Full text: 70.1942 (0070)

„Um das Staatswohl muß ich wißen, Görne." 
Feste, unerschütterliche Überzeugung sprach aus 
diesen Werten. „Die Menschen können es nicht; 
mein ist dies Erbe. Ich will es bewahren! Ver¬ 
steht Er, Görne, warum ich manchmal hart sein 
muß? Warum ich es hinnehmen und dulden muß, 
wenn die Menschen mich einen Schubjack 
nennen?" 
„Die Pastoren fürchten für die Religion", 
wagte der Minister einzuwerfen, dem in dieser 
leidigen Sache ein achtbarer Vergleich am Her¬ 
zen lag. 
Der König winkte ab: „Laß Er meine Pa¬ 
stores in Ruh!" antwortete er. „Es ist ihres Am¬ 
tes, sich um die Religion zu sorgen. Meines Am¬ 
tes ist es, den Hader im Staat zu beseitigen. 
Les' Er, Görne!" 
Es war kein gutes Amt, das der Minister an 
diesem Morgen zu erfüllen hatte. Des Königs 
Erlaß, der die Zeit der kirchlichen Predigt auf 
ein bestimmtes Maß beschränkte, der Leuchter, 
Lichter, Meß- und Chorgewänder in preußischen 
Kirchen ein für allemal abschaffte, „weil dies 
papistischer Aberglaube, der auszurotten ist," 
hatte böses Blut gemacht. Haufenweise liefen 
die Beschwerdeschriften aus allen Teilen des Lan¬ 
des ein. Zwar fügte sich die Mehrheit den könig¬ 
lichen Beschlüßen, aber sie tat es mit hinter¬ 
hältigen Redensarten und ließ an allen Enden 
deutlich durchblicken, daß man sich nur dem ver¬ 
haßten Zwange füge. 
" Der Minister las. Der Pastor Alberti aus 
Ackendorf meinte, was a tempore Reformationis 
zweihundert und mehr Jahre recht gewesen, das 
hätte ferner bis an den Jüngsten Tag recht blei¬ 
ben können. Der Pastor Homeyer aus Irrleben 
wünschte, daß „mit hinlänglichen argumentis 
so auf Gottes Wort gegründet, bewiesen werde, 
daß die besagten unschuldigen christlichen luthe¬ 
rischen Kirchengebräuche Aberglauben und pa- 
pistisches Wesen" seien, der Pastor Lösicke aus 
Woltersdorf versicherte: „Die Dinge, so abge¬ 
schafft werden, sind entweder recht oder unrecht. 
Sind sie unrecht, warum sind sie nicht längst ab¬ 
geschafft, sind sie aber recht und unsündlich, 
warum läßet man sie uns nicht?" 
Und so ging es weiter, eine endlose Litanei von 
Klagen, Vorwürfen, Beschwerden. Der König 
saß still, in sich versunken, in seinem Sessel und 
hörte zu. Als der Minister schließlich schwieg 
und seinen Herrn bekümmert ansah, hob dieser 
den Kopf: „Hält Er mich immer noch für einen 
Christen, Görne?" 
Und wieder versicherte der treue Mann, daß 
er ihn, aller Klagen ungeachtet, nach wie vor da¬ 
für halte. 
Der König sah ihn lange an. „Es ist gut, 
Görne," meinte er. „Und setzt will ich 2hm etwas 
sagen. Der Herrgott hat mir dieses Land und 
diese Krone zu Lehen gegeben; ihm bin ich 
Rechenschaft schuldig. Ich will mit meinem 
Pfunde wuchern. Ich will aus diesem Land einen 
Staat machen. Laß Er anspannen, Görne. Ich 
reise. Ludwig begleitet mich. Ich reise ohne 
'Aufwand. Ich will nach dem Rechten sehen in 
meinem Lande." 
Ein Wink mit der Hand, und der Minister 
war entlasten. Er hätte gern Einspruch erhoben, 
er hätte gern mancherlei zu bedenken empfohlen, 
aber er wußte, daß einmal gefaßte Entschlüße 
seines Herrn nicht umzustoßen waren. Und also 
trat er ab, dem Kammerhusaren die Anweisungen 
für die Reise zu geben. 
Und wie so oft reiste der König durch seine 
Lande, im einfachen, schmucklosen Reisewagen, 
nur von dem treuen Ludwig begleitet; ein un¬ 
ermüdlicher, arbeitsfreudiger Mann, dem außer 
dem Wohl seines Staates nichts am Herzen lag. 
Er traf auf viel Verstocktheit, auf Hartnäckigkeit 
und bösen Willen, und wenn er immer wieder sah, 
wie seinen Befehlen nur gehorcht wurde, weil die 
Menschen um ihre Ämter bangten, fraß sich der 
Grimm in sein Herz und machte ihn gallig und 
bitter. 
Es hatte bisher nichts zu beanstanden gegeben, 
von den bösen und störrischen Mienen abaesehen, 
in die er allüberall blicken mußte, und fast schien 
es so, als solle kein ernstlicher Zwischenfall das 
Gleichmaß der Tage stören, da näherte sich der 
königliche Wagen in dämmernder Sonntag- 
morgenfrühe dem Dorfe Pasten, dosten Pastor 
Braun dem König als ein besonders gefährlicber 
Querulant geschildert worden war. Der König 
befahl zu halten und erst zur Zeit des Kirch¬ 
ganges ins Dorf zu fahren. Da saß der rast¬ 
lose Mann denn auf einsamer Landstraße in 
seiner schmucklosen Kalesche, finster vor sich hin¬ 
grübelnd, Stunde um Stunde. Der Ludwig ver¬ 
trat sich untcrdcsten die Beine. 
Um acht ein halb Uhr war Kirchenbeginn. 
Gerade begannen die Glocken zu läuten, da rum¬ 
pelte der königliche Wagen über das holperige 
Rundfteinpflaster die Dorfstraße herauf. Buben 
und Mädchen, sonntäglich gekleidet, folgten mit 
Johlen und Pfeifen; in wenigen Minuten wußte 
das Dorf, daß der König den Gottesdienst be¬ 
suchen werde. 
Lautlose Stille herrschte, als der hohe Herr 
das übervolle Gotteshaus betrat und sich nach 
seinem Patronatssitz begab. Wenige Minuten 
später stand der Pastor, ein großer und starker
	        
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