Full text: 1948 (0076)

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das schreckliche Unglück den Schacht und 
uns alle traf?“ 
„Jawohl, Hans! Grade dies geht mir ja im 
Kopf herum, weil es heute auf den Tag genau 
30 Jahre her sind, da ich dem Tode so tief 
ins Auge sah wie noch nie in meinem Leben.“ 
„Erzähle! Erzähle doch!“ rief Hans nun 
laut. Die andern nickten dazu und zogen 
emsig an ihren laut röchelnden irdenen 
Pfeifen. 
Erst zag und leise, dann aber immer lauter 
begann er nun zu erzählen: „Ihr alle wißt es 
ja, daß ich heute vor 30 langen Jahren Früh 
schicht hatte. Mir ist. als sei es gestern erst 
gewesen und ich glaube, ihr alle hattet Mit 
tag- oder Nachtschijnt. — ic.i muß aber noch 
etwas zurückgreifen In meinen jung n Ja ren 
schon hatte mein Vater selig daheim in un 
serer Kammer ein kleines Bildlein an der 
Wand hängen. Lieblich lächelte auf ihm die 
heilige Barbara vor Ort mit einem s erbend n 
Bergmann, den sie tröstend ars haute. Dar 
unter aber stand in goldenen Buchstaben: 
Heilige St. Barbara, 
Du bist heut’ und immer da. 
Sei bei uns, wenn’s Feuer loht, 
Tröste uns im schweren Knappentod ... 
Diese Worte nun begleiteten mich zu meiner 
ersten Schicht. Wie Deiiaufig schaute meine 
Muu,er ja mit mir auf das Bild, ehe ich zur 
Grube ging. Auch in unserer Kirche hing 
seit undenklichen Tagen eine Fahne des alten 
Bergmannsvereins. Darauf lächelte St. Bar 
bara ähnlich wie auf unserem Bilde. So er 
stand in meiner jugendlichen Vorstellungswelt 
das wunderbare und starke Bildnis der Schutz 
patronin aller Bergleute, welches ich auch 
heute noch unverblaßt im Herzen trage.“ 
Einen Steinwurf weit schwieg Wendel und 
sog schneller an seiner Pfeife. „Erzähl doch 
weiter!“ drängten nun alle, worauf er fort 
fuhr: „Ich war so versessen auf das Bild, daß 
ich bei meiner Heirat mit den Brüdern und 
dem Vater eine Auseinandersetzung darum 
bekam. Sie wollten es im Hause behalten, ich 
aber hätte es gerne mitgenommen in mein 
junges Heim. Da gab meine gute Mutter den 
Ausschlag. ■ Sie redete dem Vater sein Bild 
heraus und brachte es mir selber eines Tages 
in das neue Heim. Von der Mutter erfuhr 
ich erst, daß es schon dem Großvater gehörte. 
Der kaufte es sich nach seiner wunderbaren 
Errettung gelegentlich einer Schlagwetter 
explosion auf der alten Grube Bauernwald. 
In meiner Wohnung erhielt es seinen Ehren 
platz und jedes Jahr am Barbaratage 
schmückte ich es mit Tannengrün. Ohne daß 
es ein Mensch wußte, wurde die Bildinschrift 
mein Anfahrtsgebet. Wenn die anderen still 
ihr Vaterunser beteten, dachte ich stets: „Hei 
lige Barbara, Du bist stets und immer da...!“ 
Und mein Leben stand unter ihrem Schutz. 
Nie fürchtete ich darum einmal Feuer, Wasser, 
Gestein und Tod!“ 
Wendel verhielt plötzlich seinen Schritt 
und schloß kurz die Augen. Dann ging er 
wieder weiter und fuhr fort: „Dann kam jener 
regendurchschwängerte Märzmorgen heute vor 
30 Jahren. Ich wäre zu spät gekommen, um, 
wie gewohnt, mit der ersten Schale hinabzu 
fahren. So lief ich denn über das nasse Feld 
durch Dorngestrüpp und Wald querein. Ganz 
durchnäßt war ich und dazu brach mir der 
Schweiß aus allen Poren. War ich doch nie 
ein Freund vom Zuspätkommen gewesen, das 
wißt ihr ja alle. So kam ich denn auch an 
diesem Tage noch rechtzeitig zur Lampen 
bude, als bereits die ersten Kameraden aufs 
Gerippe gingen. Schnell lief auch ich noch 
hinzu. Und viel schneller als meine Beine 
liefen nun meine Gedanken, und still, wie an 
den anderen Morgen betete ich: „Heilige 
Barbara, Du bist heut und immer da...!“ 
Jahrelang fuhr ich ja schon derart meine 
Tour auf dem P. Gerippe, und zwar als letzter 
Mann auf der obersten Etage. Auf dem 2. 
Gerippe folgte dann stets als nächster der 
Müllerfranz, mein allerbester Freund und Ka 
merad. Der war ja damals Partiemann in 
einer einfallenden Strecke auf der 5. Sohle. 
Nur kurz konnte ich ihm diesen Morgen das 
gewohnte „Glückauf“ entgegenrufen. Dann 
stand ich schon, wie gewohnt, auf meiner 
Schale, gerade auf die Sekunde hatte es ja 
noch gelangt. Und heute, nach 30 Jahren, 
sehe ich immer noch sein stets freundliches 
Gesicht. Dann riegelte der Anschläger die 
eiserne Türe hinter mir zu und trat an das 
Signal. Da wurde es mir auf einmal unsäglich 
sonderbar zumute, ganz beklemmend sozu 
sagen um das Herz. Und gleichzeitig ver 
meinte ich draußen in der Schachthalle mei 
nen Namen rufen zu hören. Auch klang in 
meinem Unterbewußtsein noch in einem fort 
das Wort „St. Barbara“. 
Statt, daß nun die Schale, auf der ich stand, 
mit ihrer kostbaren Menschenlast hinabglitt 
in die Tiefe, blieb sie mir ganz unverständ 
lich lange auf der Hängebank. Mein heißes 
irgendwie ahnendes Gefühl verließ mich erst, 
als der Anschläger zu mir in den Korb rief: 
„Bachwendel, sollst sofort zurück zum Steiger 
kommen!“ 
Er öffnete wieder, ich trat hinaus, wortlos 
ging ich an meinem Kamerad und Freund 
vorbei. Der stieg an meiner Statt ein und ich 
ging zum Steigerbüro. Noch hörte ich das 
Signal in der Schachthalle schrillen, als der 
alte Steiger Ludwig mich erstaunt nach mei 
nem Begehr fragte. Da tat auch ich erstaunt 
und sagte: „Man rief mich soeben vom Ge 
rippe herunter zu Ihnen ...“ 
Weiter kam ich nicht mehr. Ein ohren 
betäubendes Rasseln, Schlagen unu bersten 
draußen im Schacht ließ uns jäh auffahren. 
Ich lief sofort mit Steiger Ludwig in die 
Schachthalle und was soll ich nun noch sagen? 
Ihr alle wißt, was geschehen war. Zerrissen 
baumelte ein Seil von der Scheibe herunter, 
das andere fehlte ganz. Der Korb war mit 22 
braven Kameraden in die Tiefe gestürzt. Wie 
gelähmt standen alle und sahen auf mich. Ich 
betete, stöhnte: „... Tröste uns im Knappen 
tod.“ 
Alles betete, fieberte, beriet. Jeder wollte 
helfen. Ach und gar keiner konnte doch mehr 
helfen. Menschenhilfe war zu winzig und 
auch nicht mehr vonnöten. 22 liebe Kame
	        
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