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Bergmann an, im übrigen wolle er sehen,
was er für ihn tun könne, der Förster sei
kein unübler Mann. O ja, das solle Michaely
tun, ermunterte Karrenschmidt ihn hocher
freut; schließlich und endlich wolle er ja ein
mal wieder seine Familie zurückholen. Und
er erzählte den ganzen Abend von seiner
Frau und den Kindern. Am meisten rühmte
er Martha, seine Älteste.
Einige Tage später luden sie ihre Geräte
auf und machten sich auf den Weg in den
Rußhütter Wald zum Meilern. Hier suchten
sie geeignete Plätze in der Nähe der Holz
stöße, die sie zu brennen hatten, ebneten sie
ein und bauten die Köhlerhütte aus Stäm
men, Zweigen, Laub und Moos. Sie stellten
zuerst nur drei Meiler. Bald komme noch ein
Mann, sagte Michaely. Der Mann kam schon
am anderen Morgen, er hieß Lorson, und es
war offensichtlich, daß er sehr viel von der
Arbeit verstand. So arbeiteten sie nun zu
dritt. Sie errichteten den Quande 1 pf n hl mit
dem Feuerschacht, trugen die Buchenscheite
herbei und stellten sie im Kreis um den
Quandelpfah 1 , in zwei Lagen übereinander.
Darüber deckten sie Laub und Rasen.
Am Abend füllte Lorson die drei Schächte
mit glühender Holzkohle und dichtete das
Mundloch ab. Karrenschmidt fragte ihn zwi
schendurch nach diesem und jenem, doch
Lorson gab ihm niemals Antwort.
„Du brauchst ihn nicht zu fragen, er ist
taubstumm“, belehrte ihn Michaely. „Aber
im Kohlenbrennen steht er so leicht hinter
keinem zurück, die Lorsons haben es sozu
sagen im Blut.“
Am anderen Morgen wurde Karrenschmidt
ins Dorf geschickt, einige Dinge für Michaely
und Lorson einzukaufen: Tabak, Erbswurst,
Schnaps und Streichholz. Als er ins Dorf kam,
fühlte er mit einmal Lust, einen Umweg in
die Stadt zu machen; er sagte sich: zwei, drei
Stunden auf oder ab . . . warum soll ich mir
die kleine Freude nicht gönnen? Und so ging
er die Straße gleich fort, er hatte den großen
Hut in der Hand und pfiffelte munter vor
sich hin. Dann gelangte er an einen freien
Platz zwischen zwei neuen, unverputzten
Häusern, auf dem sich ein Karussell mit
Schwänen zu dem Genäsel einer Orgel drehte.
Er blieb eine Weile stehen, mit einmal aber
klatschte er in die Hände.
„Martha, Kind!“, rief er aus: „Um Gottes
willen, wie kommst du hierher? Ja, bist du
denn nicht bei der Mutter?“ Er zog das er
schrockene Mädchen an beiden Armen und
betrachtete es voll väterlichem Stolz. „Groß
bist du geworden! Warte, wie alt bist du
jet?t . . . sechzehn ja stimmt’s 9 Freust du
dich, daß ich wieder da bin? Du brauchst
aber doch keine Angst vor mir zu haben, ich
arbeite jetzt bei den Köhlern im Wald. Du,
Martha, es ist eine schöne Arbeit, sage ich
dir!“ Er fragte: „Ich verstehe nur nicht, wie
du zu dem Ding da kommst, dem Karussell?“
Sie drehte verlegen an seinem Jackenknopf,
und dann setzte sie ihm auseinander, daß die
Mutter sie nicht mit in ihre Heimat genom
men, sondern zu Onkel Tambel gegeben habe;
und eines Tages sei Onkel Tambels Schwä
gerin zu Besuch gekommen, die dringend
eine Hilfe gebraucht habe, und da habe sie
mitgehen müssen. Allerdings habe sie auch
manchmal am Karussel auszuhelfen, Nein,
eigentlich müsse sie lügen, wenn sie sage, es
gefalle ihr. Jetzt freilich sei eine ruhige Zeit,
doch bald beginne das Herumziehen, heute
hier, morgen dort . . . Mitunter stehe sie
auch an der Kasse, aber selten . . . Heimweh?
O ja, dann und wann so ein bißchen.
So plapperte Martha, und er betrachtete sie
wohlgefällig. Wie eine Blume, die man in
anderes Erdreich verpflanzt hatte, mutete sie
ihn an. Ein wenig blaß wohl und abgespannt
sah sie aus. Vielleicht wuchs sie zu rasch.
Und sonst? Schon Freier, ja? Sie stieß ihn
neckend in die Seite: wo er hindenke! Nein,
das mochte wohl noch Zeit haben.
„Schade, daß die Mutter nichts mehr von
mir wissen will, ich hatte es doch so schön
im Sinn, Martha, so schön!“, sagte er bedau
ernd, und seine Stimme bekam einen weiner
lichen Ton. „Aber deine Mutter hat ja schon
immer diesen Kopf gehabt, diesen starrsin
nigen Kopf. Du bist ja mehr in meinen Stoff
geschlagen!“
Martha nahm sich Urlaub bei der Besitzerin
des Karussells, einer beleibten Frau mit einem
pechschwarzen Wuschelkopf und Mondsicheln
in den Ohrläppchen.
Sie gingen miteinander in die Stadt und
kauften die Dinge für Michaely und Lorson
ein. Es blieb noch etwas Geld übrig, und
Karrenschmidt kehrte mit Martha ein. Wenn
sie nicht bei ihm wäre betonte er ginge er
jetzt spornstreichs in den Wald zurück.
„Bringt dem Kind noch eine Limonade!“
sagte er zu der Kellnerin. „Und mir noch
eine Halbe!“ Es war das siebte Glas. Wenn
er das nächste bestellte, warf er jedesmal
einen verstohlenen Blick auf Martha, die
ihm gegenüber saß, die dünnen Arme auf
gestützt und in den Anblick der Straße ver
sunken. Ihre Augen waren nicht traurig, aber
auch nicht froh. Sie war doch sein Kind,
empfand er warm, mehr als die anderen, sie
glich ihm, und sie hatte sein Blut.
Da trat ihm plötzlich ein Bild vor die
Seele: er sah ein kleines Haus mit einem
Garten und Stall, am Giebel hing die Leiter,
die Katze spielte auf der besonnten Treppe,
und aus dem Stall kam munteres Ziegen
gemecker. Ein Gefühl von Reue und Abscheu
vor sich selber übermächtigte ihn, und das
so stark, daß ihm die Augen feucht wurden.
Er seufzte, so daß Martha sich zu ihm hin
drehte und ihn erschrocken ansah. Da be
gann ihr mit einmal das Kinn zu zittern.
Er sah es. „O Martha!“ entrang es sich
seinem Mund. „Daß alles so traurig sein muß!
Und wie schön könnte jetzt unser Leben
werden, wenn deine Mutter nur wollte!“ Er
zog sein Taschentuch heraus und schneuzte
sich, aber nun kroch in seine Augen ein leises
Lächeln. „Hör zu, Martha!“ sagte er. „Mir
kommt ein guter Gedanke. Du schreibst an
die Mutter, dir kann sie nichts abschlagen.
Du schreibst ihr: Liebe Mutter, wir haben