Full text: 1948 (0076)

189 
von grober Hand gefügte Holzkreuze standen. 
Mit scheuen Augen suchte er die Zeichen, die 
er einst in die Querbalken kerbte. Dann be 
gannen die bebenden Hände das Unkraut zu 
jäten, bis sie das Efeu freilegten, das er vor 
vielen Jahren aus dem Walde trug, um die 
Schlummerstätte der Seinen damit zu schmük- 
ken. 
Nach einem längst entwöhnten „Vater unser“ 
sank Hartberger in die Knie, schlug die Hände 
vors Gesicht und erlebte noch einmal die Un 
heilsnacht, die ihn zu einem Freibeuter 
stempelte. 
„Margret! Margret!“ Wie ein Geißelbruder, 
der unbarmherzig auf sich einschlägt, bis das 
Blut aus allen Poren qu.llt, kasteite er sein 
wiedererwachtes Herz, das dem Zauber des 
fremden Weibes zu erliegen drohte. Doch je 
härter er sich kasteite und je heftiger er an 
den verharschten Wunden riß, umso deut 
licher wurde die Stimme seines geschändeten 
Weibes, aber sie klang nicht mehr gellend 
undracheheischend, sondern weich und bittend. 
„Sielh dich um, Theiß! Das Rad der Welt 
dreht sich weiter und die Wenigen, die der 
endlos lange Krieg verschonte, reden vom 
Frieden.“ 
„Vom Frieden*.. Närrlein?“ Der Bauer 
kicherte, als lausche er den Worten eines 
träumenden Kindes. „Margret, wo wohnt der 
Friede? Zeig mir sein Häuslein und ich will 
mit nackten Füßen zu ihm pilgern und nichts 
essen und trinken, bis ich ihn finde.“ 
„Du hast ihn schon gefunden. Drum wirf 
Samen in die Erde und des fremden Weibes 
Schoß, und du wirst sehen, wie er auf keimt 
und grünt.“ 
„Närrlein, er wird erfrieren wie ein Hage- 
röslein, das zur Unzeit blüht.“ Theiß Hart 
berger krümpelte sich schaudernd zusammen 
und spürte wieder die schneidenden Stricke, 
die ihn an den Tragpfeiler der Küche fessel 
ten. 
„Hörst du, Margret, wie ein Röslein im 
Winter.“ Aus Hartbergers Kehle stieg ein 
Wimmern. Er mußte es wieder erdulden, daß 
sie den Bub erschlugen, den zwölfjährigen 
Knaben, der den Kriegsknechten in den Arm 
fiel und sie mit seinem Beil bedrohte. 
Das arme Würmlein... Sein Todesschrei 
sprengte des Vaters Stricke, aber die wilde 
Meute riß ihn nieder und stieß ihm ein Eisen 
in die Rippen. Ein eiskaltes Eisen, das ihn 
steif und gefühllos machte und alles Grausen 
verwischte. 
Warum mußten ihn die zurückkehrenden 
Nachbarn wieder zum Leben erwecken — zu 
einem Leben, das keins mehr war? Konnten 
sie nicht allein die geschändete Frau ver 
scharren und das wimmernde Mägdlein, das 
die „Hunde“ verschonten, um es der Pest, der 
schwarzen Würgerin, zu schenken ... 
Er aber floh nach seiner Genesung in den 
wilden Wald, wo er zum reißenden Wolfe 
wurde. 
Dreimal stöberten sie ihn auf. Dreimal zer 
riß er die Fesseln und wechselte er sein Ver 
steck. Jedesmal tropfte das Blut aus vielen 
Wunden, aber sterben konnte er nicht. Warum 
ließ ihn der Himmel weiter leben? 
Der Hartberger klagte wie ein todwundes 
Wild und riß den Kroatendolch von der Hüfte. 
Doch bevor er zustieß, hörte er wieder die 
Stimme der Margret. Jetzt klang sie zürnend 
und streng, und dazwischen gellten die Angst 
rufe der beiden Kinder. 
„Schäm dich, Theiß!“ Hat die Erde nicht 
schon genug Blut getrunken?“ 
„Die Soldatendime! Margret, sag ein 
einziges Wort und ich sende sie den andern 
nach.“ 
„Theiß, eine Buhle trägt ihre Reize zur 
Schau und verbirgt sile nicht unter schmutzigen 
Sold atenlumpen.“ 
„Gott lohn dir dies Wort, Margret.“ Hart 
berger preßte sein bärtiges Antlitz in das Efeu 
des Grabhügels und sch-uchzte laut und rauh. 
Als er sich wieder aufrichtete, war er wie 
verwandelt. Mit festen Schritten und klaren 
Augen näherte er sich der Trümmerstätte, auf 
der einst sein Hof stand und umschritt sie 
prüfend. 
Wurden die Kriegsvölker nicht seltener? 
Hartberger versuchte nachzurechnen, wie 
lange der Krieg schon dauere, aber er fand 
keinen Anfang und kein Ende. Im steten 
Kampf ums bedrohte Leben hatte er längst 
jedes Zeitgefühl verloren und nur mehr den 
Gezeitenwechsel empfunden... 
Und jetzt war es Herbst. Er merkte es am 
Gilben des Waldes, am Sprühen de3 Samens, 
am Zug der Vögel und an der dichten Decke 
des Wildes, das er jagte und schoß. Unter 
den zerrissenen Stiefeln des Bauern — vor 
zwei Jahren gehörten sie noch einem kur- 
trierischen Dragoner — knackten ein paar 
Halme und Hartberger beugte sich jäh über 
einen Büschel Korn, der sich trotzig gegen 
die Umklammerung des Unkrauts wehrte, und 
erbebte. 
Was focht ihn an, und woher kam dieses 
leise Mahnen? Gab es je eine Zeit, da diese 
Frucht auf einem gepflügten Acker wuchs — 
oder rührte sie gar von dem Korn seines 
längst verbrannten Speichers her? 
„O Jesus!“ Hartberger faltete die Hände 
wie vor einem Wunder. Dann tropften Tränen 
in seinen brandigen Bart und perlten hinab 
zur Erde. 
„Solange die Welt besteht, sollen nicht auf 
hören Sommer und Winter, Tag und Nacht, 
Säen und Ernten!“ 
„Ei ja, Säen und Ernten!“ Und war es das 
Ähren wunder oder das kranke Weib, für das 
er jetzt sorgen mußte; das bisherige Leben lag 
wie ein abgestreiftes Wolfsfell vor Hart 
bergers Füßen, und es drängte ihn nach sei 
nem alten friedlichen Gewerbe. 
Der Bauer sammelte alle Ähren, die rings 
um standen, und trug sie in den Wald. Ob 
dem armen Weibsbild auch nichts abgeht? Er 
errötete, und der Weg zu seinem Schlupf 
dünkte ihm heute imendlich weit. 
Beim Anblick der Hütte aber stockten seine 
Füße. Durch seinen Bart zogen sich bereits 
die ersten grauen Strähnen, und sie war tro z 
der zerlumpten Männerkleidung so schön wie 
ein junger Morgen. Der Hartberger barg d e 
Komlast in einer Erdgrube und verschloß sie 
mit Reisig und Fallaub. Dann ergriff er einen
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.