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die Kameraden an. Bisher hatte er noch immer
einen Ausweg gewußt. Hoffentlich versagte er
in dieser schweren Prüfung nicht.
Plötzlich hob Hannes den Kopf. Der Reihe
nach blickte er seine Kumpane an und sagte
langsam und betont:
„Der Fürst ist in seinem Schloß in Neun
kirchen. Wir gehen zu ihm und beschweren uns."
Ach du lieber Gott! Bekümmert schüttelten
die jungen Leute den Kopf. Nun hatte die Strafe
dem Hannes den Kopf verwirrt, und sie mußten
auch noch diese Sorge zu ihrem Unglück tragen.
Aber dem Hannes war es ernst mit seinem
Vorschlag, und alles Sträuben nützte den Freun
den nichts. An einem schönen Morgen mar
schierten sie nach Neunkirchen. Man sah es den
schmucken Burschen im flotten Sonntagsanzug
nicht an, wie bang ihre Herzen pochten.
Hannes verhandelt mit der Wache
vor dem Schloß
Je mehr sie sich Neunkirchen näherten, desto
zögernder wurde ihr Schritt — und auch der
Hannes drängte nicht mehr zu schnellerem
Gehen. Aber mochte er auch blaß um die Nase
sein, an Aufgeben dachte er nicht. Alle schüch
ternen Vorschläge zur Umkehr wies er mit
grimmigem Hohn zurück. So blieb den Freun
den nur der heimliche Trost, daß sie vielleicht
schon der erste Torhüter hinauswerfen würde.
Die Hoffnung erfüllte sich nicht. Zwar gab es
manche Schwierigkeit, aber der Hannes schaffte
es. Und dann standen sie in einem prachtvoll
eingerichteten Arbeitszimmer vor ihrem Fürsten.
Der musterte mit klaren Augen die schlottern
den Gestalten und unterdrückte mit Mühe ein
Lächeln, angesichts der unaufhörlichen Kratz
füße seiner Besucher.
Sie scharrten wie die Hühner im Sand vor
dem hohen Herrn, und auch der Hannes machte
keine Ausnahme. Schließlich mochte der Fürst
für seinen Teppich fürchten, und er fragte nach
dem Begehr der jungen Burschen. Sie stellten
ihre Kratzfüße ein und schauten den Hannes
an. Dem hatte es jedoch den Mut verschlagen,
und er bereute bitter diesen Gang zum
Fürsten. Doch nun konnte er nicht mehr zurück.
So begann er stotternd einen unzusammen
hängenden Bericht, aus dem kein Mensch klug
wurde. Seine Befangenheit übertrug sich auf die
Kameraden, die vor Verlegenheit eine neue
Kratzfußserie auf den Teppich legten.
Zum Glück war der Fürst ein menschlicher
Herr, sonst hätte die Audienz einen kurzen und
unrühmlichen Abschluß gefunden. Er bot den
jungen Leuten bequeme Sessel an und half
ihnen mit Fragen über ihre Arbeit und Häus
lichkeit, sich zu beruhigen. Als die erste Be
fangenheit überwunden war, erzählte der
Hannes frank und frei von ihrem harmlosen
Tanz und der schweren Strafe.
Der Fürst lächelte. Er ging zu seinem Schreib
tisch und schrieb einige Zeilen, die er verschloß
und versiegelte. Den Brief drückte er Hannes
in die Hand mit der Weisung, ihn sofort dem
Amt in Ottweiler zu übergeben — und zwar
dem Herrn Leiter persönlich! Mit einem freund
lichen Gruß entließ er die Bittsteller.
Wie sie herausgekommen waren, wußten sie
später nicht mehr. Sie waren schon ein gutes
Stück Wegs wie im Traum gegangen, als ihnen
zum Bewußtsein kam, daß sie mit ihrem Fürsten
gesprochen hatten und eine Botschaft von ihm
trugen. Von dem Inhalt ahnten sie nichts, aber
getreu dem Auftrag pilgerten sie nach Ottweiler
und verlangten den Leiter der Behörde zu
sprechen.
Angesichts der Schwierigkeiten, die ihnen
hier entgegentraten, mußten sie feststellen, daß
es ein Kinderspiel war, zum Fürsten zu ge
langen. Dem Hannes riß die Geduld.
„Unser gnädigster Herr Fürst hat uns be
fohlen, den Brief nur dem Herrn Amtmann zu
geben", trumpfte er auf, „wenn wir nicht sofort zu
ihm geführt werden, bringen wir den Brief zu
rück mit dem Vermerk, daß dem Herrn Amtmann
nichts an den Briefen des Herrn Fürsten liegt!"
Das half. Einige Minuten später standen sie
dem Herrn gegenüber. Der hatte kaum erfahren,
wer sie waren, als er ihnen auch schon eine
Standpauke über den verwerflichen Tanz hielt.
Dann erst öffnete er den Brief — und wurde
plötzlich sehr still. Kurz und bündig stand da,
daß die Strafe zu erlassen sei. Der Fürst hatte
noch die Frage gestellt, ob Kindtaufen einträg
licher seien als Hochzeiten und hinzugefügt:
Mit solchen Tanzverboten würden die jungen
Leute auf dunkle Wege getrieben.
Davon sagte der Herr Amtmann natürlich
nichts. Er teilte ihnen nur den Erlaß der Strafe
mit — und warf sie hinaus.
Die jungen Burschen nahmen ihm das weiter
nicht übel. Es kam ihnen in der Freude gar nicht
zum Bewußtsein.
In den Akten aber wird der Brief heute noch
aufbewahrt als Zeichen fürstlichen Verständ
nisses für jugendliche Fröhlichkeit.