„Um das Staatswohl muß ich wißen, Görne."
Feste, unerschütterliche Überzeugung sprach aus
diesen Werten. „Die Menschen können es nicht;
mein ist dies Erbe. Ich will es bewahren! Ver¬
steht Er, Görne, warum ich manchmal hart sein
muß? Warum ich es hinnehmen und dulden muß,
wenn die Menschen mich einen Schubjack
nennen?"
„Die Pastoren fürchten für die Religion",
wagte der Minister einzuwerfen, dem in dieser
leidigen Sache ein achtbarer Vergleich am Her¬
zen lag.
Der König winkte ab: „Laß Er meine Pa¬
stores in Ruh!" antwortete er. „Es ist ihres Am¬
tes, sich um die Religion zu sorgen. Meines Am¬
tes ist es, den Hader im Staat zu beseitigen.
Les' Er, Görne!"
Es war kein gutes Amt, das der Minister an
diesem Morgen zu erfüllen hatte. Des Königs
Erlaß, der die Zeit der kirchlichen Predigt auf
ein bestimmtes Maß beschränkte, der Leuchter,
Lichter, Meß- und Chorgewänder in preußischen
Kirchen ein für allemal abschaffte, „weil dies
papistischer Aberglaube, der auszurotten ist,"
hatte böses Blut gemacht. Haufenweise liefen
die Beschwerdeschriften aus allen Teilen des Lan¬
des ein. Zwar fügte sich die Mehrheit den könig¬
lichen Beschlüßen, aber sie tat es mit hinter¬
hältigen Redensarten und ließ an allen Enden
deutlich durchblicken, daß man sich nur dem ver¬
haßten Zwange füge.
" Der Minister las. Der Pastor Alberti aus
Ackendorf meinte, was a tempore Reformationis
zweihundert und mehr Jahre recht gewesen, das
hätte ferner bis an den Jüngsten Tag recht blei¬
ben können. Der Pastor Homeyer aus Irrleben
wünschte, daß „mit hinlänglichen argumentis
so auf Gottes Wort gegründet, bewiesen werde,
daß die besagten unschuldigen christlichen luthe¬
rischen Kirchengebräuche Aberglauben und pa-
pistisches Wesen" seien, der Pastor Lösicke aus
Woltersdorf versicherte: „Die Dinge, so abge¬
schafft werden, sind entweder recht oder unrecht.
Sind sie unrecht, warum sind sie nicht längst ab¬
geschafft, sind sie aber recht und unsündlich,
warum läßet man sie uns nicht?"
Und so ging es weiter, eine endlose Litanei von
Klagen, Vorwürfen, Beschwerden. Der König
saß still, in sich versunken, in seinem Sessel und
hörte zu. Als der Minister schließlich schwieg
und seinen Herrn bekümmert ansah, hob dieser
den Kopf: „Hält Er mich immer noch für einen
Christen, Görne?"
Und wieder versicherte der treue Mann, daß
er ihn, aller Klagen ungeachtet, nach wie vor da¬
für halte.
Der König sah ihn lange an. „Es ist gut,
Görne," meinte er. „Und setzt will ich 2hm etwas
sagen. Der Herrgott hat mir dieses Land und
diese Krone zu Lehen gegeben; ihm bin ich
Rechenschaft schuldig. Ich will mit meinem
Pfunde wuchern. Ich will aus diesem Land einen
Staat machen. Laß Er anspannen, Görne. Ich
reise. Ludwig begleitet mich. Ich reise ohne
'Aufwand. Ich will nach dem Rechten sehen in
meinem Lande."
Ein Wink mit der Hand, und der Minister
war entlasten. Er hätte gern Einspruch erhoben,
er hätte gern mancherlei zu bedenken empfohlen,
aber er wußte, daß einmal gefaßte Entschlüße
seines Herrn nicht umzustoßen waren. Und also
trat er ab, dem Kammerhusaren die Anweisungen
für die Reise zu geben.
Und wie so oft reiste der König durch seine
Lande, im einfachen, schmucklosen Reisewagen,
nur von dem treuen Ludwig begleitet; ein un¬
ermüdlicher, arbeitsfreudiger Mann, dem außer
dem Wohl seines Staates nichts am Herzen lag.
Er traf auf viel Verstocktheit, auf Hartnäckigkeit
und bösen Willen, und wenn er immer wieder sah,
wie seinen Befehlen nur gehorcht wurde, weil die
Menschen um ihre Ämter bangten, fraß sich der
Grimm in sein Herz und machte ihn gallig und
bitter.
Es hatte bisher nichts zu beanstanden gegeben,
von den bösen und störrischen Mienen abaesehen,
in die er allüberall blicken mußte, und fast schien
es so, als solle kein ernstlicher Zwischenfall das
Gleichmaß der Tage stören, da näherte sich der
königliche Wagen in dämmernder Sonntag-
morgenfrühe dem Dorfe Pasten, dosten Pastor
Braun dem König als ein besonders gefährlicber
Querulant geschildert worden war. Der König
befahl zu halten und erst zur Zeit des Kirch¬
ganges ins Dorf zu fahren. Da saß der rast¬
lose Mann denn auf einsamer Landstraße in
seiner schmucklosen Kalesche, finster vor sich hin¬
grübelnd, Stunde um Stunde. Der Ludwig ver¬
trat sich untcrdcsten die Beine.
Um acht ein halb Uhr war Kirchenbeginn.
Gerade begannen die Glocken zu läuten, da rum¬
pelte der königliche Wagen über das holperige
Rundfteinpflaster die Dorfstraße herauf. Buben
und Mädchen, sonntäglich gekleidet, folgten mit
Johlen und Pfeifen; in wenigen Minuten wußte
das Dorf, daß der König den Gottesdienst be¬
suchen werde.
Lautlose Stille herrschte, als der hohe Herr
das übervolle Gotteshaus betrat und sich nach
seinem Patronatssitz begab. Wenige Minuten
später stand der Pastor, ein großer und starker