Full text: 1948 (0076)

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waren ganz andere Sachen drin zu finden, als 
die Vokabeln „asinus, der Esel, homo, der 
Mensch“, die ihm in der Schule eingepaukt 
wurden. 
Der Vater, nach Harrys Geständnis der 
jenige Mensch, den er am allermeisten geliebt 
hat, und die gute Mutter wollen alles mögliche 
aus ihm machen, mindestens einen reichen 
Bankier, wie der Onkel Salomon in Hamburg 
einer ist, oder einen Doktor oder einen Advo 
katen. Aber Harry hat keine Lust zu so pro 
saischen Berufen. In seiner Brust rumort die 
Liebe zur Dichtkunst. Er muß immer etwas 
zu schreiben haben, etwas was er selbst er 
dacht, also gedichtet hat. Und er glaubt schon 
jetzt daran, daß dies seine Berufung ist. 
Mit kaum fünfzehn Jahren schreibt er alle 
möglichen Gedichte. Zum Kaufmann taugt er 
nicht, aber zum Anwärter auf die Unsterb 
lichkeit. Schlagt das Kapitel „Junge Leiden“ 
im Buch der Lieder auf. Es enthält zwanzig, 
dreißig Gedichte eines Knaben. 
Wenn Harry das Mädchen sieht, wird ihm 
selten feierlich zumute. Da rührt sich etwas 
in seiner Brust. Und eine Musik kommt über 
ihn, zu der sich die Worte einfach nur so fin 
den. Das Mädchen aber ist Josepha, die Toch 
ter des Scharfrichters. „Das ist eine Ver 
rufene“, sagen die Leute, — „laßt sie gehn, 
sie ist nicht geheuer“. Trotzdem fühlt Harry 
sich zu ihr hingezogen. Irgendwo am Rhein 
trifft er sie. Wi 1 ] sie ihn doch lieb haben, 
wena er ihr seine Seligkeit opfert. Nach dem 
Opfer wird er ihr gänzlich gleichen und der 
Liebe wird nichts im Wege stehen. Josepha 
ist lieblich. Und sie lockt. Er sieht sie sogar 
in seinen Träumen . . .: 
Die Wänglein süß, die Äuglein mild, 
ein blondgelocktes Heil’genbild; 
und wie ich schau, die Maid ich fand 
so fremd und doch so wohlbekannt. 
Was kümmern ihn anderer Leute Bedenken? 
Er liebt sie nur um so mehr. Er spinnt sich 
in seine kleinen Erlebnisse hinein, wie die 
Raupe in ihr Gewebe. Die Schilderungen, die 
er dem Papier anvertraut, kobolzen in necki 
schen Kontrasten. Als Burlesken wirken sie 
schauerlich, und das Schauerliche wird wie 
der durch spritzigen Humor verklärt. Auch 
quirlt in dem Knaben schon die Quelle der 
Satire, die einst den Mann berühmt und ge 
fürchtet machen wird. Zum Beispiel: 
Er sitzt in seiner Kammer. Das Haus schläft 
schon. Mondschein schimmert auf den 
Dächern. Er denkt an sein Lieb, an Josepha. 
Mitternacht naht schon, es fehlt nur die 
Braut.“ Vom nahen Kirchhof herüber wehen 
auf einmal spukhafte Gestalten, sie knicksen 
vor Harry und grüßen ihn. Da ruft er eine 
an: 
Pack aus, was bringst du für Botschafterei, 
du schwarzer Schlingel in Feuerlivrei? 
und wendet sich spöttelnd an eine ganze 
Sohar: 
Da »chau mal! Ihr Herren, das nenn ich 
galant! 
Ihr tragt statt der Hüt’ die Köpf’ in der 
Hand! 
Ihr Zappelbeinleutchen im Galgenornat, 
der Wind ist so still, was kommt ihr so spat? 
Nun stellt euch diese Szene vor: 
Zwölf winddürre Musiker schlendern herein, 
blind Fiedelweib holpert wohl hinterdrein. 
Da schleppt der Hanswurst in bunt 
scheckiger Jack’ 
den Totengräber huckepack . . . 
und lächelt über folgende: 
Die Blumenmädchen sind bucklicht und 
krumm 
und purzeln kopfüber im Zimmer herum. 
Ihr Galgengesichter mit Heuschreckenbein, 
hei! laßt mir das Rippengeklapper nur sein. 
Und ihr werdet mit mir der Meinung sein, daß 
hier schon eine geniale Phantasie in groß 
artiger Farbenpracht ihren Zauber sprudeln 
läßt. 
Es ist klar, daß solch ein Junge nicht für das 
Kontor oder das Geschäft in Frage kam. Man 
stelle ihn sich Zählenreihen aufaddierend vor! 
Im achtzehnten Lebensjahr hat sein Vater 
ihm in Frankfurt eine kaufmännische Lehr 
stelle vermittelt. Er mag sich redliche Mühe 
damit gegeben haben. Aber es ward nichts 
Rechtes. Weder im Spezereiladen noch in der 
Bank noch im eigenen Geschäft, zu dem ihm 
der reiche Oheim die Mittel gab, feiert seine 
Unrast lange Urständ. 
Ja, auch der Onkel Salomon in Hamburg, 
der Millionär, hat den in der Welt der Poesie 
herumstromemden Harry nicht „mores“ leh 
ren können. Sie war sozusagen die letzte Hoff 
nung der Eltern gewesen, diese Fahrt nach 
Hamburg im Sommer 1816. Gott Merkur muß 
ein Gesicht wie Essig gemacht haben, als er 
diesen verlorenen Sohn immer wieder in sei 
nen Bereichen auftauchen sah, der so gar 
nichts von ihm wissen wollte. Desto mehr 
freute sich Gott Amor. Der hatte im Früh 
jahr des gleichen Jahres ein neues Märchen 
bild vor Harrys begeisterte Seele befohlen, 
das unseren Dichter bald zu vielen Gedichten 
anregen sollte. Das war noch in Düsseldorf 
gewesen. In Hamburg sah er das holdselige 
Geschöpf in seiner-ganzen Lebendigkeit wie 
der; und schon war es um seine Seelenruhe 
für immerdar geschehn. Hier in Hamburg 
entbrannte der Jüngling in heftiger Liebe zu 
seiner Kusine Amalie. Sie war die dritte der 
Töchter des angesehenen Finanzmagnaten. Es 
war die große Liebe, die ihm an der Alster 
entgegengekommen war. 
Die Rose, die Lilie, die Taube, die Sonne, 
die liebt ich einst alle in Liebeswonne. 
Ich lieb sie nicht mehr, ich liebe alleine, 
die Kleine, die Feine, die Reine, die Eine; 
sie selber, aller Liebe Bronne, 
ist Rose und Lilie und Taube und Sonne. 
Harry ist einundzwanzig Jahre alt und 
durchlebt alles, was ein von Liebe verratener 
Mensch in diesen Jahren erlebt. Er stürzt aus 
dem Himmel in die Hölle. Ein Lächeln der 
Angebeteten macht ihn reich. Ein spöttisches 
Zucken um die rosigen Lippen macht ihn 
arm. Und alle Gefühle, die ihn bewegen, wer 
den Buchstaben, Wort, Rhythmus, Gedicht.
	        
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