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raden, die noch vor Sekunden und Minuten
in der Blüte ihres Lebens unter uns standen,
lagen jetzt zerschmettert im Schachtsumpf,“
Die Pensionäre merkten gar nicht, daß sie
schon lange auf demselben Platze standen,
wo damals der Tod so reich erntete. Erst als
Bachwendel die Tränen in den Bart rannen,
gingen sie weiter. Auch ihre Tränen rannen,
als Wendel endigte: „Erst konnte ichs nicht
fassen, daß auch Müllerfranz dabei war. da
er doch immer die 2. Schale hatte. Dann
erinnerte ich mich seines letzten Lächelns, da
ich auf den Korb getreten war. Keiner hatte
mich auf dem Büro verlangt, doch rief man
mich von der Todesschale herunter. Ich
wußte jetzt, Sie, zu der ich allmorgendlich
betete, Hatte mich zurückgerufen. Ich folgte
ihr und ließ unbewußt meinen guten Kame
raden einsteigen, der jetzt schon 30 Jahre tot
ist, wo es sicherlich doch von Anfang an für
mich bestimmt war..
Die alten Pensionäre schritten stumm heim
wärts, nur einer sah noch oft zurück auf den
einsamen im Abenddämmern versinkenden
Schacht. Bachwendel dachte an seinen toten
Kameraden und an seine letzte Fahrt. —
Daheim aber im guten Stübchen des Berg
mannshauses hängt noch wohlbehütet und
sorgsam von den eigenen Söhnen beachtet das
St. Barbarabild des Urahnen. Nach Wendeis
Tod wird es einer dieser jungen Knappen er
halten und weiter hüten.
Die alte Schrämpicke
Eine saarländische Bergmannsskizze.
Schon seit Tagen war die Kohle im Schräm-
stoß des Querschlages braunrot gefärbt. Nun
hieb die 2 Meter lange Schrämstange plötz
lich durch und ins Leere. „Tschtschtsch..“ blies
die Preßluft. Der Drittelführer und Gesteins
hauer Jakob Tüll stellte die Maschine ab,
nahm Brecheisen und Pickhammer und be
gann das Loch zu vergrößern. Bald sprang er
hinein in einen noch wohl erhaltenen Arbeits
punkt, auf den man ganz plötzlich gestoßen
war. Die Benzinlampe Tülls zeigte keine
Schlechten Wetter an, sodaß er mit seinem
alten Kameraden Heiner die alte Arbeit aus
spähen und absuchen konnte, während die
beiden Schlepper immer noch vor Ort im
Qjuerschlag die Kohle förderten.
Nach einiger Zeit kam der Steiger mit dem
alten Fahrsteiger Göbel vom jenseitigen Re
vier, auf das man ja den Querschlag zutrieb.
„Glückauf“! —
„Glückauf!“ scholl es den beiden aus der
Arbeit dumpf entgegen. Die Steiger stiegen
hinein, indes ruhten draußen die Schlepper
und lauschten.
„Eine Arbeit aus der Zeit von vor 1914 ist
es, ehe die Grube also im Westfeld brannte“
sprach Göbel, und gemeinsam mit dem Steiger
befuhr er den ganzen „alten Mann“. Tüll aber
hatte längst schon alles ausgemacht. Ganz
wunderlich kam ihm das alles vor und zwar
so, als sei er in die heimliche Kammer des
Berggeistes hineingeraten, so still und seltsam
war diese verlassene Arbeit. Das ganze Ge-
zähe stand noch in der Strecke. Ja, die Grube
war ja über Sonntag in Brand geraten dazu
mal; kein Knappe war drin gewesen, nur die
armen Pferde und das Gezähe.
Überall lag faustdicker Staub, altmodische
Kettenschüttelrutschen und eine ebensolche
Schrämmaschine lagen auf der Sohle. Der
ganze Ausbau stand noch; bis hierher war
das Feuer nicht vorgedrungen, irgendwo hatte
ein Damm es abgehalten, vielleicht ein zu
fälliger Bergbruch.
Und nun stand Tüll da, eine uralte Schräm
picke in der Hand und lauschte den Worte*
de9 Fahrsteigers. Der nannte jetzt sogar
Namen von Knappen, die vor 30 Jahren hier
ln‘Arbeit standen. Göbel befuhr ja noch vor
dem Brand als junger Hilfssteiger dieses Re
vier: „Heisei, Becker, Tüll, Müller..“ Jäh
unterbrach ihn jetzt Jakob Tüll: „Tüll!? —
sagt mir doch Fahrsteiger, war der etwa ver
wandt mit mir oder wie war sein Vorname?“
Göbel sann etwas nach und sagte: „Peter,
ja Peter Tüll hieß er und ich glaube, 1915 ist
er in Rußland gefallen...“
„Und ich heiße Jakob Tüll, bin sein einziger
Sohn und — und — und...“. Der junge, sonst
so harte Bergmann brachte kein Wort mehr
heraus. Eine alte Picke hielt er dabei in de*
Händen, die er dem Fahrsteiger gab, der sie
lange betrachtete.
Endlich aber sagte Tüll: „Ich stehe also io
der Arbeit, in der auch schon meines Vaters
Pickelschlag erklang und dabei seine Schweiß
tropfen fielen. Mein Vater, — den ich nicht
gekannt habe, weil er ja schon 1915 in Ruß
land fiel, dessen Grab ich dort suchte und
nicht fand, ehe man mich von der Ostfront
zur Bergarbeit heimnahm. Jetzt aber ist mir,
als sähe ich ihn hier vor Ort leibhaftig vor
mir, meinen toten Vater, dessen Schrämpicke
zu finden ich hier das Glück haben sollte...“.
Der Fahrsteiger beleuchtete genau das alte
Gezähestück: „Wahrhaftig“, rief er feierlich.