Full text: 1948 (0076)

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treffend. Wir wollen nicht zu jenen gehören, 
an die sich seine brutalen Verse gerichtet 
haben: 
Selten habt ihr mich verstanden, 
selten auch verstand ich euch. 
Nur wenn wir im Kot uns fanden, 
da verstanden wir uns gleich. 
Welche Bilder stellt er vor uns hin, daß wir 
sie deuten sollen! Als die Geliebte treulos 
wird, werden die Rosen blaß, die Veilchen 
trauern, die Nachtigallen weinen. Die Schlange 
frißt an seinem Herzen. Und er gesteht sich 
ein, daß nun alles dunkel um ihn geworden 
ist: 
In mein gar so dunkles Leben 
strahlte einst ein süßes Bild; 
nun das süße Bild erblichen, 
bin ich gänzlich nachtumhüllt. 
Und nun sucht er in aller Finsternis eine 
Helligkeit: 
Ich, ein tolles Kind, ich singe 
jetzo in der Dunkelheit; 
klingt das Lied auch nicht ergötzlich, 
hat’s mich doch von Angst befreit. 
Er ist ein gefährlicher Herzensknicker, dieser 
Poet. Er foppt und lockt und ist imstande, dir 
jede Grundlage unter den Füßen hinwegzu 
singen. Denn immer ist er du und ich, der 
Dichter des Herzens und des Gemütes. Seine 
Gedichte sind die Beichte seines Lebens. 
Dieses Leben wollen wir nun an uns vor 
überziehen lassen. 
Harry Heine, so hieß der Junge bis zu 
seiner Taufe, ist am 13. 12. 1797 in Düsseldorf 
geboren. Die Gelehrten streiten über sein Ge 
burtsdatum. Aber das hat wenig zu bedeuten. 
Wichtig ist, daß seine Kinderjahre in die Zeit 
der französischen Revolution gefallen sind. 
Revolutionstruppen hielten seine Vaterstadt 
besetzt von 1795 bis zum Mai 1801. Im Jahre 
1806 zogen napoleonische Grenadiere ein und 
blieben bis zum Jahre 1813. Da war Heine 
sechzehn Jahre alt; seine Entwicklungsjahre 
sind somit durch die neuen Ideen unbedingt 
und tief beeindruckt worden. Der Freiheits 
baum hatte dem Arbeitsmenschen am Rhein 
soziale Fortschritte und ein besseres Lehen ge 
bracht. Der feudale Schutt der Vergangenheit 
war schnell und gründlich aufgeräumt wor 
den. Die Leibeigenschaft wurde abgeschafft. 
Das Verbot der Heirat zwischen Adeligen und 
Bürgerlichen fiel. Und die Justiz erhielt durch 
den Code Napoleon ein weniger bissiges Ge 
sicht. So nahmen trotz der von England ver 
hängten Kontinentalsperre Handel und Wan 
del zu. Beglückenswert für die Familie Heine 
war die Emanzipation der Juden. Die Ghettos 
wurden aufgehoben, die bürgerliche Gleich 
stellung mit den Christen vollzog sich. Der 
junge Heine hatte das teilweise selbst erlebt, 
teils von den Eltern erfahren. Sein ganzes 
Leben hindurch wird er es nicht 
vergessen. Seine Eindrücke da 
rüber hat er in Prosa und Ge 
dichten niedergelegt. Noch in 
seinem Gedicht „Deutschland, 
ein Wintermärchen“, das er 
mit siebenundvierzig Jahren 
geschrieben hat, bebt dieses 
Erleben dankbar nach: 
Und die Freiheit kommt mit 
Spiel und Tanz, mit der Fahne, 
der weiß-blau-roten. 
Der junge Harry war ein 
aufgeweckter Bursche. In der 
Schule war er einer der Besten. 
War sie aus, dann suchte er 
den romantischen Zauber. Und 
der war überall zu finden. Im 
alltäglichen Straßenleben, aber 
auch in den Büchern. Da war 
jenes Notizbuch eines verstor 
benen Großonkels, der ein 
schrulliger Kauz gewesen und 
eines Tages sogar Beduinen 
scheich geworden war; dieses 
Heftchen faszinierte den Bub. 
Da waren auch Schillers „Räu 
ber“, der „Rinaldo Rinaldini“. 
der „Schinderhannes“, auch 
„Gullivers Reisen“ und andere 
Geschichten, die sich gut lesen 
ließen und das junge Herz 
in Aufregung versetzten. Sie 
waren voll spannenden Lebens, 
in dem es donnerte und blitzte 
oder lachte und jauchzte. Da 
Bild 1 Der junge Heine
	        
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