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von grober Hand gefügte Holzkreuze standen.
Mit scheuen Augen suchte er die Zeichen, die
er einst in die Querbalken kerbte. Dann be
gannen die bebenden Hände das Unkraut zu
jäten, bis sie das Efeu freilegten, das er vor
vielen Jahren aus dem Walde trug, um die
Schlummerstätte der Seinen damit zu schmük-
ken.
Nach einem längst entwöhnten „Vater unser“
sank Hartberger in die Knie, schlug die Hände
vors Gesicht und erlebte noch einmal die Un
heilsnacht, die ihn zu einem Freibeuter
stempelte.
„Margret! Margret!“ Wie ein Geißelbruder,
der unbarmherzig auf sich einschlägt, bis das
Blut aus allen Poren qu.llt, kasteite er sein
wiedererwachtes Herz, das dem Zauber des
fremden Weibes zu erliegen drohte. Doch je
härter er sich kasteite und je heftiger er an
den verharschten Wunden riß, umso deut
licher wurde die Stimme seines geschändeten
Weibes, aber sie klang nicht mehr gellend
undracheheischend, sondern weich und bittend.
„Sielh dich um, Theiß! Das Rad der Welt
dreht sich weiter und die Wenigen, die der
endlos lange Krieg verschonte, reden vom
Frieden.“
„Vom Frieden*.. Närrlein?“ Der Bauer
kicherte, als lausche er den Worten eines
träumenden Kindes. „Margret, wo wohnt der
Friede? Zeig mir sein Häuslein und ich will
mit nackten Füßen zu ihm pilgern und nichts
essen und trinken, bis ich ihn finde.“
„Du hast ihn schon gefunden. Drum wirf
Samen in die Erde und des fremden Weibes
Schoß, und du wirst sehen, wie er auf keimt
und grünt.“
„Närrlein, er wird erfrieren wie ein Hage-
röslein, das zur Unzeit blüht.“ Theiß Hart
berger krümpelte sich schaudernd zusammen
und spürte wieder die schneidenden Stricke,
die ihn an den Tragpfeiler der Küche fessel
ten.
„Hörst du, Margret, wie ein Röslein im
Winter.“ Aus Hartbergers Kehle stieg ein
Wimmern. Er mußte es wieder erdulden, daß
sie den Bub erschlugen, den zwölfjährigen
Knaben, der den Kriegsknechten in den Arm
fiel und sie mit seinem Beil bedrohte.
Das arme Würmlein... Sein Todesschrei
sprengte des Vaters Stricke, aber die wilde
Meute riß ihn nieder und stieß ihm ein Eisen
in die Rippen. Ein eiskaltes Eisen, das ihn
steif und gefühllos machte und alles Grausen
verwischte.
Warum mußten ihn die zurückkehrenden
Nachbarn wieder zum Leben erwecken — zu
einem Leben, das keins mehr war? Konnten
sie nicht allein die geschändete Frau ver
scharren und das wimmernde Mägdlein, das
die „Hunde“ verschonten, um es der Pest, der
schwarzen Würgerin, zu schenken ...
Er aber floh nach seiner Genesung in den
wilden Wald, wo er zum reißenden Wolfe
wurde.
Dreimal stöberten sie ihn auf. Dreimal zer
riß er die Fesseln und wechselte er sein Ver
steck. Jedesmal tropfte das Blut aus vielen
Wunden, aber sterben konnte er nicht. Warum
ließ ihn der Himmel weiter leben?
Der Hartberger klagte wie ein todwundes
Wild und riß den Kroatendolch von der Hüfte.
Doch bevor er zustieß, hörte er wieder die
Stimme der Margret. Jetzt klang sie zürnend
und streng, und dazwischen gellten die Angst
rufe der beiden Kinder.
„Schäm dich, Theiß!“ Hat die Erde nicht
schon genug Blut getrunken?“
„Die Soldatendime! Margret, sag ein
einziges Wort und ich sende sie den andern
nach.“
„Theiß, eine Buhle trägt ihre Reize zur
Schau und verbirgt sile nicht unter schmutzigen
Sold atenlumpen.“
„Gott lohn dir dies Wort, Margret.“ Hart
berger preßte sein bärtiges Antlitz in das Efeu
des Grabhügels und sch-uchzte laut und rauh.
Als er sich wieder aufrichtete, war er wie
verwandelt. Mit festen Schritten und klaren
Augen näherte er sich der Trümmerstätte, auf
der einst sein Hof stand und umschritt sie
prüfend.
Wurden die Kriegsvölker nicht seltener?
Hartberger versuchte nachzurechnen, wie
lange der Krieg schon dauere, aber er fand
keinen Anfang und kein Ende. Im steten
Kampf ums bedrohte Leben hatte er längst
jedes Zeitgefühl verloren und nur mehr den
Gezeitenwechsel empfunden...
Und jetzt war es Herbst. Er merkte es am
Gilben des Waldes, am Sprühen de3 Samens,
am Zug der Vögel und an der dichten Decke
des Wildes, das er jagte und schoß. Unter
den zerrissenen Stiefeln des Bauern — vor
zwei Jahren gehörten sie noch einem kur-
trierischen Dragoner — knackten ein paar
Halme und Hartberger beugte sich jäh über
einen Büschel Korn, der sich trotzig gegen
die Umklammerung des Unkrauts wehrte, und
erbebte.
Was focht ihn an, und woher kam dieses
leise Mahnen? Gab es je eine Zeit, da diese
Frucht auf einem gepflügten Acker wuchs —
oder rührte sie gar von dem Korn seines
längst verbrannten Speichers her?
„O Jesus!“ Hartberger faltete die Hände
wie vor einem Wunder. Dann tropften Tränen
in seinen brandigen Bart und perlten hinab
zur Erde.
„Solange die Welt besteht, sollen nicht auf
hören Sommer und Winter, Tag und Nacht,
Säen und Ernten!“
„Ei ja, Säen und Ernten!“ Und war es das
Ähren wunder oder das kranke Weib, für das
er jetzt sorgen mußte; das bisherige Leben lag
wie ein abgestreiftes Wolfsfell vor Hart
bergers Füßen, und es drängte ihn nach sei
nem alten friedlichen Gewerbe.
Der Bauer sammelte alle Ähren, die rings
um standen, und trug sie in den Wald. Ob
dem armen Weibsbild auch nichts abgeht? Er
errötete, und der Weg zu seinem Schlupf
dünkte ihm heute imendlich weit.
Beim Anblick der Hütte aber stockten seine
Füße. Durch seinen Bart zogen sich bereits
die ersten grauen Strähnen, und sie war tro z
der zerlumpten Männerkleidung so schön wie
ein junger Morgen. Der Hartberger barg d e
Komlast in einer Erdgrube und verschloß sie
mit Reisig und Fallaub. Dann ergriff er einen