184
in seinem dunklen Bann. Daheim war Feld
arbeit über die Maßen, der junge Peter aber
blieb Bergmann. Einmal hatte ihn der grau
sigste Berggeist, der urewige Tod, selber schon
auf seiner schweren Kohlenschaufel. Mit
knapperNot rutschte er noch rechtzeitig davon
herunter, jedoch ein Auge vertor er dabei —
der Stoßen behielt es. Und fortan trug Peter
•die blauen Bergmannsmale und seine leere
Augenhöhle im Antlitz. So grub er noch lange
Kohlen und später kamen auch seine Söhne,
darunter auch Peter, mein Großvater väter
licherseits, der mir dies alles vor Jahrzehnten
selber erzählte. Er kam schon unfreiwillig,
denn das Land unter sechs Buben verteilt,
reichte ja nicht mehr. Auch Johann, sein
ältester Sohn, kam mit 18 Jahren. Auch er
■mußte, aber er hatte die Wahl: entweder zur
Hütte oder zur Eisenbahn, hieß es, oder in
die Grube. Da ging er in den Berg, er konnte
wohl nicht anders. Unlöslich verkettet, im
Blut liegend ...
Dann erfuhr ichs am eigenen Leibe. Ehe
der erste Weltkrieg ausbrach, lief ich 14jährig
dem guten, alten, ergrauten Obersteiger Kuhn,
der wie ein gütiger Berggeist unter und über
Tage auf dem Josefaschacht, dem Nachfahr
der Grube Bauernwald, herumlief, die Türe
ein bis er mich anlegte. Zwei unvergeß
liche Jahre durfte ich als jugendlicher Berg
mann dahier im rauschenden Walde und über
Tage verleben. Dann, mit 16 Jahren, erhielt
ich meine Benzinlampe — die Nummer 214
trug sie, so gut weiß ichs noch — und mußte
hinabfahren unter den Hohberg. Viel tiefer
schaffte ich hier als einst die Urgroßväter.
Und der alte Bauernwaldstollen führte mir
stets frische Wetter zu, seine letzte Aufgabe
in seinen alten Tagen.
Als dann einmal auf „Josefa“ der Quer
schlag zu Bruch ging, mußten wir zu Fuß
durch den Stollen über Tage. Da schritt ich
einher auf den Spuren der Väter lichtsehn
süchtig, doch aufrecht, schicksalbejahend. Fast
ein Menschenalter ging es noch so auf allen
Gruben rundum. Da traf mich ein schwereres
Los als das im Blute liegende es jemals war:
brotlos geworden, durfte ich viele Jahre nicht
mehr hinao in die Tiefe, wo die Geister der
Väter bisher mit mir wandelten. Schier un
tragbar schien mir das. Und als mich dann
ein unergründliches Schicksal für immer aus
dem Bergwerk nahm, wurde mir, als ver
leugne ich etwas, das schon immer in unserer
Sippe heilig galt: das Bergmannsblut. So sitzt
denn eine heimliche Sehnsucht nach der Tiefe
und meinen immer noch in ihr werkenden
guten Kameraden als unausrottbar in meinem
Herzen.
Verwittert, fast traurig schaut mich das
altersgraue Haupt des Bauemwaldstollens an,
so oft ich auch vorübergehen mag. Mir ist
dann, als raune es klagend aus seinem In
nern: die Geister der mir nun zürnenden
Ahnen, die hier schafften. Stumm und tot
liegt auch die alte Bergehalde nebenan.
Bläulich träumt sie in die Gegenwart, ein
Stück Sehnsucht nach der Tiefe im Innern
des Berges verströmend. Und diese Sehnsucht
nach der Tiefe überfällt mich zuweilen un
sagbar schwer. Bergmannsblux ...
St. Barbara« Ruf
Nach einer wahren Begebenheit.
Eine angeregt plaudernde Gruppe von Pen
sionären — alte in Ehren ergraute und aus
gediente Bergleute — schlenderten wie alle
Tage aus dem Tale herauf über die Höhe. Es
zog sie ja immer hin zu dem einsamen
Schacht, in den sie so manches Jahr hinab
gefahren waren zu schaffen und zu sorgen für
das tägliche Brot. Dem Schacht, der sie vor
Jahren schon freigab, gehörten sie trotzdem
ihr Leben lang. Gute und schlechte Zeiten
hatte er ja immer mit ihnen geteilt, frohe
und auch traurige Stunden.
Es war schon lange Tradition bei den Alten,
daß, sooft der Schachtbock auftauchte, ab
wechselnd jeden Tag ein anderer irgend ein
Erlebnis aus seiner Schaffenszeit erzählen
mußte. Die seltsamsten Schnurren und Ränke,
einst von fröhlichen Knappen ausgeheckt und
vollbracht, wurden da sorglos-friedlich auf
gewärmt. Immer lachten alle herzhaft dabei
einst. wäh r end der Schuht. Nur ei^r
lachte nicht mit, der, sooft man an den
Scnacht Kam, scheu am Ende schritt, schwer
auf seinen ehemaligen Grubenstecken gestüczt.
Der alte Bachwendel war es, der früher hier
auf dem Schacht Chlotilde Schießhauer war.
Sooft Bachwendel an der Reihe war, er
zählte er etwas sehr Interessantes. Vor acht
Tagen gab er zum letzten Male etwas zum
Besten. Es war die spassige Geschichte, wie
er seinem Lehrhauer das Schnapstrinken ab
gewöhnte. Ein jeder war froh, daß der gute
Erzähler heute wieder an der Reihe war. —
,.Na, Wendel!“ rief Schmitthäns dringend
von der Spitze her, ,.Du kenntest anfangen.
Oder weißt Du nichts mehr davon, wie damals