Full text: 1948 (0076)

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Das wiedergewonnene Leben 
Erzählung von Alfred PETTO. Herrensohr. 
Zeichnungen von Wilh. KIRCHEN. 
I I er Holzhauer sah eines Morgens, während 
er vor seiner Hütte stand und sich wusch, 
quer über die Lichtung einen Mann kommen, 
der ihm schon von weitem zuwinkte. Der 
Mann sagte im Nähertreten: 
„Kennt Ihr mich noch, Michaely? Ich bin 
der Karrenschmidt!“ 
Der Holzhauer sah ihn flüchtig an, dann 
fuhr er fort, seinen Oberkörper, Kopf und 
Arme zu waschen. Er trocknete sich danach 
ab und betrat die Hütte, und Karrenschmidt 
folgte ihm. Er setzte sich auf die Bank neben 
den Ofen und sah Michaely mit unterwür 
figer Miene zu, wie er den halberblindeten 
Spiegel auf das Fenstersims stellte und sein 
Haar kämmte, wie er ein Hemd aus seinem 
Spind nahm und es überwarf und wie er da 
rauf Wasser aus dem Eimer in die Schüssel 
goß und seine Füße wusch. Und alles dies 
ohne ein Sterbenswort. Zuletzt stand Micha 
ely in seinen guten Kleidern am Herd, und 
Karrenschmidt fragte ihn, ob er über Sonn 
tag zu seinen Leuten heimfahre. 
„Ja“, gab Michaely zur Antwort. 
Er trat an Karrenschmidt vorbei zum 
Schrank und stellte Tassen und Teller auf 
den Tisch, zwei Tassen und zwei Teller, dazu 
zwei Löffel und ein Stück Brot. 
„Setzt Euch mit an!“ sagte Michaely, und 
während sie ihre Suppe löffelten, begann 
Karrenschmidt zu erzählen: er habe jetzt 
seine Strafe, ein halbes Jahr, abgesessen; 
vielleicht könne Michaely sich noch entsinnen. 
Er sagte: „Ich hatte doch seinerzeit die 
vielen Trinkschulden, die sollte ich in ganz 
kurzer Frist bezahlen, wißt Ihr, aber da ich 
kein Geld hatte, gab ich an, meine Frau habe 
ein Kind, einen Jungen, geboren, weil ich 
den Vorschuß auf das Wochengeld haben 
wollte. Ich habe das auf dem Standesamt an 
gegeben.“ Er stieß ein trockenes Lachen aus. 
„Nachher aber war es kein Junge, der zur 
Welt kam, sondern ein Mädchen.“ 
Ach ja, er erinnere sich, bemerkte Michaely. 
Und Karrenschmidt fuhr gesprächig fort: 
„Ihr habt mir damals doch den Rat gege 
ben, mich zu stellen. Das habe ich dann auch 
getan, und es war gut, Michaely, dafür bin 
ich Euch ewig dankbar!“ 
„Und Eure Frau?“, forschte 
Michaely. 
„Ich komme eben von daheim, 
ich habe ein fremdes Schild an 
meiner Türe gefunden. Ich j 
nehme an, daß sie mit den Kin 
dern zu ihren Eltern gefahren 
ist, in ihr Dorf; denn sie hat mir 
gleich ins Gefängnis geschrie 
ben, daß sie nichts mehr von 
mir wissen will.“ 
„Und —fragte Michaely zögernd, „legen 
sie Euch nun wieder an?“ 
Karrenschmidt schüttelte geringschätzig 
den Kopf. „Ich hatte mir alles so schön aus 
gemalt“, sagte er trübsinnig. „Das liederliche 
Leben sollte ein für allemal aufhören. Aber 
als ich dann das fremde Schild an meiner 
Wohnungstüre gesehen habe, bin ich umge 
kehrt und spornstracks ins erstbeste Wirts 
haus gegangen. Ich hatte mir oben ein paar 
Groschen verdient, mit Korbflechten. Aber 
es war das letzte Mal, jetzt rührt der Kar 
renschmidt kein Glas mehr an, das schwöre 
ich Euch!“ 
Michaely entgegnete ruhig: „Mir braucht 
Ihr das nicht zu schwören!“ 
Karrenschmidt blieb über Sonntag in der. 
Hütte, während der Holzhauer nach Hause 
fuhr. Montags gegen Mittag sei er wieder zu 
rück. Karrenschmidt fühlte sich recht behag 
lich allein in der Hütte. Er schlief, oder er 
schlenderte ein wenig durch den Forst. Sonn 
tags gegen Abend machte er einen kleinen 
Spaziergang ins benachbarte Dorf, und als er 
wieder zur Hütte zurückging, standen schon 
die Sterne am Himmel. Er hatte getrunken, 
nicht sonderlich viel, fünf Halbe waren keine 
große Sache für ihn, und dennoch fiel er 
schwer auf sein Lager und versank in einen 
tiefen Schlaf. Einmal wachte er auf, die 
Sonne stach hell zum Fenster herein, und an 
der Türe hörte er jemanden klopfen. Er 
sprang auf und sah Michaely draußen stehen. 
„Denkt Euch, Michaely“, redete er daher, 
während er die Türe öffnete, „ich habe 
gestern fünf Körbe geflochten, und alle habe 
ich sie im Ort verkauft. Und wie geht’s da 
heim? Was macht die Frau?“ 
Doch Michaely zog nur wie abschmeckend 
die Luft durch die Nase. 
Sie arbeiteten die nächsten Tage zusammen 
im Schlag. Michaely äußerte dabei einmal 
anerkennend, er merke ihm doch gleich den
	        
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