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^cKeinrich Heine
und wir
Von Josef Schmidt, Altenkessel.
ie Probe unseres Gesangvereins ist be
endet. Wie gewöhnlich bleiben wir noch eine
Weile zusammen. Man trinkt, man raucht.
Ein paar Unentwegte spielen Skat; andere
stehn am Billard. Hinz und Kunz treiben Po
litik. Pitt und Schorsch diskutieren die Ka
lorienfrage. Um die Lampen wehen die blauen
Schleier des Tabakqualms.
Plötzlich ruft Jakob: „Es lebe das Lied!“
„Jawohl“, antworten einige, „singen wir noch
ein paar Lieder“.
Der Dirigent klopft ans Glas. Lautes Ru
moren entsteht. Dann stehen alle Stühle um
ihn herum. Er hebt den Taktstock. Und nun
sind sie da, die Königinnen der Feierabende,
die Volkslieder. Jedermann ist bestrebt, ihnen
an Herz und Gemüt zu geben, was zu for
dern ihr Recht ist.
Wir singen die „Loreley“; die wehmutvolle,
süße Weise in der bekannten Sileher’schen
Vertonung schwebt durch den Saal. Zwölf
Jahre war sie aus unseren Liederbüchern
verschwunden. Nach diesem Lied klingt in
feinem Piano ein bezaubernder Gruß an Lenz
und Liebe auf:
Leise zieht durch mein Gemüt
liebliches Geläute;
klinge kleines Frühlingslied,
kling hinaus ins Weite.
Kling hinaus bis an das Haus,
wo die Blumen sprießen.
Wenn du eine Rose schaust,
Sag, ich laß sie grüßen.
.Etwas später heißt es: „Los, Wil’m, nun sing
Du ein Solo!“ Wil’m tuschelt mit dem Diri
genten; der setzt sich ans Klavier und auf
den Schwingen einer klangvollen Bariton
stimme rauscht eine Romanze durch den
Raum;
Nach Frankreich zogen zwei Grenadier,
die waren in Rußland gefangen.
Und als sie kamen ins deutsche Quartier,
sie ließen die Köpfe hangen.
Das Lied ergreift. Mancher denkt dabei an
einen Bruder, an einen Sohn, den er noch in
Gefangenschaft weiß. Und welche Melodie,
welcher Inhalt! Die Grenadiere hören die
Mär, ihr Kaiser Napqleon sei gefangen, ihr
Abgott, ihr Alles. Da brechen vor innerer
Erschütterung die vernarbten Wunden auf.
Tränen rollen über die ausgemergelten Wan
gen. So groß ist ihr Schmerz, daß sie Weib
und Kind darüber vergessen:
Was schert mich Weib, was schert mich Kind!
Ich trage weit besseres Verlangen;
laß sie betteln gehn, wenn sie hungrig sind. —
Mein Kaiser, mein Kaiser gefangen.
Nur eine Empfindung ist ihnen geblieben,
eine Sehnsucht. In Frankreichs Heimaterde
wollen sie begraben sein, um dort die Stunde
zu erwarten, da ihr Bonaparte, „le petit
caporal“, wie sie ihn in der Schlacht bei
den Pyramiden genannt haben, auferstehen
wird:
So will ich liegen und horchen still,
wie eine Schildwacht im Grabe,
bis einst ich höre Kanonengebrüll
und wiehernder Rosse Getrabe.
Dann reitet mein Kaiser wohl über mein
Grab,
viel Schwerter klirren und blitzen;
dann steig ich gewappnet hervor aus dem
Grab,
den Kaiser, den Kaiser zu schützen.
Als Wil’m geendet hat, ist es still. In diese
Stille hinein spricht der alte Lehrer: „Ja, der
Heine! Nun haben wir drei Lieder von ihm
gehört. So lange war er verfemt bei uns.“ —
Geraune. Und dann drei, vier Fragen auf ein
mal: „Heine! Wer ist das? Wo lebt er? Wo
sind denn die Gedichte, die er geschrieben
hat?“
Ich sehe mich nach den Fragestellern um.
Da sitzen sie: der Krischan, 19 Jahre alt, der
Poldi, noch jünger, der Ignatz, ein Jungmann
von 20 Jahren.
Bei näherem Befragen gibt Poldi zu, ein
mal im „Stürmer“ von einem Heinrich Heine
gelesen zu haben; aber der könne doch nicht
der Heine gewesen sein, welcher die schönen
Lieder gedichtet habe. Nein, das sei nicht
möglich. „Hand aufs Herz!“ sage ich, „wer
von uns kennt den Dichter noch? Wer hat in
all den Jahren in seinen Büchern gelesen?
Wir haben ihn befehlsgemäß verleugnet.“
Dann schlage ich vor, einen Heineabend un
ter uns zu gestalten. Ich würde mich wieder
mit seinem Werk vertraut machen und ihnen
in acht Tagen etwas von dem Dichter erzäh
len. Das ist ihnen recht. Und so kam es, daß
gestern abend bei der „Euphonia“ ein Vor
trag gestartet ist. Der herzbewegende Lyriker
war es, den ich vorstellte.
„Ich sehe ihn durch den Harz wandern“,
begann ich zu erzählen. „Unter seiner grünen
Kappe flattern blonde Haare im Wind. Blaue
Augen lächeln aus dem ausdrucksvollen Ge
sicht. Die Schläfen sind wohlgeformt, fast
viereckig. Seine Gestalt ist mit einem braunen
Überrock bekleidet: dazu trägt er gelbe Hosen
und eine gestreifte Weste. Auf dem Rücken
hängt der Ranzen aus grüner Wachsleinwand,