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Von Dr. h. c. P. GUTHÖRL, Saarbrücken
Vor rund 100 Jahren gab der Schweizer Bota
niker und Palaeobotaniker Professor Dr. Oswald
Heer in einem seiner erdgeschichtlichen Vor
träge eine für die damalige Zeit recht vortreff
liche Schilderung des Lebens im Steinkohlen
wald. Wenn sich diese auch heute nicht mehr
in allen Punkten mit den neuesten Forschungs
ergebnissen auf den Gebieten der Geologie oder
Erdgeschichte und Palaeontologie oder Verstei
nerungskunde in Einklang bringen läßt, so ver
dient sie dennoch, einleitend angeführt zu
werden:
„Noch lebten keine Blumenthiere, keine Thiere,
die auf den Pflanzen sich sonnten, wie denn
auch die Farnkräuter und Bärlappen, welche
damals die Hauptmasse der Pflanzenwelt gebil
det haben, in ihren analogen, jetzt lebenden
Arten, im Schatten feuchter, dunkler Wälder
tropischer Inseln gedeihen. Noch gab es da
mals keine Laubbäume und keine Blumen, die
jetzt die Urbilder der Schönheit in der Pflanzen
welt abspiegeln und einen Teppich voll herr
lichster Farben und Formen vor uns ausbreiten.
Noch hat die Natur keine Stimme erhalten. Die
Heuschrecken sind noch die einzigen Sänger in
dieser einsamen Welt. Eine unendliche Schwer-
muth liegt auf diesem Bilde der Kohlenzeit. Man
denke sich die schwüle, mit Dünsten erfüllte
Luft, den heißen, dampfenden Boden, die laut
lose Stille, die fast nur durch den Kampf der
Elemente unterbrochen wird: dort durch das
Rauschen und Tosen der Meeresbrandung, hier
durch das Plätschern des Regens und das Heu
len des Windes in den Wipfeln der dunkeln
steifblättrigen Bäumel Man denke sich dazu
den immer noch dunkeln, von Wolken dicht
umhüllten Himmel, an dem noch keine Sonne
scheint, kein Stern glänzt! — Wie lange die
Kohlenzeit gedauert hat, vermag kein Mensch
zu sagen, und alle Berechnungen, die man dar
über, auf die ungeheuren Kohlenmassen sich
stützend, angestellt hat, beruhen auf unsicheren
Grundlagen,, da wir die Bedingungen des da
maligen Pflanzenlebens noch viel zu wenig
kennen. Nur das ist sicher, daß dieser Zeitraum
Jahrtausende umspannen muß."
Die Pflanzenwelt, wie sie in der Steinkohlen
zeit lebte, gibt Veranlassung zu der Feststel
lung, daß es sich in dem sogenannten Stein
kohlenwald, den ich in früheren Aufsätzen be
reits eingehend geschildert habe, um ausge
dehnte Sumpfwaldmoor-Gebiete handelte. Ver
hältnismäßig trockene Stellen waren als Inseln
und an den Rändern vorhanden, sodaß das Wald
sumpfmoor keinen geschlossenen Morast dar
stellte. Offenbar waren es Flachmoore. Für den
sumpfigen und schlammigen Boden sprechen
auch die horizontal ausgebreiteten Wurzeln der
baumlörmigen Gewächse. Die gleiche Erschei
nung findet man heute noch bei Bäumen der
Moorlandschaften. Sie ist in der Hauptsache
durch das Sauerstoff-Bedürfnis der Wurzeln
bedingt. Diese nehmen den Sauerstoff wegen
des Schlammbodens, in dem sie sonst ersticken
würden, von oben, nahe der Erdoberfläche. Be
dem Gedeihen der so üppigen Steinkohlen
wälder und einigen in diesen lebenden Tier
gruppen, vornehmlich der Insekten, hat das
damalige Klima eine besondere Rolle gespielt
Es war feucht und warm, vielleicht subtropisch
Die Niederschläge waren reichlich und oft lang
anhaltend. Dieses Klima der Steinkohlenzeh
wurde auch nicht durch kältere Perioden unter
brochen, wie dies heute bei uns der Fall ist
Kältere Jahreszeiten, bzw. Jahreszeiten über
haupt, kannte man damals noch nicht. Dies be
zeugen die jahresringelosen Bäume der Steim
kohlenzeit, die man in Form von Versteinerun
gen findet. Die Bildung von Jahresringen bei
den heutigen Bäumen beruht ia bekanntlich au!
den beim Dickenwachstum entstehenden großen
Zellen während des Frühjahres in der Haupt
wachstumsperiode und kleinen Zellen während
des Herbstes bei der Abnahme der Wachstums
geschwindigkeit. In der Steinkohlenzeit kannte
man demnach noch keinen Winter. Daher fehl
ten in dieser Zeit auch die holometaboleri
Insekten (das sind solche, die eine vollkommene
Verwandlung bei der Entwicklung — Larve
Puppe, Image oder ausgewachsenes Insekt —
durchmachen). Es lebten damals ausschließlich
heteroraetaboie Formen (das sind solche mil
unvollkommener Entwicklung), die sich zum
Schutze gegen die Winterkälte dieser nicht an
zupassen brauchten. Heute noch sind die Insek
ten mit unvollkommener Verwandlung haupt
sächlich auf Gebiete mit mildem, feuchtwarmem
frostfreiem, tropischem bzw. subtropischem
Klima beschränkt, während die hoiometabolex
Formen meistens in kälteren Gegenden anzu
treffen sind.
Bei den nun folgenden Betrachtungen über di*
Tierwelt des Steinkohlenwaldes soll vom „Saar
Steinkohlenwald" ausgegangen werden. Im
rechts des Rheines gelegenen Rheinisch-west
fälischen Becken und dem links des Rhein*
gelegenen Aachener Becken waren die Ver
hältnisse zur Steinkohlenzeit infolge der
Meeresnähe anders gelagert als im Saar-loth
ringischen Becken. Während die paraliechen
oder meeresnahen Steinkohlenablagerunget
die nördlichen Saumtiefen des varistischen
Gebirgszuges, der in den Sudeten seinen An
fang nimmt und durch Mitteldeutschland über
das Rheinische Schiefergebirge nach Mittel
frankreich verläuft, aus.üllen, ist dasSaar-loth
ringische Steinkohlengebirge neben den Sächsi
sehen, Niederschlesischen und Böhmischen Koh
lengebieten auf die südlichen Becken beschränkt
(Abb. 1). Im Gegensatz zu den parali9cheh Stein