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waren ganz andere Sachen drin zu finden, als
die Vokabeln „asinus, der Esel, homo, der
Mensch“, die ihm in der Schule eingepaukt
wurden.
Der Vater, nach Harrys Geständnis der
jenige Mensch, den er am allermeisten geliebt
hat, und die gute Mutter wollen alles mögliche
aus ihm machen, mindestens einen reichen
Bankier, wie der Onkel Salomon in Hamburg
einer ist, oder einen Doktor oder einen Advo
katen. Aber Harry hat keine Lust zu so pro
saischen Berufen. In seiner Brust rumort die
Liebe zur Dichtkunst. Er muß immer etwas
zu schreiben haben, etwas was er selbst er
dacht, also gedichtet hat. Und er glaubt schon
jetzt daran, daß dies seine Berufung ist.
Mit kaum fünfzehn Jahren schreibt er alle
möglichen Gedichte. Zum Kaufmann taugt er
nicht, aber zum Anwärter auf die Unsterb
lichkeit. Schlagt das Kapitel „Junge Leiden“
im Buch der Lieder auf. Es enthält zwanzig,
dreißig Gedichte eines Knaben.
Wenn Harry das Mädchen sieht, wird ihm
selten feierlich zumute. Da rührt sich etwas
in seiner Brust. Und eine Musik kommt über
ihn, zu der sich die Worte einfach nur so fin
den. Das Mädchen aber ist Josepha, die Toch
ter des Scharfrichters. „Das ist eine Ver
rufene“, sagen die Leute, — „laßt sie gehn,
sie ist nicht geheuer“. Trotzdem fühlt Harry
sich zu ihr hingezogen. Irgendwo am Rhein
trifft er sie. Wi 1 ] sie ihn doch lieb haben,
wena er ihr seine Seligkeit opfert. Nach dem
Opfer wird er ihr gänzlich gleichen und der
Liebe wird nichts im Wege stehen. Josepha
ist lieblich. Und sie lockt. Er sieht sie sogar
in seinen Träumen . . .:
Die Wänglein süß, die Äuglein mild,
ein blondgelocktes Heil’genbild;
und wie ich schau, die Maid ich fand
so fremd und doch so wohlbekannt.
Was kümmern ihn anderer Leute Bedenken?
Er liebt sie nur um so mehr. Er spinnt sich
in seine kleinen Erlebnisse hinein, wie die
Raupe in ihr Gewebe. Die Schilderungen, die
er dem Papier anvertraut, kobolzen in necki
schen Kontrasten. Als Burlesken wirken sie
schauerlich, und das Schauerliche wird wie
der durch spritzigen Humor verklärt. Auch
quirlt in dem Knaben schon die Quelle der
Satire, die einst den Mann berühmt und ge
fürchtet machen wird. Zum Beispiel:
Er sitzt in seiner Kammer. Das Haus schläft
schon. Mondschein schimmert auf den
Dächern. Er denkt an sein Lieb, an Josepha.
Mitternacht naht schon, es fehlt nur die
Braut.“ Vom nahen Kirchhof herüber wehen
auf einmal spukhafte Gestalten, sie knicksen
vor Harry und grüßen ihn. Da ruft er eine
an:
Pack aus, was bringst du für Botschafterei,
du schwarzer Schlingel in Feuerlivrei?
und wendet sich spöttelnd an eine ganze
Sohar:
Da »chau mal! Ihr Herren, das nenn ich
galant!
Ihr tragt statt der Hüt’ die Köpf’ in der
Hand!
Ihr Zappelbeinleutchen im Galgenornat,
der Wind ist so still, was kommt ihr so spat?
Nun stellt euch diese Szene vor:
Zwölf winddürre Musiker schlendern herein,
blind Fiedelweib holpert wohl hinterdrein.
Da schleppt der Hanswurst in bunt
scheckiger Jack’
den Totengräber huckepack . . .
und lächelt über folgende:
Die Blumenmädchen sind bucklicht und
krumm
und purzeln kopfüber im Zimmer herum.
Ihr Galgengesichter mit Heuschreckenbein,
hei! laßt mir das Rippengeklapper nur sein.
Und ihr werdet mit mir der Meinung sein, daß
hier schon eine geniale Phantasie in groß
artiger Farbenpracht ihren Zauber sprudeln
läßt.
Es ist klar, daß solch ein Junge nicht für das
Kontor oder das Geschäft in Frage kam. Man
stelle ihn sich Zählenreihen aufaddierend vor!
Im achtzehnten Lebensjahr hat sein Vater
ihm in Frankfurt eine kaufmännische Lehr
stelle vermittelt. Er mag sich redliche Mühe
damit gegeben haben. Aber es ward nichts
Rechtes. Weder im Spezereiladen noch in der
Bank noch im eigenen Geschäft, zu dem ihm
der reiche Oheim die Mittel gab, feiert seine
Unrast lange Urständ.
Ja, auch der Onkel Salomon in Hamburg,
der Millionär, hat den in der Welt der Poesie
herumstromemden Harry nicht „mores“ leh
ren können. Sie war sozusagen die letzte Hoff
nung der Eltern gewesen, diese Fahrt nach
Hamburg im Sommer 1816. Gott Merkur muß
ein Gesicht wie Essig gemacht haben, als er
diesen verlorenen Sohn immer wieder in sei
nen Bereichen auftauchen sah, der so gar
nichts von ihm wissen wollte. Desto mehr
freute sich Gott Amor. Der hatte im Früh
jahr des gleichen Jahres ein neues Märchen
bild vor Harrys begeisterte Seele befohlen,
das unseren Dichter bald zu vielen Gedichten
anregen sollte. Das war noch in Düsseldorf
gewesen. In Hamburg sah er das holdselige
Geschöpf in seiner-ganzen Lebendigkeit wie
der; und schon war es um seine Seelenruhe
für immerdar geschehn. Hier in Hamburg
entbrannte der Jüngling in heftiger Liebe zu
seiner Kusine Amalie. Sie war die dritte der
Töchter des angesehenen Finanzmagnaten. Es
war die große Liebe, die ihm an der Alster
entgegengekommen war.
Die Rose, die Lilie, die Taube, die Sonne,
die liebt ich einst alle in Liebeswonne.
Ich lieb sie nicht mehr, ich liebe alleine,
die Kleine, die Feine, die Reine, die Eine;
sie selber, aller Liebe Bronne,
ist Rose und Lilie und Taube und Sonne.
Harry ist einundzwanzig Jahre alt und
durchlebt alles, was ein von Liebe verratener
Mensch in diesen Jahren erlebt. Er stürzt aus
dem Himmel in die Hölle. Ein Lächeln der
Angebeteten macht ihn reich. Ein spöttisches
Zucken um die rosigen Lippen macht ihn
arm. Und alle Gefühle, die ihn bewegen, wer
den Buchstaben, Wort, Rhythmus, Gedicht.