Full text: 1948 (0076)

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Bergmann an, im übrigen wolle er sehen, 
was er für ihn tun könne, der Förster sei 
kein unübler Mann. O ja, das solle Michaely 
tun, ermunterte Karrenschmidt ihn hocher 
freut; schließlich und endlich wolle er ja ein 
mal wieder seine Familie zurückholen. Und 
er erzählte den ganzen Abend von seiner 
Frau und den Kindern. Am meisten rühmte 
er Martha, seine Älteste. 
Einige Tage später luden sie ihre Geräte 
auf und machten sich auf den Weg in den 
Rußhütter Wald zum Meilern. Hier suchten 
sie geeignete Plätze in der Nähe der Holz 
stöße, die sie zu brennen hatten, ebneten sie 
ein und bauten die Köhlerhütte aus Stäm 
men, Zweigen, Laub und Moos. Sie stellten 
zuerst nur drei Meiler. Bald komme noch ein 
Mann, sagte Michaely. Der Mann kam schon 
am anderen Morgen, er hieß Lorson, und es 
war offensichtlich, daß er sehr viel von der 
Arbeit verstand. So arbeiteten sie nun zu 
dritt. Sie errichteten den Quande 1 pf n hl mit 
dem Feuerschacht, trugen die Buchenscheite 
herbei und stellten sie im Kreis um den 
Quandelpfah 1 , in zwei Lagen übereinander. 
Darüber deckten sie Laub und Rasen. 
Am Abend füllte Lorson die drei Schächte 
mit glühender Holzkohle und dichtete das 
Mundloch ab. Karrenschmidt fragte ihn zwi 
schendurch nach diesem und jenem, doch 
Lorson gab ihm niemals Antwort. 
„Du brauchst ihn nicht zu fragen, er ist 
taubstumm“, belehrte ihn Michaely. „Aber 
im Kohlenbrennen steht er so leicht hinter 
keinem zurück, die Lorsons haben es sozu 
sagen im Blut.“ 
Am anderen Morgen wurde Karrenschmidt 
ins Dorf geschickt, einige Dinge für Michaely 
und Lorson einzukaufen: Tabak, Erbswurst, 
Schnaps und Streichholz. Als er ins Dorf kam, 
fühlte er mit einmal Lust, einen Umweg in 
die Stadt zu machen; er sagte sich: zwei, drei 
Stunden auf oder ab . . . warum soll ich mir 
die kleine Freude nicht gönnen? Und so ging 
er die Straße gleich fort, er hatte den großen 
Hut in der Hand und pfiffelte munter vor 
sich hin. Dann gelangte er an einen freien 
Platz zwischen zwei neuen, unverputzten 
Häusern, auf dem sich ein Karussell mit 
Schwänen zu dem Genäsel einer Orgel drehte. 
Er blieb eine Weile stehen, mit einmal aber 
klatschte er in die Hände. 
„Martha, Kind!“, rief er aus: „Um Gottes 
willen, wie kommst du hierher? Ja, bist du 
denn nicht bei der Mutter?“ Er zog das er 
schrockene Mädchen an beiden Armen und 
betrachtete es voll väterlichem Stolz. „Groß 
bist du geworden! Warte, wie alt bist du 
jet?t . . . sechzehn ja stimmt’s 9 Freust du 
dich, daß ich wieder da bin? Du brauchst 
aber doch keine Angst vor mir zu haben, ich 
arbeite jetzt bei den Köhlern im Wald. Du, 
Martha, es ist eine schöne Arbeit, sage ich 
dir!“ Er fragte: „Ich verstehe nur nicht, wie 
du zu dem Ding da kommst, dem Karussell?“ 
Sie drehte verlegen an seinem Jackenknopf, 
und dann setzte sie ihm auseinander, daß die 
Mutter sie nicht mit in ihre Heimat genom 
men, sondern zu Onkel Tambel gegeben habe; 
und eines Tages sei Onkel Tambels Schwä 
gerin zu Besuch gekommen, die dringend 
eine Hilfe gebraucht habe, und da habe sie 
mitgehen müssen. Allerdings habe sie auch 
manchmal am Karussel auszuhelfen, Nein, 
eigentlich müsse sie lügen, wenn sie sage, es 
gefalle ihr. Jetzt freilich sei eine ruhige Zeit, 
doch bald beginne das Herumziehen, heute 
hier, morgen dort . . . Mitunter stehe sie 
auch an der Kasse, aber selten . . . Heimweh? 
O ja, dann und wann so ein bißchen. 
So plapperte Martha, und er betrachtete sie 
wohlgefällig. Wie eine Blume, die man in 
anderes Erdreich verpflanzt hatte, mutete sie 
ihn an. Ein wenig blaß wohl und abgespannt 
sah sie aus. Vielleicht wuchs sie zu rasch. 
Und sonst? Schon Freier, ja? Sie stieß ihn 
neckend in die Seite: wo er hindenke! Nein, 
das mochte wohl noch Zeit haben. 
„Schade, daß die Mutter nichts mehr von 
mir wissen will, ich hatte es doch so schön 
im Sinn, Martha, so schön!“, sagte er bedau 
ernd, und seine Stimme bekam einen weiner 
lichen Ton. „Aber deine Mutter hat ja schon 
immer diesen Kopf gehabt, diesen starrsin 
nigen Kopf. Du bist ja mehr in meinen Stoff 
geschlagen!“ 
Martha nahm sich Urlaub bei der Besitzerin 
des Karussells, einer beleibten Frau mit einem 
pechschwarzen Wuschelkopf und Mondsicheln 
in den Ohrläppchen. 
Sie gingen miteinander in die Stadt und 
kauften die Dinge für Michaely und Lorson 
ein. Es blieb noch etwas Geld übrig, und 
Karrenschmidt kehrte mit Martha ein. Wenn 
sie nicht bei ihm wäre betonte er ginge er 
jetzt spornstreichs in den Wald zurück. 
„Bringt dem Kind noch eine Limonade!“ 
sagte er zu der Kellnerin. „Und mir noch 
eine Halbe!“ Es war das siebte Glas. Wenn 
er das nächste bestellte, warf er jedesmal 
einen verstohlenen Blick auf Martha, die 
ihm gegenüber saß, die dünnen Arme auf 
gestützt und in den Anblick der Straße ver 
sunken. Ihre Augen waren nicht traurig, aber 
auch nicht froh. Sie war doch sein Kind, 
empfand er warm, mehr als die anderen, sie 
glich ihm, und sie hatte sein Blut. 
Da trat ihm plötzlich ein Bild vor die 
Seele: er sah ein kleines Haus mit einem 
Garten und Stall, am Giebel hing die Leiter, 
die Katze spielte auf der besonnten Treppe, 
und aus dem Stall kam munteres Ziegen 
gemecker. Ein Gefühl von Reue und Abscheu 
vor sich selber übermächtigte ihn, und das 
so stark, daß ihm die Augen feucht wurden. 
Er seufzte, so daß Martha sich zu ihm hin 
drehte und ihn erschrocken ansah. Da be 
gann ihr mit einmal das Kinn zu zittern. 
Er sah es. „O Martha!“ entrang es sich 
seinem Mund. „Daß alles so traurig sein muß! 
Und wie schön könnte jetzt unser Leben 
werden, wenn deine Mutter nur wollte!“ Er 
zog sein Taschentuch heraus und schneuzte 
sich, aber nun kroch in seine Augen ein leises 
Lächeln. „Hör zu, Martha!“ sagte er. „Mir 
kommt ein guter Gedanke. Du schreibst an 
die Mutter, dir kann sie nichts abschlagen. 
Du schreibst ihr: Liebe Mutter, wir haben
	        
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