geahnt, wo du des Abends dein Haupt hin¬
legen würdest. Du bist von Gefahr zu Gefahr
geeilt. Du warst wieder wie der Urmensch,
der keinen Schritt ohne Bedrohung tun
konnte. Deine Sinne haben sich geschärft,
deine Witterung ist empfindlich geworden
wie die eines edlen Tieres. Du warst wieder
auf dich selbst gestellt und mußtest aus dem
Augenblick heraus handeln, auf Gedeih und
Verderb handeln, ein Nichts im Sturm des
Schicksals und doch ein Wille, ein immer
sich erneuerndes, zähes, unbeirrbares Den¬
noch. Du hast Menschenleben ausgetilgt und
hast dein eigenes Leben hundertfach gewon¬
nen, indem du es einsetztest. Du bist ein Herr
gewesen von solcher Herrlichkeit, wie du’s
nie vorher warst und in Zukunft nie wieder
sein wirst. Und du bist ein andermal unter
einen Zwang gestellt worden, der härter war
als ihn je ein Sklave hat ertragen müssen.
Was du durchgemacht hast, das Höchste wie
das Niedrigste, Gehorsam und Herrschaft,
Wagnis und Verlust, Verzweiflung und Tri¬
umph, Einsamkeit und Bruderschaft, Himmel
und Hölle, das weicht nicht wieder von dir,
du hast es dir zu eigen gemacht, es ist dein
neues Ich geworden. Als ein so Veränderter,
als ein so tief Veränderter bist du nach Hause
gekommen und deiner Frau entgegengetreten.
Du warst wahrhaftig nicht mehr derselbe
wie beim Abschied.
Und deine Frau? Glaubst du, daß die Mo¬
nate und Jahre, in denen sie allein sein
mußte, immer in tödlicher Angst um dein
Leben, die langen, schlaflosen Nächte, in denen
sie dalag und grübelte, spurlos an ihr vor¬
übergegangen sind? Glaubst du, daß es ihr
ein Leichtes gewesen ist, die Verantwortung
für die Erziehung der Kinder und für die
Verwaltung deiner Habe ganz allein auf sich
zu nehmen? Glaubst du, daß die Bewältigung
der neuen und schwierigen Verhältnisse, die
der Krieg für die Hausfrauen mit sich ge¬
bracht hat, nicht Kräfte in ihr hat wachsen
lassen, die sie verwandelt haben? Deine Er¬
lebnisse waren machtvoller als ihre, gewiß,
aber du bist ein Mann, und sie ist eine Frau.
Wer will die Leiden der Seelen vergleichen?
Wer will entscheiden, was das größere Opfer
erfordert: zu warten und immer wieder zu
warten, wenn auch im Gefahrlosen, oder
voranzustürmen, wenn auch durch Not und
Tod? Es kann kein Zweifel obwalten, daß die
Ehefrau, die sich und die Ihren durch die
vielen Monate des Krieges hindurchgebracht
hat, ebenfalls eine andere geworden ist.
Und so seid ihr denn, als ihr euch neu¬
lich gegenüberstandet, zwei erschütterte,
zwei veränderte, zwei fremde Menschen ge¬
wesen. Und wie habt ihr euch verhalten?
Ihr habt so getan, als wäre nichts geschehen.
Nein, lieber Freund, zwei Menschen, denen
das beschieden gewesen ist, was ihr erlitten
habt, können unmöglich einfach dort fort¬
fahren, wo sie weiland aufgehört haben. Der
eine glaubt den andern zu kennen und kennt
doch nur einen längst Ausgelöschten. Da kann
es ja gar nicht ausbleiben, daß sich ein Mi߬
verständnis an das andere reiht. So geht es
nicht. Ihr müßt vielmehr vergessen, was da¬
mals war. Ihr müßt begreifen, daß ihr ein¬
ander fast so fremd seid wie zu jener Zeit,
als ihr euch zum ersten Male in eurer Jugend
begegnetet. Ihr müßt versuchen, wie damals,
euch allmählich näher zu kommen. Ihr müßt,
jeder auf seine Art, umeinander bemüht sein.
Ihr müßt... Aber ich spreche ja nicht zu
euch beiden, sondern nur zu dir. Du mußt
um sie wie um eine Geliebte werben. Es hilft
nichts, du mußt wieder ein Suchender, ein
Dienender, . ein Tastender, ein Liebender
werden. Es ist ja nicht deine Frau, an die du
dich wendest, nicht dein vertrautes Eigen¬
tum, nicht deine stille Heimat in der Welt,
es herrscht keine Sicherheit zwischen euch,
ihr müßt von vorn anfangen, ganz von vorn.
Und ihr dürft die Behutsamkeit nicht ver¬
gessen, die zwischen Suchenden und Seh¬
nenden zu sein pflegt, und nicht die Scheu
und nicht die Achtung und nicht die Nach¬
sicht. Dann geschieht es vielleicht, daß ihr
euch wiederum findet, inniger vielleicht, wer
kann es sagen, als zuvor.
Willst du das bei deinem nächsten Urlaub
■nicht einmal versuchen? Und in der Zwi¬
schenzeit, wenn du an deine Frau schreibst,
willst du nicht schon so zu ihr sprechen, als
wüßtest du nichts mehr von ihrem Wesen.
Du weißt ja auch nichts mehr von ihr. Ein
unbekanntes Menschenkind hat einem unbe¬
kannten Soldaten einen Gruß geschickt und
nun antwortest du, fragend, leise und guten
Willens. Tu’s doch einmal! Ich bitte dich
herzlich darum. Tu’s mit aufrichtiger Seele
und ohne einen andern Hintergedanken als
allenfalls den, daß ihr beide euch ein Inner¬
stes und Geheimstes unversehrt durch die
wilden Zeiten hindurch bewahrt haben möch¬
tet, das wieder zueinander verlangt, wie viel
Fremdes sich auch sonst eingestellt haben
mag.
Im Grunde ist es ja nichts Absonderliches,
was ich dir, was ich euch zumute. Ich glaube
nämlich, daß auch in ruhigen Zeitläuften
eine Ehe nur dann bestehen kann, wenn
beide Teile nie aufhören, tagtäglich umein¬
ander zu werben, als wäre die Bindung des
Hochzeitstages nicht vorhanden. Eine Ehe ist
nicht etwas Bestehendes, sondern etwas un¬
ablässig Werdendes, wie denn auch der
Mensch sich nicht gleichbleibt, sondern in
ewiger Verwandlung begriffen ist. Nur wer
den Mut hat, jeden Morgen und jede Stunde
gleichsam von neuem zu beginnen, kann eine
Ehe führen.
Ich schreibe dir dies alles aus eigener
schmerzlicher und guter Erfahrung. Darum
darfst du mir vertrauen.
Vergiß dein Opfer für das Deutsche Kote Kreuz nichtl
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