Die Launen der Natur
Erzählung von Erik Stockmarr.
(Alleinberechtigte Übersetzung aus dem Dänischen v. Edmund Bickel.)
Tumse hat eben ihren ersten Geburtstag
gehabt und ist somit hoch in die Jahre ge¬
kommen, so daß eine der wichtigsten Begeben¬
heiten unmittelbar bevorsteht. Aus ihrem
bisherigen etwas feuchten Dasein und Zustand
soll sie jetzt in die zivilisierte Gesellschaft
eintreten und in der Benutzung des Töpf¬
chens unterrichtet werden. Das ist ein großer
Schritt, der gemacht werden soll, und wenn
man der täglichen stundenlangen Arbeit folgt,
Tumse begreiflich zu machen, wozu man ein
Töpfchen benutzt, versteht man, daß es eine
Kunst ist, eine große Kunst, das erwähnte
Töpfchen zu bedienen. Tumse soll also jetzt
in den Kreis derer treten, die diese Kunst
meistern. Man kann nicht tun und lassen wie
man will.
Als der Tag angebrochen war, an dem die
erste Unterrichtsstunde beginnen sollte, ver¬
sammelte sich die Familie im Wohnzimmer,
Vater, Mutter, Großmutter, Tante Lotte, Onkel
Sofus und außerdem der Hund Treu, der
auch bei der Begebenheit anwesend sein
sollte. Lehnstühle werden im Halbrund im
Zimmer aufgestellt, und man setzt sich im
Amphitheater zurecht. Der Vater zündet
eine „Flora Danica“ anläßlich des Tages an.
Die Spannung ist ungeheuer. Jetzt kommt
Mutter vom Schlafzimmer mit dem Töpfchen
herein, auf dem mit eleganten Buchstaben das
Wort „Tumse“ gemalt ist, um Verwechslungen
zu vermeiden. Man sieht der Uraufführung,
die jetzt stattfinden soll, mit großen Erwar¬
tungen entgegen.
Das Töpfchen wird mitten auf den Boden
gestellt und von der erlesenen Gesellschaft
mit etwas verlegenem Lächeln begrüßt. Tumse
wird aus ihrem Laufställchen genommen und
auf Mutters Arm zum Töpfchen getragen.
Tumse ist mit dem von Mutter Eva erfun¬
denen Sommerkleid bekleidet und begrüßt
das Töpfchen mit ausgebreiteten Armen und
kleinen entzückten Freudenschreien. Es
strahlt in weißer jungfräulicher Pracht. Nun
nimmt sie Mutter unter die Arme und setzt
sie vorsichtig auf das Töpfchen. Langsam
kommt sie aus der Luft herunter und landet
auf dem Möbel. Etwas überrascht sitzt sie
und sieht sich im Parkett um, das ihr mit
Begeisterungsausbrüchen huldigt. Mutter tritt
ein paar Schritte zurück und betrachtet ihren
kleinen Sprößling, der gut und sicher sitzt.
Die Familie tut, was sie kann, um die Kleine
mit ermunternden Zurufen zu animieren. Der
Vater lächelt schelmisch und läßt seine tiefe
Baßstimme klingen:
„A-r-a, A—a“, sagt er und zeigt auf das
Töpfchen.
Die übrige Familie stimmt mit ein, und bald
widerhallt das Zimmer von einem taktfesten
Chor, der die bekannte Volksweise anstimmt:
„A—a“. Unter gespannter Aufmerksamkeit
starrt man auf das Töpfchen, auch Treu er¬
hebt den Kopf und spitzt die Ohren. Tumse
guckt erstaunt die Gesellschaft an und schließt
sich dem Chor an, über das ganze Gesicht
lachend, und singt begeistert mit: „A—a“.
Leider beschränkt sich ihr Beitrag auf das
rein Gesangliche.
Das Töpfchen ist weiterhin leer. Die
Familie sinkt enttäuscht in die Stühle zurück.
Da steht Tumse plötzlich auf und steht auf
ihren O-Beinchen und schwankt vorwärts und
rückwärts. Eben als sie fallen will, greift die
Mutter nach ihr und setzt sie wieder auf das
Töpfchen. Wie ein Teufelchen aus der
Schachtel springt sie wieder hoch, wird wie¬
der hingesetzt und springt wieder hoch. Die¬
ser spannende Kampf wird eine kleine Weile
fortgesetzt, bis Tumse zu weinen anfängt.
Treu wendet sich ab und seufzt enttäuscht.
Die Versuche werden jetzt eingestellt, da man
darüber einig wurde, daß sich Tumse einfach
nicht darüber klar ist, wozu man ein Töpf¬
chen benutzt.
Diese Annahme stützt man auf den Um¬
stand, daß sie plötzlich ein Gespräch mit dem
Töpfchen einleitet, das unabweislich darauf
hindeutet, daß die Annahme richtig ist:
„Baba“, sagt sie und streicht es zärtlich,
„Baba, baba, baba!“
Die Familie hat jetzt die Hoffnung auf¬
gegeben, positive Ergebnisse der Bemühungen
zu sehen. Man schlägt vor, Tumse ins Bett
zu legen und an einem anderen Tag das Glück
zu versuchen. Mutter meint jedoch, man sollte
es mit einem theoretischen Kurs versuchen.
Tumse muß erst verstehen, was geschehen
soll. Man beratschlagt allgemein. Mutter ruft
das Mädchen des Hauses und bittet es, mit
eine Kanne Wasser zu kommen. Auguste
kommt mit einer Kanne und wird von Tumse
mit Jubel begrüßt. Tumse wird jetzt wieder
auf das Töpfchen gesetzt, und Auguste be¬
kommt den Auftrag, Wasser in das Töpfchen
zu gießen.
Tumse guckt in das Töpfchen und betrach¬
tet mit Interesse den kleinen See, der auf
dem Boden ist. Der rieselnde Ton des Wassers
19ß