88
später waren dann vier der fünf projektierten
Strassen teilweise ausgebaut. Im Zuge der
Bemühungen des Regentenhauses um Wachs
tum, Schönheit und Würde des Stadtbildes der
Residenz mussten weitere Strassen instand
gesetzt werden, und zwar « so zierlich, wie es
nur einem hies’gen Flecken dienlich sein kann ».
Der Geometer Voydeville war mit den Planun
gen betraut worden und hatte u. a. auf eine
nunmehr gute Pflasterung der Strasse zu achten.
Eine erlassene Bauordnung sollte auf eine
schöne Gestaltung der zu errichtenden Hoch
bauten bedacht sein, wobei namentlich- die
zahlreichen herrschaftlichen Beamtenhäuser in
Betracht kamen. Schliesslich kam es nach der
Gräfin Wunsch « nicht allein auf Verschönerung
der Stadt, sondern auch auf Beschaffung der
nötigen Wohnungen » für eine sich verhältnis
mässig rasch vermehrende Bevölkerung an ;
letztgenannte Tatsache war auch Veranlassung,
weshalb man das Heiratsalter auf dreissig
Jahre festsetzte. Es erübrigt sich wohl, an die
verschiedenen stolzen Privatbauten zu erinnern,
die im Zuge der seitens des Leyenhauses ange
regten Baulust erstellt wurden.
Bei Betrachtung der Entwicklung Blieskas
tels innerhalb verhältnismässig kurzer Zeit
stellen wir fest, dass die verschiedenen bauli
chen Massnahmen engstens mit jenen kultu
reller und auch sozialer Art verbunden waren.
Gerade in der neuen Residenz hatte das gräf
liche Haus Gelegenheit, die ihm von Koblenz
her nachgerühmte soziale Einstellung zu bekun
den, die denn auch in der Errichtung des
Waisenhauses ihren sichtbaren Ausdruck
fand. Bereits im Frühjahr 1774 wurde im Wie
sengrund vor Blieskastel, und zwar unter dem
Schloss vor den letzten Häusern des Markt
platzes mit diesem Bau begonnen. Und wenn
wir gerade den Marktplatz nennen, so sei daran
erinnert, dass seine Gestaltung ebenfalls im
Bauprogramm Franz Karls stand. Gerade hier
bei war hinsichtlich der Hebung des Verkehrs
lebens in der Residenz von grosser Bedeutung,
dass man — neben der Abhaltung der üblichen
Jahrmärkte — den gesamten Vieh- und Getrei
dehandel des Amtsbezirkes hierhin zusammen
zog. Hatte der Bischof von Metz am 29. Mai
1775 zu der vom Grafen erbetenen Errichtung
einer Klosterstation der Franziskaner
seine Genehmigung erteilt, so konnte sogleich
der Bau der entsprechenden Gebäude einsetzen ; %
mit Errichtung der Kirche begann man ein
Jahr später, sodass deren Einweihung am
28. Oktober 1778 erfolgen konnte.
Eine bauliche Zierde Blieskastels versprach
schliesslich auch die Stiftskirche zu werden,
die allerdings infolge der Revolutionswürren
nicht fertiggestellt wurde. Wir berühren damit
ein Kapitel, dessen Geschichte ganz kurz
berichtet werden muss.
Erinnerungen an Qräjintal
Bis zum heutigen Tage haben die Ruinen
eines uralten Marienheiligtums in Gräfintal
alle Stürme der Zeit überdauert, Ruinen eines
ehemals stolzen Klosters wie einer eindrucks
vollen Basilika. Gräfin Elisabeth von Blieskastel
hatte aus Dankbarkeit Kloster- und Kirchenbau
errichten lassen, dife 1243 vollendet waren. Am
Tage der feierlichen Weihe hatte die Landes
herrin das miraculose Marienbild in diese Kirche
bringen lassen, das bis dahin in einem Eich
baume auf einer nahen Waldeshöhe stand.
Geistliche der Wilhelmiten-Kongregation erhiel
ten den sie ehrenden Ruf, die Seelsorge am
Wallfahrtsorte zu übernehmen. Aber bald
kamen ernste Zeiten über diese von nah und
fern besuchte Gnadenstätte, der Volk und
Landesherr von jeher in Liebe zugetan waren,
nachdem Kloster und Kirche mehr und mehr
wertvolle Schätze bargen, die zahlreiche Pilger
im Laufe der Jahrhunderte hier niederlegten.
Hatte ein Graf von Eberstein im Jahre 1410
die Klosterkirche aus niederer Habgier ausge
raubt, die Gebäude in Schutt und Asche gelegt,
so fand die Wallfahrtsstätte doch bald wieder
Aufbauer. Jedoch die Bauernkriege im 16. Jahr
hundert, erst recht die Verheerungen des
dreissigjährigen Krieges Hessen von der Schön
heit des Talklosters nicht viel übrig.
Noch einmal wölbten sich, so schreibt H. J.
Becker, über dem erfreulicherweise erhaltenen
Gnadenbilde die Bogen einer schmucken Kir
che, was nicht wunderlich war angesichts der
tiefen Treue, mit der das katholische Volk der
Saar und des Westrichs seit Jahrhunderten der
Verehrung der hl. Jungfrau zu Gräfintal ange
hangen hat. Selbst Fürsten und Könige schlos
sen sich nicht aus, gemeinsam mit dem kleinen
Manne aus dem Volke nach Gräfintal zu ziehen.
Wir erinnern daran, dass beispielsweise der
Polenkönig Stanislaus und Herzog von Loth
ringen — er war der Schwiegersohn des fran
zösischen Königs Ludwig XV., — nicht minder
die Gemahlin des Letztgenannten, eifrige Ver
ehrer « Unserer lieben Frau mit den Pfeilen »
waren.
Es ist verständlich, dass Blieskastels « Grosse
Gräfin » Marianne den sehnlichen Wunsch
hatte, durch Überführung des Gnadenbildes in
ihre Residenz Blieskastel gleichzeitig zum Mit
telpunkt des religiösen Lebens des Landes zu
machen. Verhandlungen mit Rom führten dazu,
dass der Gräfintaler Konvent im November
1785 aufgelöst und in der Folge in ein weltliches,
dem römischen Stuhle unmittelbar unterstelltes
Stift mit Sitz in Blieskastel umgewandelt
wurde ; Durchführung dieser Aufgabe oblag
dem Generalvikar Bertin von Metz. Der Stifts
dekan und sieben seiner Conventualen als
Chorherren bezogen vorerst die St. Sebastians
kirche in Blieskastel, wohin man das Gnaden-
bild in aller Stille verbracht hatte.