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der die nötigen „Fressalien“, auch Bleistift
und Papier beherbergt; denn ohne die letz
teren hat Heine wohl nur selten eine Reise
gemacht. Anmut geht von ihm aus. Er be
rührt einen angenehm. Manchmal blitzen seine
Augen eigentümlich auf; da hat er gerade
einen sonnenhellen Witz gedacht, eine treff
sichere Satire gefunden. Manchmal leuchten
diese Augen voller Schwermut; dann ist ihm
seine unglückliche Liebe eingefallen. Er macht
Rast, setzt sich an den Waldrand und schreibt.
Immer hält er sofort fest, was ihm Phantasie
und Gemüt schenken. Das hat er uns selbst
gesagt:
Wenn die Stunde kommt, wo das Herz mir
schwillt,
und blühender Zauber dem Busen entquillt,
dann greif ich zum Griffel rasch und wild
und male mit Worten das Zaubergebild.
Jeder Schmerz, jede Freude ist so unmittelbar
in die goldene Form seiner Lieder hinein
geträufelt; und deshalb hat deren Wirkung
nicht nachgelassen bis auf den heutigen Tag.
Es geht dem Abend zu. Die ersten Sterne
strahlen. Der Dichter findet ein Gasthaus,
tritt ein, labt sich und geht gleich auf sein
Zimmer. Durch das geöffnete Fenster hört er
das Rauschen des Waldes, sieht die Sterne
und findet wundersame Verse:
Sterne mit den goldnen Füßchen
wandeln droben bang und sacht,
daß sie nicht die Erde wecken,
die da schläft im Schoß der Nacht.
Horchend stehn die stummen Wälder,
jedes Blatt ein grünes Ohr!
Und der Berg, wie träumend streckt er
seinen Schattenarm hervor.
Doch was rief dort? In mein Herze
dringt der Töne Widerhall.
War es der Geliebten Stimme
oder nur die Nachtigall?
Vor einer armseligen Ölfunsel schreibt er sie
auf. Die Examensnöte sind vergessen. Und er
schreibt noch weiter, als die Zimmeruhr
schon zwölfmal hintereinander , .Kuckuck“
ruft. Und immer hört er die Nachtigall singen.
Der Siebenundzwanzig jährige ist jetzt wie
ein Kind, so aufgeschlossen für all das
Schöne, das ihn umgibt. Als der Morgen däm
mert, ist jener Teil der Harzreise fertig, der
vom Befahren der Clausthaler Gruben „Doro
thea“ und „Karolina“ handelt. Wie liebevoll
hat er in diesem Buche von dem Bergmanns
stande gesprochen! Und was für liebliche Ge
dichte hat er in seine Schilderungen hinein
gewebt:
Auf dem Berge steht die Hütte,
wo der alte Bergmann wohnt;
dorten rauscht die grüne Tanne
und erglänzt der goldne Mond.
In der Hütte steht ein Lehnstuhl,
reich geschnitzt und wunderlich,
der darauf sitzt, der ist glücklich,
und der glückliche bin ich.
Auf dem Schemel sitzt die Kleine,
stützt den Arm auf meinen Schoß!
Äuglein wie zwei blaue Sterne.
Mündlein wie die Purpurros’.
Welch ein Einfühlungsvermögen in die Kin
derseele verraten diese Strophen:
Plötzlich schweigt die liebe Kleine,
wie vom eigenen Wort erschreckt,
und sie hat mit beiden Händchen
ihre Äugelein bedeckt.
Nun schildert uns das Gedicht, wie draußen
die Tanne rauscht, der Sturm tobt, das
Spinnrad schnurrt, die Zither klingt. Und der
Dichter tröstet das Bergmannskind:
Fürcht dich nicht, du liebes Kindchen
vor der bösen Geister Macht!
Tag und Nacht, du liebes Kindchen,
halten Englein bei dir Wacht ....
Am andern Morgen fragt der vorwitzige Wirt
den Dichter, wer er sei, woher er komme,
wohin er wolle. ,.Ei“, erwidert der Gutge
launte „ich heiße Peregrinus, reise im Auftrag
des Sultans und werbe Rekruten. Haben Sie
Lust. . .,“ Da streicht der Wirt das Zehrgeld
ein und Heine wandert fürbaß.
Irgendwer hat Heines Lyrik mit einem
blühenden Rosengarten verglichen. Und wirk
lich, Rosen des Geistes und des Gemüts
blühen in den Gedichten: Weiße mit sammet-
artieen Blättern aus Deutschland, rote aus
Frankreich, aufgeblüht in der Gesättigtheit
südlicher Provinzen, farbenprächtige aus
Italien.
Aber er hat nicht allein für das deutsche
Herz gedichtet. Sein Herzschlag gehörte der
Menschheit. Deshalb finden seine Lieder auch
bei allen Völkern Liebe und Verständnis. Die
^ Japaner z. B. erkennen zwar Goethes über
ragende Größe an, aber er ist ihnen zu
erhaben. Seine Abgeklärtheit wirkt erkältend
auf sie, deren Dichtung von ganz andern Ge
sichtspunkten ausgeht als die europäische.
Dagegen Heines leise verhaltener Ton, seine
zarte Sentimentalität sind ihren Seelen etwas
Vertrautes; seine Ironie findet Widerhall in
ihrem Geistesleben. „Heine“, so schrieb der
Übersetzer Suiematsu Kenchio „ist der ein
zige europäische Lyriker, den wir ganz ver
stehen können. Seine innige Liebe zu den
Blumen berührt uns angenehm; seine Lieder
an die Vögel singen wir gerne mit. Seine
Dichtung ist zeitlos.“
Ein gerades und sicheres Urteil ist das. So
fühlen Fremde! Und wir, denen er gehört,
sollten ihm unsere Liebe verweigern?
Wir kleinen Leute lieben das Gefühl, das
mit uns auf du und du steht. Dieses Gefühl
schenkt er uns. Wir wollen es dankbar an
nehmen. Wer sich in einer stillen Stunde in
Heines Gedichte versenkt, wird gewahr wer
den, wie er von dem Dichter verwandelt wird.
Wir weinen mit, wenn ihm die Tränen kom
men. Wir jubeln, wenn er sein perlendes
Lachen jauchzt. Wir schlepoen uns mit ihm
über die öden Steppen der Verzweiflung und
tanzen mit ihm über Blumenwiesen der Freude.
Wir trauern mit ihm in den Buchten der un
glücklichen Liebe und schwärmen mit ihm
durch die Oasen der Erfüllung. Er kann nicht
lügen, wie manche es ihm nachsagen wollen.
Alles sagt er so heraus, wie er es empfindet,
rücksichtslos, ein wenig selbstgefällig, aber