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treffend. Wir wollen nicht zu jenen gehören,
an die sich seine brutalen Verse gerichtet
haben:
Selten habt ihr mich verstanden,
selten auch verstand ich euch.
Nur wenn wir im Kot uns fanden,
da verstanden wir uns gleich.
Welche Bilder stellt er vor uns hin, daß wir
sie deuten sollen! Als die Geliebte treulos
wird, werden die Rosen blaß, die Veilchen
trauern, die Nachtigallen weinen. Die Schlange
frißt an seinem Herzen. Und er gesteht sich
ein, daß nun alles dunkel um ihn geworden
ist:
In mein gar so dunkles Leben
strahlte einst ein süßes Bild;
nun das süße Bild erblichen,
bin ich gänzlich nachtumhüllt.
Und nun sucht er in aller Finsternis eine
Helligkeit:
Ich, ein tolles Kind, ich singe
jetzo in der Dunkelheit;
klingt das Lied auch nicht ergötzlich,
hat’s mich doch von Angst befreit.
Er ist ein gefährlicher Herzensknicker, dieser
Poet. Er foppt und lockt und ist imstande, dir
jede Grundlage unter den Füßen hinwegzu
singen. Denn immer ist er du und ich, der
Dichter des Herzens und des Gemütes. Seine
Gedichte sind die Beichte seines Lebens.
Dieses Leben wollen wir nun an uns vor
überziehen lassen.
Harry Heine, so hieß der Junge bis zu
seiner Taufe, ist am 13. 12. 1797 in Düsseldorf
geboren. Die Gelehrten streiten über sein Ge
burtsdatum. Aber das hat wenig zu bedeuten.
Wichtig ist, daß seine Kinderjahre in die Zeit
der französischen Revolution gefallen sind.
Revolutionstruppen hielten seine Vaterstadt
besetzt von 1795 bis zum Mai 1801. Im Jahre
1806 zogen napoleonische Grenadiere ein und
blieben bis zum Jahre 1813. Da war Heine
sechzehn Jahre alt; seine Entwicklungsjahre
sind somit durch die neuen Ideen unbedingt
und tief beeindruckt worden. Der Freiheits
baum hatte dem Arbeitsmenschen am Rhein
soziale Fortschritte und ein besseres Lehen ge
bracht. Der feudale Schutt der Vergangenheit
war schnell und gründlich aufgeräumt wor
den. Die Leibeigenschaft wurde abgeschafft.
Das Verbot der Heirat zwischen Adeligen und
Bürgerlichen fiel. Und die Justiz erhielt durch
den Code Napoleon ein weniger bissiges Ge
sicht. So nahmen trotz der von England ver
hängten Kontinentalsperre Handel und Wan
del zu. Beglückenswert für die Familie Heine
war die Emanzipation der Juden. Die Ghettos
wurden aufgehoben, die bürgerliche Gleich
stellung mit den Christen vollzog sich. Der
junge Heine hatte das teilweise selbst erlebt,
teils von den Eltern erfahren. Sein ganzes
Leben hindurch wird er es nicht
vergessen. Seine Eindrücke da
rüber hat er in Prosa und Ge
dichten niedergelegt. Noch in
seinem Gedicht „Deutschland,
ein Wintermärchen“, das er
mit siebenundvierzig Jahren
geschrieben hat, bebt dieses
Erleben dankbar nach:
Und die Freiheit kommt mit
Spiel und Tanz, mit der Fahne,
der weiß-blau-roten.
Der junge Harry war ein
aufgeweckter Bursche. In der
Schule war er einer der Besten.
War sie aus, dann suchte er
den romantischen Zauber. Und
der war überall zu finden. Im
alltäglichen Straßenleben, aber
auch in den Büchern. Da war
jenes Notizbuch eines verstor
benen Großonkels, der ein
schrulliger Kauz gewesen und
eines Tages sogar Beduinen
scheich geworden war; dieses
Heftchen faszinierte den Bub.
Da waren auch Schillers „Räu
ber“, der „Rinaldo Rinaldini“.
der „Schinderhannes“, auch
„Gullivers Reisen“ und andere
Geschichten, die sich gut lesen
ließen und das junge Herz
in Aufregung versetzten. Sie
waren voll spannenden Lebens,
in dem es donnerte und blitzte
oder lachte und jauchzte. Da
Bild 1 Der junge Heine