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diese Stätte entweihte, galt als Frevler und
wurde hart bestraft. Heute wie früher halten
die ergrauten Männer des Dorfes an schönen
Abenden ihr Plauderstündchen unter der Linde.
Aber auch die Dorfjugend gibt sich hier nach
getaner Arbeit ein Stelldichein. Die Dorflinde
wird Zeuge, wie eine Menschengeneration nach
der anderen heranwächst und vergeht.
„Du bist im Dorf die große Linde,
Die rauschend ihre Arme breitet
Und die dem Greise wie dem Kinde
Den engen Platz zu Welten weitet "
So überdauert die Linde Jahrhunderte. Mit
hohlgefaultem und geborstenem Stamme, vom
Blitze mehrfach getroffen, mit Eisenbändern zu
sammengehalten, steht sie altehrwürdig, aber
immer noch grünend, in Dörfern, an großen
Heeresstraßen, in Burg- und Klosterruinen oder
einsam mitten im Felde, wo vor Jahrhunderten
der Krieg ein Dorf völlig zerstört hat.
Eine der ältesten Linden Mitteleuropas steht
bei Neuenstadt am Kocher (Württemberg) auf
der alten Gerichtsstätte. Unter ihrem mächtigen
Dach (es beginnt in einer Höhe von 2,30 bis
2,60 m) haben 1000 Personen bequem Platz.
Noch heute werden unter ihr häufig Kirchweih
und aridere Feste abgehalten. Der gewaltige,
2 6 m im Durchmesser aufweisende Stamm, steht
inmitten junger Linden, die gepflanzt werden
mußten, um die Laube zu erhalten und keine
Lücken entstehen zu lassen. Die Äste nämlich,
die wie riesige Arme vom Stamm ausgehen
und 0,75—1 m dick sind, begannen sich vor
Altersschwäche zu beugen und zu senken und
mußten bereits vor Jahrhunderten durch
steinerne Säulen gestützt werden. Mehr als
hundert solcher Armstützen wurden in der Ver
gangenheit errichtet. Die große Linde bei
Neuenstadt am Kocher wird schon in einer Ur
kunde von 1229 erwähnt, und 1408 hieß es
von ihr:
„Vor dem Tor ein Linde staht,
Die siebenundsechzig Säulen hat!"
Das Alter dieser Linde ist nicht genau zu er
mitteln. Man schätzt es auf etwa 700—750 Jahre.
Noch vor 20 Jahren grünte die 1000 Jahre
alte Riesenlinde von Staffelstein in Bayern
(Oberfranken). Ob sie den zweiten Weltkrieg
überdauert hat, ist dem Verfasser nicht be
kannt. Sie galt als der älteste Laubbaum Euro
pas. In Brusthöhe maß ihr Umfang 24 m, das
Innere des Stammes war schon lange hohl.
Dort, wo einst das Kloster Wischau stand,
steht eine Linde. Ein Mönch, der zum Tode ver
urteilt war, pflanzte sie mit der Wurzel nach
oben, um seine Unschuld zu beweisen. Später
wurde das Kloster von Feinden zerstört. Nur
die Wunderlinde überlebte diese Zeit und
deutet noch heute den Ort an, wo man den un
schuldigen Mönch ums Leben gebracht hat.
In der südfranzösischen Ortschaft Bassanac
in der Landschaft Lozere schmückte den Markt
platz bis 1911 eine gewaltige alte Linde, die im
Anfang des 16. Jahrhunderts gepflanzt wurde.
Sie mußte wegen Altersschwäche gefällt werden.
Weithin bekannt war die mächtige Linde vor
dem Gasthaus zum Schwan in Rippach bei
Lützen (Thüringen). Sie war so groß, daß man
in ihrer weitausladenden Krone einen Tanzplatz
für 20 Paare errichtet hatte. Leider wurde diese
Linde durch Brand zerstört.
Seit Jahrhunderten kennt man die schweiß
treibende, blutreinigende und krampfmildernde
Kraft des Lindenblütentees. Man bereitet ihn
aus getrockneten Lindenblüten, die man samt
den flügelartigen Hochblättern pflückt.
Neben der Linde ist die Eiche einer der be
kanntesten Sagenbäume. Wer kennt nicht diesen
Baum mit seinen starken Wurzeln, die den
mächtigen, mit rissiger Borke umgebenen
Stamm im Boden fest verankern, und seinen
knorrigen Ästen, die selbst den schwersten
Stürmen Widerstand leisten?
„Weithin greifest du aus deinen Wurzeln
[und Ästen,
Tief in die Erde hinein, weit in die Lüfte
[hinaus."
Die Eiche gilt als Sinnbild der Kraft und der
Stärke. In der Blumensprache heißt es: Wer
Eichenblätter trägt, zeigt dadurch seine Festig
keit an und daß niemand seinen Willen brechen
könne. Wem aber von seiner Liebsten emp
fohlen wird, Eichenlaub zu tragen, vor dem
mag man sich hüten, mit diesem darf man sich
keinen Scherz erlauben.