Alt einen Mann im Felde
Von Manfred Hausmann
Die Nachricht, lieber Freund, daß du dich,
als du letzthin auf Urlaub warst, mit deiner
Frau nicht mehr verstanden hast, ja, daß du
allen Ernstes an eine Trennung denkst, hat
mich mehr bewegt, als ich dir sagen kann.
Immerhin bin ich froh, daß du wenigstens
die Kraft gefunden hast, dich mir anzuver¬
trauen. In einem solchen Fall ist es, glaube
ich, besonders schlimm, wenn man niemanden
weiß oder zu niemandem hinfindet, mit dem
man über seine Zweifel und seine Ratlosig¬
keit sprechen kann. Je inniger das Verhält¬
nis zu der Frau ist oder war, um die es geht,
desto schwerer fällt es einem ja, sich einem
Dritten gegenüber zu öffnen. Im Glück mag
es noch möglich sein, aber im Unglück
schweigt man lieber und macht die Sache mit
sich selbst ab. So bin ich mir denn durch¬
aus klar darüber, was es bedeutet, daß du
mir dennoch geschrieben hast. Ich danke dir,
du Lieber, für die hohe Meinung von unserer
freundschaftlichen Verbundenheit, die dir ge¬
blieben ist.
Vielleicht kann ich dir ein wenig helfen.
Nicht als ob ich mit billigen Trostworten
kommen oder euer Zerwürfnis als unbedeu¬
tend hinstellen wollte. Du wirst schon recht
haben, wenn du schreibst, es handelte sich
diesmal um etwas Tieferes und Schreck¬
licheres als um eine jener Katzbalgereien, die,
wie in allen Ehen, so auch in eurer, hin und
wieder vorgefallen wären. Ich nehme ohne
weiteres an, daß die Entfremdung zwischen
euch von ganz besonderer Art war. Du bist
der Ansicht, sie sei durch nichts zu besei¬
tigen, sie sei endgültig. Wenn du das nicht
meintest, hättest du mir wahrscheinlich gar
nicht geschrieben. Und doch will mir’s so
Vorkommen, als bekunde sich in der Tat¬
sache, daß du dich mir anvertraut hast, auch
wieder eine kleine, dir womöglich nicht ein¬
mal bewußte, aber doch vorhandene Hoff¬
nung, ich könne noch irgendeinen rettenden
Rat wissen.
Es wird dich nicht eben aufrichten, wenn
ich dir mitteile, daß dein Schicksal kein Ein¬
zelschicksal ist. Sehr viel mehr Ehen, als du
denkst, zerbrechen in diesen Zeiten oder
drohen zu zerbrechen. Ich schreibe dir das
auch nicht zum Trost, sondern aus einem
anderen Grunde. Wenn eine so große Anzahl
von Ehen von der gleichen Krankheit befal¬
len wird, dann liegt doch die Frage nahe, ob
nicht auch die Ursache die gleiche sei. Ge¬
wiß, jedes Ehepaar wird imstande sein, eine
Reihe von Einzelvorfällen anzuführen, die an
dem Sichnichtmehrverstehenkönnen schuld
sind, und auch du deutest ja so etwas an.
Aber all die Meinungsverschiedenheiten und
unbegreiflichen und lieblosen Handlungen
sind doch nur die Folgen von etwas anderem.
Und dies Andere gilt es, zu erkennen. Wer es
gefunden hat, vermag es vielleicht anzuwen¬
den und seine Ehe zu bewahren. Was ist es
also?
Sag einmal, warst du eigentlich, als du
nach Hause kamst und deine Frau an dich
zogst, noch derselbe wie damals, als du fort¬
gingst? Und war deine Frau, als sie dich be¬
grüßte, noch dieselbe wie damals, als sie dich
lassen mußte? Du siehst mich verwundert an.
Wie solltet ihr, deine Frau und du, denn
anders geworden sein? Und doch verhält
sich’s so. Und daß du dich wunderst und es
nicht weißt, gerade das ist womöglich die Ur¬
sache deiner ehelichen Schwierigkeiten. Lie¬
ber Freund, denke doch einmal nach, was
für ein Leben du führtest, ehe der Krieg aus¬
brach! Du hattest deine Frau und deine Kin¬
der, ihr kanntet euch, ihr hieltet zusammen,
ihr liebtet euch. Du hattest deinen Hausstand,
du hattest deinen Beruf, der dir Freude
machte, du hattest deine Freundschaft, deinen
Verein, deine Kameraden, du hattest deine
Vergnügungen, du hattest deine Liebhabereien,
du hattest deine Sicherheit und du hattest
dein Glück. Wohl kamen hin und wieder auch
unangenehme Dinge vor. Aufregungen, Sor¬
gen und Betrübnisse, das wohl, aber im gro¬
ßen und ganzen wohntest du doch in einer
beruhigten und geordneten Welt und warst
selbst beruhigt und geordnet wie sie. Und
dann riß der Krieg dich sozusagen über Nacht
hinweg. Er warf dich in die fremdesten Län¬
der. Du sahst den Süden, die Eigenart des
griechischen Lebens, die Buntheit des Bal¬
kans, die wogende Weite des Schwarzen Mee¬
res, du sahst die grenzenlosen Steppen Ru߬
lands, die gewaltigen Ströme, die grauenvollen
Wälder, die ungeheuren Einsamkeiten. Das
war schon viel. Es wirkte erregend und er¬
schütternd auf deine Seele. Aber das andere
war mehr. Du mußtest kämpfen, niederbren¬
nen, zerstören und töten. Du hast Schreie
gehört und Blick$ gesehen, die du nie wieder
vergessen wirst. Du weißt jetzt, bis zu wel¬
chem Opfermut der Mensch sich erheben und
in welche furchtbaren Abgründe er versinken
kann. Du kennst die Vernichtung in allen
ihren Gestalten, du hast wieder und wieder
dem Tod in die leeren Augen gestarrt, du
bist von Mächten geschüttelt worden, von
deren Dasein du bislang nicht einmal etwas
ahntest, geschweige denn, daß du ihnen schon
begegnet wärest. Du hast erschauernd gefühlt,
was es bedeutet, dem Schicksal ausgeliefert
zu sein. Du weißt wieder, was das ist: Schick¬
sal, unbegreifliches Walten des Jenseitigen,
rätselhafte Herrschaft Gottes. Du hast er¬
fahren, wie winzig und verloren der Mensch
in der Finsternis der Welt umherirren kann.
Seit du den feldgrauen Rock trägst, bist du
der nächsten Stunde nicht mehr sicher ge¬
wesen. Es gab kein Planen mehr und kein
Rechnen in die Zukunft. Das Schwert der
Ungewißheit hing beständig über dir bis auf
den heutigen Tag. Du hast des Morgens nicht
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