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das schreckliche Unglück den Schacht und
uns alle traf?“
„Jawohl, Hans! Grade dies geht mir ja im
Kopf herum, weil es heute auf den Tag genau
30 Jahre her sind, da ich dem Tode so tief
ins Auge sah wie noch nie in meinem Leben.“
„Erzähle! Erzähle doch!“ rief Hans nun
laut. Die andern nickten dazu und zogen
emsig an ihren laut röchelnden irdenen
Pfeifen.
Erst zag und leise, dann aber immer lauter
begann er nun zu erzählen: „Ihr alle wißt es
ja, daß ich heute vor 30 langen Jahren Früh
schicht hatte. Mir ist. als sei es gestern erst
gewesen und ich glaube, ihr alle hattet Mit
tag- oder Nachtschijnt. — ic.i muß aber noch
etwas zurückgreifen In meinen jung n Ja ren
schon hatte mein Vater selig daheim in un
serer Kammer ein kleines Bildlein an der
Wand hängen. Lieblich lächelte auf ihm die
heilige Barbara vor Ort mit einem s erbend n
Bergmann, den sie tröstend ars haute. Dar
unter aber stand in goldenen Buchstaben:
Heilige St. Barbara,
Du bist heut’ und immer da.
Sei bei uns, wenn’s Feuer loht,
Tröste uns im schweren Knappentod ...
Diese Worte nun begleiteten mich zu meiner
ersten Schicht. Wie Deiiaufig schaute meine
Muu,er ja mit mir auf das Bild, ehe ich zur
Grube ging. Auch in unserer Kirche hing
seit undenklichen Tagen eine Fahne des alten
Bergmannsvereins. Darauf lächelte St. Bar
bara ähnlich wie auf unserem Bilde. So er
stand in meiner jugendlichen Vorstellungswelt
das wunderbare und starke Bildnis der Schutz
patronin aller Bergleute, welches ich auch
heute noch unverblaßt im Herzen trage.“
Einen Steinwurf weit schwieg Wendel und
sog schneller an seiner Pfeife. „Erzähl doch
weiter!“ drängten nun alle, worauf er fort
fuhr: „Ich war so versessen auf das Bild, daß
ich bei meiner Heirat mit den Brüdern und
dem Vater eine Auseinandersetzung darum
bekam. Sie wollten es im Hause behalten, ich
aber hätte es gerne mitgenommen in mein
junges Heim. Da gab meine gute Mutter den
Ausschlag. ■ Sie redete dem Vater sein Bild
heraus und brachte es mir selber eines Tages
in das neue Heim. Von der Mutter erfuhr
ich erst, daß es schon dem Großvater gehörte.
Der kaufte es sich nach seiner wunderbaren
Errettung gelegentlich einer Schlagwetter
explosion auf der alten Grube Bauernwald.
In meiner Wohnung erhielt es seinen Ehren
platz und jedes Jahr am Barbaratage
schmückte ich es mit Tannengrün. Ohne daß
es ein Mensch wußte, wurde die Bildinschrift
mein Anfahrtsgebet. Wenn die anderen still
ihr Vaterunser beteten, dachte ich stets: „Hei
lige Barbara, Du bist stets und immer da...!“
Und mein Leben stand unter ihrem Schutz.
Nie fürchtete ich darum einmal Feuer, Wasser,
Gestein und Tod!“
Wendel verhielt plötzlich seinen Schritt
und schloß kurz die Augen. Dann ging er
wieder weiter und fuhr fort: „Dann kam jener
regendurchschwängerte Märzmorgen heute vor
30 Jahren. Ich wäre zu spät gekommen, um,
wie gewohnt, mit der ersten Schale hinabzu
fahren. So lief ich denn über das nasse Feld
durch Dorngestrüpp und Wald querein. Ganz
durchnäßt war ich und dazu brach mir der
Schweiß aus allen Poren. War ich doch nie
ein Freund vom Zuspätkommen gewesen, das
wißt ihr ja alle. So kam ich denn auch an
diesem Tage noch rechtzeitig zur Lampen
bude, als bereits die ersten Kameraden aufs
Gerippe gingen. Schnell lief auch ich noch
hinzu. Und viel schneller als meine Beine
liefen nun meine Gedanken, und still, wie an
den anderen Morgen betete ich: „Heilige
Barbara, Du bist heut und immer da...!“
Jahrelang fuhr ich ja schon derart meine
Tour auf dem P. Gerippe, und zwar als letzter
Mann auf der obersten Etage. Auf dem 2.
Gerippe folgte dann stets als nächster der
Müllerfranz, mein allerbester Freund und Ka
merad. Der war ja damals Partiemann in
einer einfallenden Strecke auf der 5. Sohle.
Nur kurz konnte ich ihm diesen Morgen das
gewohnte „Glückauf“ entgegenrufen. Dann
stand ich schon, wie gewohnt, auf meiner
Schale, gerade auf die Sekunde hatte es ja
noch gelangt. Und heute, nach 30 Jahren,
sehe ich immer noch sein stets freundliches
Gesicht. Dann riegelte der Anschläger die
eiserne Türe hinter mir zu und trat an das
Signal. Da wurde es mir auf einmal unsäglich
sonderbar zumute, ganz beklemmend sozu
sagen um das Herz. Und gleichzeitig ver
meinte ich draußen in der Schachthalle mei
nen Namen rufen zu hören. Auch klang in
meinem Unterbewußtsein noch in einem fort
das Wort „St. Barbara“.
Statt, daß nun die Schale, auf der ich stand,
mit ihrer kostbaren Menschenlast hinabglitt
in die Tiefe, blieb sie mir ganz unverständ
lich lange auf der Hängebank. Mein heißes
irgendwie ahnendes Gefühl verließ mich erst,
als der Anschläger zu mir in den Korb rief:
„Bachwendel, sollst sofort zurück zum Steiger
kommen!“
Er öffnete wieder, ich trat hinaus, wortlos
ging ich an meinem Kamerad und Freund
vorbei. Der stieg an meiner Statt ein und ich
ging zum Steigerbüro. Noch hörte ich das
Signal in der Schachthalle schrillen, als der
alte Steiger Ludwig mich erstaunt nach mei
nem Begehr fragte. Da tat auch ich erstaunt
und sagte: „Man rief mich soeben vom Ge
rippe herunter zu Ihnen ...“
Weiter kam ich nicht mehr. Ein ohren
betäubendes Rasseln, Schlagen unu bersten
draußen im Schacht ließ uns jäh auffahren.
Ich lief sofort mit Steiger Ludwig in die
Schachthalle und was soll ich nun noch sagen?
Ihr alle wißt, was geschehen war. Zerrissen
baumelte ein Seil von der Scheibe herunter,
das andere fehlte ganz. Der Korb war mit 22
braven Kameraden in die Tiefe gestürzt. Wie
gelähmt standen alle und sahen auf mich. Ich
betete, stöhnte: „... Tröste uns im Knappen
tod.“
Alles betete, fieberte, beriet. Jeder wollte
helfen. Ach und gar keiner konnte doch mehr
helfen. Menschenhilfe war zu winzig und
auch nicht mehr vonnöten. 22 liebe Kame