanft aus dem Schlaf, heißt ihn
den Gockel aufschultern und zu Hochwürden
Kollmann, dem Pastor der Pfarrei, tragen. Der
ist baß erstaunt über seinen Meßdiener, wenn
er auch ein Schmunzeln kaum verbergen kann.
J. Spindler, gen. Hahnemann