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uns in der Stadt getroffen, der Vater und ich,
aber wir waren sehr traurig, weil du nicht
mehr bei uns sein willst. Ist das wirklich
dein Ernst? Vater will ein ordentlicher und
enthaltsamer Mensch werden. Jetzt arbeitet
er im Wald, ein schönes Brot, er trinkt auch
nichts mehr, keinen Tropfen. Er rührt kein
Glas mehr an. Heute war das etwas anderes,
heute mußten wir einkehren, weil wir uns
soviel zu erzählen hatten . . . Das schreibst
du ihr, und vergiß nicht zu schreiben, daß
ich auch ein schönes Häuschen kaufen will,
hier am Waldrand, es ist der Traum deiner
Mutter, ja?“
Aber nun war es Martha, die weinte. Kar
renschmidt blickte sie wehmütig an. Die
Kellnerin kam und fragte mitleidig, was
denn dem Mädchen fehle.
„Ach, es hat Heimweh nach seiner Mutter“,
seufzte Karrenschmidt.
„Ist sie gestorben?“
„Nein, Gott bewahre, sie ist fortgegangen,
aber nur für kurze Zeit, sie kommt in den
nächsten Tagen wieder zurück. Bringt dem
Mädchen noch ein Päckchen Brezeln, es ist
ein sittsames Kind!“
„Und Ihr, bekommt Ihr noch ein Glas?“
„Ich? Nein, nein, um Gottes willen!“
wehrte er entrüstet ab; er wollte schon gleich
hier und jetzt mit der Verwirklichung seines
Vorsatzes beginnen.
Nun war ihm wieder leicht, und auch
Marthas Gesicht hellte sich wieder auf, wäh
rend er ihr sanft zuredete. Sie nahm die
Brezeln und begann sie zu knabbern. Sie
fühlte, daß ihm Ernst mit seinem Vorhaben
war, und wenn sie erst einmal den Brief an
die Mutter geschrieben hatte, würden sie
auch bald wieder ein Heim haben, sie alle
zusammen, wie vordem. Im Grunde genom
men und um ganz ehrlich zu sein: beim Ka
russell gefiel es ihr nicht im geringsten. Die
stete Unruhe, überall und doch nirgendwo
zu Hause zu sein, all das Niedere und Rohe ..
das machte sie krank; man konnte sich der
zudringlichen Männer und Burschen kaum
erwehren.
Karrenschmidt hob den Finger und mahnte
väterlich besorgt: „Daß du mir nur ja keine
Dummheiten machst, verstehst du? Du mußt
immer daran denken, wer du bist! So, und
nun komm, mein Kind!“
Er brachte sie wieder zurück, und singend
wanderte er durch den Forst. Als er sie er
mahnte, fiel ihm bei, war sie rot geworden.
Ja, auch er hatte immer darauf gesehen,
daß er im Innern sauber blieb, und darauf
kam es im Leben an; das andere, weswegen
man ihn bestraft hatte, war sozusagen auch
nur im Hinblick auf seine Ehre geschehen;
man sollte ihm nicht nachsagen, daß er seine
Schulden nicht bezahlte.
Wankend und vor sich hinträllernd langte
er auf dem Meilerplatz an. Michaely schuef,
Lorson saß vor der Hütte, schwarz im Ge
sicht wie ein Teufel. Im Schein der Lampe
sah man nur das gespenstische Weiß seiner
Augen, die ihn schräg anblickten. Karren
schmidt hieß Lorson in die Hütte gehen und
sich hinlegen, er selbst wolle diese Nacht
auf passen. Doch Lorson schüttelte stumm
den Kopf.
„Leg dich hin, du Duckmäuser!“, wieder
holte Karrenschmidt und packte ihn am
Kragen.
Lorson fügte sich und kroch in die Hütte.
Karrenschmidt machte die Runde von Meiler
zu Meiler. Seit der Frühe hatte das fressende
Feuer sein heimlich verzehrendes Werk fort
gesetzt, das zeigten die tiefen Einbrüche, und
man spürte es auch an der Wärme. Die
Nacht fiel zeitiger in den Talgrund. Die
hohen Buchenstämme wuchsen mit dem Ge
schlinge ihrer Kronen ineinander, da und
dort blinkte ein Stern in den Zweigen. Kar
renschmidt hockte vor dem Meiler, sein Blick
ging hin und her. Er dachte darüber nach,
wie sich nun doch alles noch zum Guten ge
wandt habe. Martha würde den Brief an die
Mutter schreiben, und sobald er den ersten
Lohn bekäme, würde er eine Wohnung mieten
und die Frau mit den Kindern heimho’en.
Hier im Walde verdiente er ein auskömm
liches und vielleicht schmackhafteres Brot.
Wenn man sich einteilte, konnte man auch so
zu einem Häuschen kommen, warum denn
nicht? Er stellte sich im Geist das Häuschen
vor . . . natürlich stand es am Rand des
Waldes ... er sah sich schon das Land ro
den, Bäume umsägen, das Gewürzei los-