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äuch vorbereiten kann, oder seine intellektuelle
oder künstlerische Kultur weiterverfolgen, oder
endlich tausend kleine Arbeiten, die zum Unter
halt des Hauses nötig sind, ausführen kann.
Freiheit bedeutet endlich die Befreiung der
Wohnung von dem allzuengen Kontakt mit der
Straße; es bedeutet, die menschliche Gesell
schaft selbst befreien von der gegenseitigen
Belästigung der Individuen untereinander.
Zweite Losung: Ofd 11111) g
Die vorher entwickelte Idee der Freiheit ist
eng verbunden mit derjenigen der Ordnung.
Die Freiheit des Einzelmenschen findet ihre
Grenze in dem Augenblick, wo sie die Freiheit
seines Mitmenschen beeinträchtigt. Die Ordnung
ist die einzige Macht, die individuelle und kol
lektive Freiheit harmonisch verbinden kann. Der
Begriff der Ordnung verlangt, die städtischen
Funktionen festzulegen, sie einander unterzu
ordnen und endlich ihnen die Beziehungen zu
geben, die zueinander in richtigem Gleichgewicht
stehen: Gleichgewicht der Nachbarschaft, der
Stellung und der Gestaltung der Gebäude, ein
Gleichgewicht für die Verkehrsmittel, gute Ver
kehrsmöglichkeiten für die verschiedenen Stufen
der Geschwindigkeit, vom schweren Lastwagen
bis zum Fußgänger, eine Regelung ohne Gefahren
und ohne gegenseitige Beeinträchtigung. Dieser
Gedanke der Ordnung führt von selbst zur
Planung, zur Methode, zu Präzision.
Dritte Losung: Fortschritt
Unser Leben hätte keinen Sinn ohne Fort
schritt. Vom Kind bis zum erwachsenen Men
schen verbessern wir ohne Unterlaß unseren Kör
perzustand, unseren Verstand und unsere gei
stige Bildung. So verlangt auch der Mensch für
seinen Lebensrahmen in gleicherweise den Fort
schritt. Es handelt sich für uns nicht nur darum,
die Möglichkeiten unseres Komforts zu vergrö
ßern, sondern auch die unseres intellektuellen
und Gefühlslebens, unserer innerlichen Kultur.
Wir fordern von unserem Heim die gleichen
Eigenschaften wie von einem Freunde, d. h.
Sicherheit, Freimütigkeit, Klarheit, künstlerisches
Gefühl. Wir fühlen, daß ein solcher Fortschritt
ohne weiteres möglich ist, wenn wir seine Ver
wirklichung beobachten auf Gebieten, die mit
dem der Wohnung parallel laufen, beispielsweise
bei, den Transporteinrichtungen (Flugzeuge, große
Pas^agierdampfer usw.) oder bei den modernen
öffentlichen Gebäuden wie Museen, Kliniken usw.
Vierte Losung: Wirksamkeit
Wir begreifen jeden Tag mehr, daß die Arbeit
und die Erfüllung sozialer Pflichten nicht nur
vom Menschen ein Gleichgewicht verlangt, son
dern auch ein Gleichgewicht von der Stadt. Eine
Stadt ist in der Tat nichts anderes als ein Werk
zeug, dessen Nutzwert sich bemißt nach den Mög
lichkeiten des Austausches, eines leichten und
raschen Verkehrs, des Zusammenhängens analo
ger Funktionen und der entsprechenden Grup
pierung von öffentlichen Anstalten gleicher Art.
Einen Weg sparen, ist ln der Stadt noch wich
tiger als im Hause. Es handelt sich darum, die
beste Arbeit zu liefern mit einem größtmöglichen
Minimum an Anstrengung.
Fünfte Losung: Hygiene
Dieser Begriff ist noch jung, kaum hundert
Jahre alt. Im allgemeinen glaubt man, wenn man
von Hyg ene spricht, daß sie das Ergebnis sei
von Reinlichkeit und Unschädlichkeit, man muß
aber noch hinzufügen: Schönheit, physiologische
Reinheit, Klarheit der Kontakte, klare Durch
sichtigkeit der Scheiben. Das alles läßt denken
an eine andere Hygiene, an diejenige des Den
kens. Der Mensch kann seine Instinkte nicht
überwinden ohne elementare Hygiene, die ihn
und seinesgleichen vom Gewicht der Erbübel be
freit. Die Hygiene fordert drei Dinge: Luft, Licht
und Sonne. Man müßte noch hinzufügen: frei«
Sicht und Ruhe, und das sowohl für das Innere
eines Hauses wie für das einer Stadt. Es gibt also
eine Hygiene der öffentlichen Transporte, eine
Hygiene der Straßen und der Plätze wie eine
solche der öffentlichen Gebäude. Ein sauberer
Mensch hat die Möglichkeit, ein glücklicher, ein
kultivierter und ein in dem sozialen Leben nütz
licher Mensch zu werden.
Sechste Losung: Schönheit
Aber das, was wir eben gefordert haben gemäß
der physischen und moralischen Hygiene, befrie
digt uns noch nicht. Gewiß, wir wollen öffent
liche Parkanlagen, um dort einmal richtig
frei aufatmen zu können. Aber wir wollen
sie auch, weil wir ein Verlangen nach Schön
heit haben, welches die Natur im allgemeinen
befriedigt. Der Mensch bedarf eben eines Kli
mas der Schönheit rund um ihn. Solche Schön
heit bedeutet keinen Gegensatz zu unseren
vorhergehenden Forderungen. Ein schönes Werk
zeug ist im allgemeinen auch ein wirksames, sau
beres und sicheres Werkzeug. Wir wissen also,
daß, wenn wir inmitten der übrigen Grundbedin
gungen auch die Schönheit fordern, wir ledig
lich einem allgemeinen Gesetz folgen.
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Der Mensch hat immer versucht, zwischen der
göttlichen Schöpfung der Natur und seiner
eigenen eine dauernde Harmonie aufrecht zu er
halten. Er verfolgt dieses Ziel nicht nur im Plan
der Struktur seiner Städte, seines Heimes, oder
auch eines Denkmals, sondern er sucht auch die
Schönheit in der Beziehung dieser zur Land
schaft, also in einem naturgegebenen Rahmen.
Das sind also die Grundsätze, welche uns bei
dieser Studie geleitet haben. Sie führen uns ganz
von selbst zu einer tiefgehenden Evolution im
Städtebau wie in der Architektur. Wir müssen
dabei auch noch unterstreichen, daß der Revolu
tion in unserem Endziel naturgemäß eine Revo
lution in den angewandten Mitteln entsprechen
muß.
Es ist klar, daß wir in zehn Jahren nicht die
r : esongroße Menge an Bauten aller Art ersetzen
können, an der die vorhergehenden Generationen