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Das wiedergewonnene Leben
Erzählung von Alfred PETTO. Herrensohr.
Zeichnungen von Wilh. KIRCHEN.
I I er Holzhauer sah eines Morgens, während
er vor seiner Hütte stand und sich wusch,
quer über die Lichtung einen Mann kommen,
der ihm schon von weitem zuwinkte. Der
Mann sagte im Nähertreten:
„Kennt Ihr mich noch, Michaely? Ich bin
der Karrenschmidt!“
Der Holzhauer sah ihn flüchtig an, dann
fuhr er fort, seinen Oberkörper, Kopf und
Arme zu waschen. Er trocknete sich danach
ab und betrat die Hütte, und Karrenschmidt
folgte ihm. Er setzte sich auf die Bank neben
den Ofen und sah Michaely mit unterwür
figer Miene zu, wie er den halberblindeten
Spiegel auf das Fenstersims stellte und sein
Haar kämmte, wie er ein Hemd aus seinem
Spind nahm und es überwarf und wie er da
rauf Wasser aus dem Eimer in die Schüssel
goß und seine Füße wusch. Und alles dies
ohne ein Sterbenswort. Zuletzt stand Micha
ely in seinen guten Kleidern am Herd, und
Karrenschmidt fragte ihn, ob er über Sonn
tag zu seinen Leuten heimfahre.
„Ja“, gab Michaely zur Antwort.
Er trat an Karrenschmidt vorbei zum
Schrank und stellte Tassen und Teller auf
den Tisch, zwei Tassen und zwei Teller, dazu
zwei Löffel und ein Stück Brot.
„Setzt Euch mit an!“ sagte Michaely, und
während sie ihre Suppe löffelten, begann
Karrenschmidt zu erzählen: er habe jetzt
seine Strafe, ein halbes Jahr, abgesessen;
vielleicht könne Michaely sich noch entsinnen.
Er sagte: „Ich hatte doch seinerzeit die
vielen Trinkschulden, die sollte ich in ganz
kurzer Frist bezahlen, wißt Ihr, aber da ich
kein Geld hatte, gab ich an, meine Frau habe
ein Kind, einen Jungen, geboren, weil ich
den Vorschuß auf das Wochengeld haben
wollte. Ich habe das auf dem Standesamt an
gegeben.“ Er stieß ein trockenes Lachen aus.
„Nachher aber war es kein Junge, der zur
Welt kam, sondern ein Mädchen.“
Ach ja, er erinnere sich, bemerkte Michaely.
Und Karrenschmidt fuhr gesprächig fort:
„Ihr habt mir damals doch den Rat gege
ben, mich zu stellen. Das habe ich dann auch
getan, und es war gut, Michaely, dafür bin
ich Euch ewig dankbar!“
„Und Eure Frau?“, forschte
Michaely.
„Ich komme eben von daheim,
ich habe ein fremdes Schild an
meiner Türe gefunden. Ich j
nehme an, daß sie mit den Kin
dern zu ihren Eltern gefahren
ist, in ihr Dorf; denn sie hat mir
gleich ins Gefängnis geschrie
ben, daß sie nichts mehr von
mir wissen will.“
„Und —fragte Michaely zögernd, „legen
sie Euch nun wieder an?“
Karrenschmidt schüttelte geringschätzig
den Kopf. „Ich hatte mir alles so schön aus
gemalt“, sagte er trübsinnig. „Das liederliche
Leben sollte ein für allemal aufhören. Aber
als ich dann das fremde Schild an meiner
Wohnungstüre gesehen habe, bin ich umge
kehrt und spornstracks ins erstbeste Wirts
haus gegangen. Ich hatte mir oben ein paar
Groschen verdient, mit Korbflechten. Aber
es war das letzte Mal, jetzt rührt der Kar
renschmidt kein Glas mehr an, das schwöre
ich Euch!“
Michaely entgegnete ruhig: „Mir braucht
Ihr das nicht zu schwören!“
Karrenschmidt blieb über Sonntag in der.
Hütte, während der Holzhauer nach Hause
fuhr. Montags gegen Mittag sei er wieder zu
rück. Karrenschmidt fühlte sich recht behag
lich allein in der Hütte. Er schlief, oder er
schlenderte ein wenig durch den Forst. Sonn
tags gegen Abend machte er einen kleinen
Spaziergang ins benachbarte Dorf, und als er
wieder zur Hütte zurückging, standen schon
die Sterne am Himmel. Er hatte getrunken,
nicht sonderlich viel, fünf Halbe waren keine
große Sache für ihn, und dennoch fiel er
schwer auf sein Lager und versank in einen
tiefen Schlaf. Einmal wachte er auf, die
Sonne stach hell zum Fenster herein, und an
der Türe hörte er jemanden klopfen. Er
sprang auf und sah Michaely draußen stehen.
„Denkt Euch, Michaely“, redete er daher,
während er die Türe öffnete, „ich habe
gestern fünf Körbe geflochten, und alle habe
ich sie im Ort verkauft. Und wie geht’s da
heim? Was macht die Frau?“
Doch Michaely zog nur wie abschmeckend
die Luft durch die Nase.
Sie arbeiteten die nächsten Tage zusammen
im Schlag. Michaely äußerte dabei einmal
anerkennend, er merke ihm doch gleich den