Full text: 1948 (0076)

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raden, die noch vor Sekunden und Minuten 
in der Blüte ihres Lebens unter uns standen, 
lagen jetzt zerschmettert im Schachtsumpf,“ 
Die Pensionäre merkten gar nicht, daß sie 
schon lange auf demselben Platze standen, 
wo damals der Tod so reich erntete. Erst als 
Bachwendel die Tränen in den Bart rannen, 
gingen sie weiter. Auch ihre Tränen rannen, 
als Wendel endigte: „Erst konnte ichs nicht 
fassen, daß auch Müllerfranz dabei war. da 
er doch immer die 2. Schale hatte. Dann 
erinnerte ich mich seines letzten Lächelns, da 
ich auf den Korb getreten war. Keiner hatte 
mich auf dem Büro verlangt, doch rief man 
mich von der Todesschale herunter. Ich 
wußte jetzt, Sie, zu der ich allmorgendlich 
betete, Hatte mich zurückgerufen. Ich folgte 
ihr und ließ unbewußt meinen guten Kame 
raden einsteigen, der jetzt schon 30 Jahre tot 
ist, wo es sicherlich doch von Anfang an für 
mich bestimmt war.. 
Die alten Pensionäre schritten stumm heim 
wärts, nur einer sah noch oft zurück auf den 
einsamen im Abenddämmern versinkenden 
Schacht. Bachwendel dachte an seinen toten 
Kameraden und an seine letzte Fahrt. — 
Daheim aber im guten Stübchen des Berg 
mannshauses hängt noch wohlbehütet und 
sorgsam von den eigenen Söhnen beachtet das 
St. Barbarabild des Urahnen. Nach Wendeis 
Tod wird es einer dieser jungen Knappen er 
halten und weiter hüten. 
Die alte Schrämpicke 
Eine saarländische Bergmannsskizze. 
Schon seit Tagen war die Kohle im Schräm- 
stoß des Querschlages braunrot gefärbt. Nun 
hieb die 2 Meter lange Schrämstange plötz 
lich durch und ins Leere. „Tschtschtsch..“ blies 
die Preßluft. Der Drittelführer und Gesteins 
hauer Jakob Tüll stellte die Maschine ab, 
nahm Brecheisen und Pickhammer und be 
gann das Loch zu vergrößern. Bald sprang er 
hinein in einen noch wohl erhaltenen Arbeits 
punkt, auf den man ganz plötzlich gestoßen 
war. Die Benzinlampe Tülls zeigte keine 
Schlechten Wetter an, sodaß er mit seinem 
alten Kameraden Heiner die alte Arbeit aus 
spähen und absuchen konnte, während die 
beiden Schlepper immer noch vor Ort im 
Qjuerschlag die Kohle förderten. 
Nach einiger Zeit kam der Steiger mit dem 
alten Fahrsteiger Göbel vom jenseitigen Re 
vier, auf das man ja den Querschlag zutrieb. 
„Glückauf“! — 
„Glückauf!“ scholl es den beiden aus der 
Arbeit dumpf entgegen. Die Steiger stiegen 
hinein, indes ruhten draußen die Schlepper 
und lauschten. 
„Eine Arbeit aus der Zeit von vor 1914 ist 
es, ehe die Grube also im Westfeld brannte“ 
sprach Göbel, und gemeinsam mit dem Steiger 
befuhr er den ganzen „alten Mann“. Tüll aber 
hatte längst schon alles ausgemacht. Ganz 
wunderlich kam ihm das alles vor und zwar 
so, als sei er in die heimliche Kammer des 
Berggeistes hineingeraten, so still und seltsam 
war diese verlassene Arbeit. Das ganze Ge- 
zähe stand noch in der Strecke. Ja, die Grube 
war ja über Sonntag in Brand geraten dazu 
mal; kein Knappe war drin gewesen, nur die 
armen Pferde und das Gezähe. 
Überall lag faustdicker Staub, altmodische 
Kettenschüttelrutschen und eine ebensolche 
Schrämmaschine lagen auf der Sohle. Der 
ganze Ausbau stand noch; bis hierher war 
das Feuer nicht vorgedrungen, irgendwo hatte 
ein Damm es abgehalten, vielleicht ein zu 
fälliger Bergbruch. 
Und nun stand Tüll da, eine uralte Schräm 
picke in der Hand und lauschte den Worte* 
de9 Fahrsteigers. Der nannte jetzt sogar 
Namen von Knappen, die vor 30 Jahren hier 
ln‘Arbeit standen. Göbel befuhr ja noch vor 
dem Brand als junger Hilfssteiger dieses Re 
vier: „Heisei, Becker, Tüll, Müller..“ Jäh 
unterbrach ihn jetzt Jakob Tüll: „Tüll!? — 
sagt mir doch Fahrsteiger, war der etwa ver 
wandt mit mir oder wie war sein Vorname?“ 
Göbel sann etwas nach und sagte: „Peter, 
ja Peter Tüll hieß er und ich glaube, 1915 ist 
er in Rußland gefallen...“ 
„Und ich heiße Jakob Tüll, bin sein einziger 
Sohn und — und — und...“. Der junge, sonst 
so harte Bergmann brachte kein Wort mehr 
heraus. Eine alte Picke hielt er dabei in de* 
Händen, die er dem Fahrsteiger gab, der sie 
lange betrachtete. 
Endlich aber sagte Tüll: „Ich stehe also io 
der Arbeit, in der auch schon meines Vaters 
Pickelschlag erklang und dabei seine Schweiß 
tropfen fielen. Mein Vater, — den ich nicht 
gekannt habe, weil er ja schon 1915 in Ruß 
land fiel, dessen Grab ich dort suchte und 
nicht fand, ehe man mich von der Ostfront 
zur Bergarbeit heimnahm. Jetzt aber ist mir, 
als sähe ich ihn hier vor Ort leibhaftig vor 
mir, meinen toten Vater, dessen Schrämpicke 
zu finden ich hier das Glück haben sollte...“. 
Der Fahrsteiger beleuchtete genau das alte 
Gezähestück: „Wahrhaftig“, rief er feierlich.
	        
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