Die Well der Stärkeren
Von Kriegsberichter Dr. Frhr. v. Imhoff
PK. Monat um Monat, Jahr um Jahr steht
der kämpfende Soldat nun schon an der
Front. Sie ist für ihn zwangsweise zur Ge¬
wohnheit geworden. Der Kampf ist für ihn
nicht mehr, wie in den ersten Monaten dieses
Krieges, elementares Ereignis, sondern er ist
bereits Zustand, er ist Lebensform geworden.
Der Neuling empfindet es vielleicht noch als
Absonderlichkeit, wenn deutsche Divisionen
am Kuban-Brückenkopf auf Asiens Boden
die europäische Kultur gegen die östliche
Steppe verteidigten. Der erfahrene alte Front¬
kämpfer aber nimmt die Waldungen des Kau-
*eA.
.
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Viele Stellen Innerhalb des Grabens können wegen Feindeinsicht nur
im Laufschritt überquert werden.
PK-Aufnahme: Kriegsberichter Hermann (Wb)
kasus, die Sumpfniederungen des Kuban als
eine Art Selbstverständlichkeit hin.
In den Gesprächen, die darüber an der
Front geführt werden, klingt die Heimat
ständig an. Sie ist die feste Basis, auf der alle
Diskussionen in erdigen Gef echtsständen oder
zwischen zitternden Mauern von Kosaken¬
dörfern stehen. Den Vorrang aber hat der
Krieg! Das beginnt mit den gebleichten
Uniformen, mit dem von Schlamm und Regen
mürbe gewordenen Schuhwerk. Das endet
bei all den Problemen von Wirtschaft und
Politik, die hier so gesehen werden, als sei der
schmale Gefechtsstreifen
einer Kompanie der Nabel
der Welt. Diese Geistes¬
haltung muß so sein und
nicht anders; denn durch
sie schafft sich der Soldat
einen unsichtbaren Schutz¬
mantel, der ihn geistig und
seelisch vor allen Fähr¬
nissen des Nomadendaseins
beschützt. Sie verschafft
den Feldgrauen die tiefere
Begründung seines Front¬
lebens. Also keine Gleich¬
gültigkeit, sondern bewußte
und gewollte Haltung!
Naturgemäß wird aber so
jede früher natürliche Of¬
fenbarung der Heimat
fremd und fern. Das einst
Alltägliche wird zu etwas
Außergewöhnlichem, das
man wohl ersehnt, um das
man aber nicht etwa fleht.
Man träumt zeitweise von
den Glocken, deren Töne
man hier vergeblich sucht.
Man träumt vom Pfeifen
der Fabriken, vom Rattern
der Eisenbahn, vom Lachen
der Kinder und von den
harmonischen Klängen eines
fernen Volksliedes. Man
träumt davon, weil der Ta¬
geslauf vom unruhig noma¬
dischen Leben der Front er¬
füllt ist, weil die Rück¬
schläge des Winters die
Frage aufwerfen, ob dem
Herzen des deutschen Sol¬
daten nicht doch eine blu¬
tende Wunde gerissen wur¬
de, ob die Moral der Front
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