Full text: 70.1942 (0070)

Mann, Mitte der Fünfziger, vor dem Altar. Er 
nahm keine Notiz vom König, begann vielmehr 
ruhig und sachlich seines Amtes zu walten. Der 
König sah, daß, seiner Vorschrift gemäß, keine 
Lichter brannten, daß aber die leeren Kerzen¬ 
leuchter auf dem Altartisch standen. Er sah es 
mit Mißbehagen und seine schmalen Lippen 
schlosien sich zum Strich. Hinterher auf der 
Kanzel redete der Pastor über das Wort des 
Paulus: „Stehet in der Freiheit, damit Euch 
Christus befreiet hat, und lastet Euch kein Ge- 
wisten machen über Neumonden und Sabbat." 
Er sprach mit Schwung und Begeisterung und 
klagte mit beweglichen Worten über die Not und 
Sklaverei, so die Kirche Christi zu ertragen habe. 
Des Königs Ingrimm wuchs mit jedem Wort, 
das der Pastor sprach, aber er tat bis zum Segen 
die Lippen nicht voneinander. Als die Kirche sich 
zu leeren begann, ließ er dem Pastor sagen, daß 
er in der Sakristei auf ihn warten möge. Er habe 
ihm etliches zu sagen. 
Dort standen sich dann in wenigen Minuten 
die beiden Männer gegenüber, sich mit harten 
Blicken gegenseitig musternd; der Pastor gerade 
und aufrecht in trotziger Haltung, der König auf 
den Stock gestützt, aber den anderen nicht aus 
der Klammer seines Blickes lastend. 
„Er hat im großen und ganzen meinen Be¬ 
fehlen gehorcht", begann Friedrich Wilhelm, 
„aber ich habe wohl gehört, daß er widerspen¬ 
stigen Herzens ist. Ich will Ihm da nichts drein¬ 
reden, denn Er versteht nichts von meinem Ge¬ 
schäft, und also mag Er mich immerhin hasten, 
da Er mich nicht lieben kann. Aber warum hat 
Er die Leuchter auf dem Altar stehen lasten, da 
er doch die Lichter entfernte?" 
Des Pastors Gesicht änderte sich in keinem 
Zug. 
„Ich habe die Lichter nicht entfernen lasten, 
Majestät." 
„Er hat nicht?" 
„Die Lichter wurden gestohlen, Majestät!" 
„So, so. Gestohlen! Immerhin hat Er sie 
dann nicht ersetzt." 
„Nein, Majestät!" 
„So, so! Aber wenn sie nun nicht gestohlen 
worden wären, die Lichter. Hätte Er sie dann 
entfernt?" 
„Nein, Majestät!" 
„Nein? Er hätte sie nicht entfernt? Trotzdem 
ich dergleichen Zeug verboten habe in meinen 
Kirchen?" 
Der Pastor schwieg, aber in seinem Gesicht 
arbeitete es heftig. Der König fühlte, wie es 
ruhiger in ihm wurde. Kälte überkam ihn von 
innen heraus. Ihn fröstelte vor dem Anblick des 
maskenhaft starren Puritanergesichtes vor seinen 
Augen. 
Trotz! dachte er. Trotz! Sie haben harte 
Schädel, die Kerle. Und sie. wollen nicht be¬ 
greifen. Sie wollen nicht. Man muß sie beugen. 
Man muß, die Staatsräson steht auf dem Spiel. 
Plötzlich spielte um seine schmalen Lippen ein 
spöttisches Lächeln. 
„Entwendetes Kircheneigentum ist zu ersetzen", 
sagte er langsam. „Das weiß Er doch." 
Der Pastor sah ihn an, ohne zu antworten. 
„Laß Er neue Kerzen besorgen!" 
Der Pastor, der nicht wußte, wohin das führen 
sollte, dem aber die Ruhe des Königs unheimlich 
dünkte, gab dem harrenden Küster entsprechenden 
Befehl. In weniaen Minuten waren die Kerzen 
zur Stelle. Der König befahl, sie in die Leuchter 
zu stecken, und auch dies geschah. Noch immer 
standen König und Pastor sich gegenüber. Der 
Küster, dem die Angelegenheit verwunderlich vor¬ 
kam, stand harrend an der Tür. 
Der König sah auf. Wieder spielte das spöt¬ 
tische Lächeln um seine Lippen; er wandte sich an 
den Pastor: „Nun entferne Er die Leuchter! 
Schließ Er sie weg!" 
Den Pastor überkam ein Zittern. Helle Röte 
schoß ihm in die Wangen. Er fühlte sich ver¬ 
höhnt. „Majestät..keuchte er, „Maje¬ 
stät ..." 
„Tue Er sie weg! Augenblicklich!" Das klang 
so hart, so unzweideutig, daß der Pastor unter 
dem Bann dieses suggestiven Willens zitternd 
dem Befehl gehorchte. Die Leuchter verschwan¬ 
den im Schrank. Die Tür schloß sich kreischend. 
Mit aufgeriffenen Augen starrte der Küster auf 
die Szene. 
Der König wandte sich zum Gehen. Noch ein« 
mal traf im Schreiten sein Blick den Pastor. Der 
erschien plötzlich gebeuater; das Haar an seinen 
Schläfen schimmerte silbern. Der König preßte 
die Lippen zusammen. 
„Sie wißen es nicht", murmelte er, „Herrgott 
im Himmel, ich bin Dein Diener und fühle mich 
in Deiner Gnade, aber sie wißen nicht, was Du 
mir aufgetragen hast. Laß mich nicht schwach 
werden, Herr, denn dieses Volk kann nur durch 
Zucht zu einem Staate werden." 
Ludwig schlug die Decken um seinen Herrn. 
Weiter rollte der Wagen durch das Land. Und 
die Glocken von den Kirchtürmen läuteten. 
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