Die Kohlen im deutschen Volksglauben
Eine volkskundliche Plauderei von Konrad Hau mann
Die Kohlen im Volksglauben — ja gibt es das
überhaupt? Kohlen werden verbrannt, damit es ein
wärmendes Feuer gibt und damit basta! Nun, so ist es
nicht, vielmehr ist es erstaunlich, in welch vielfältiger Art
die Kohlen vom Volksglauben umwoben sind!
Im Erzgebirge glaubt man, wenn an e'nem vom
Kohlenfeuer genommenen Topf Kohlen hängen bleiben,
daß Besuch zu erwarten sei! Zn Ostpreußen läßt man
Holzkohlen im Wasier schwimmen als Heiratsorakel;
nähern sich die Kohlen einander, so gibt es eine Ver¬
lobung, entfernen sich die Kohlen, so dürfte eine Ent¬
fremdung zu erwarten sein! An den weihnachtlichen
Losnächtcn stellen die Mädchen vier Teller auf den Tisch,
darunter verborgen Erde, Blatt, Geld und Kohle: wer
mit verbundenen Augen nach der Kohle greift, so be¬
deutet das in Schlesien Unglück oder Krankheit. Weit¬
verbreitet ist der Glaube, daß man vom Herd keine
glühenden Kohlen verleihen darf, da sonst die Heren
Gewalt über den Betreffenden erlangen! In Franken
steckt man in die Ecken eines Brautbettes drei Kohlen
und drei Brotstückchen, damit böse Leute dem jungen
Ehepaar nichts anhaben können! Auf der Weide muß
ein ostpreußischer Hirt die Kohlen seines Feuers zu¬
sammenscharren, damit sich die Herde nicht zerstreue!
Im gleichen Gau wird bei der Taufe eines Kindes die
Hebamme drei glühende Kohlen auf eine Art legen und
mit dem Kind darüber schreiten, um das Kind vor allerlei
bösem Zauber zu bewahren.
Auch mit den anderen Iahresfesten stehen die Kohlen
in Verbindung. Bei den kirchlichen Osterfeuern am
Karsamstag werden vorher gesegnete Kohlen glühend
gemacht und damit dann die geweihte Osterkerze ange¬
zündet. Die Kohlen aus diesen Feuern werden mit nach
Hause genommen und als Gewitterschutz aufbewahrt oder
über die Felder gestreut, um die Flur vor Hagel, Mi߬
wachs und Ungeziefer zu bewahren. Zu Peter-Paul
(29. Juni) findet man im Schwarzwald überall Kohlen
in der Erde zur Mitternachtsstunde, weil die beiden
Heiligen unschuldig verbrannt worden seien; diese Kohlen
wehren Krankheit und Gewitter ab. Am Johannistag
finden sich ln der Mittagstunde unter Beifußwurzeln
Kohlen, die sich Glückskindern in Gold verwandeln;
ebenfalls finden sich Kohlen an diesem Tag unter Kletten-
wurzcln, die gegen Krankheiten heilsam sind. Wer die
erste Frühlingsschwalbe im Jahr sieht, findet unter seinem
rechten Fuß Kohle, die das ganze Jahr vor Kopfschmerz
bewahren sollen. Am Tage Jacobi bricht man in
Böhmen einem Ziegenbock das Horn ab und legt es
auf glühende Kohlen, um damit zu räuchern.
Kohlen spielen im alten Zauberwesen eine wichtige
Rolle... Besonders Kohlen von einem durch Blitz
entzündeten Brand. Im Harz wird krankes Federvieh
in einem Sieb über Kohlenfeuer hin- und hergeschwenkt.
Um eben aus dem Ei geschlüpfte Küken gesund zu er¬
halten, werden von ihnen Flaumfedern abgeschnitten und
in die Kohlen geworfen, dadurch die Küken gleichsam
geräuchert und geschützt gegen alles Böse. Gegen Rotlauf
hilft Einreiben, Bestreuen oder Einnehmen von Pulver,
das aus den Kohlen vom Blitz eingeäscherter Häuser
gerieben wurde. In Oldenburg hilft die Kohle gegen
Fieber, die man beim Anblick der ersten Schwalbe fand!
(wenn man welche gefunden hat!) Im Oldenburgischen
hilft es auch gegen Epilepsie, wenn man Igel oder Maul¬
wurf in einem leeren Topf zu Kohle verbrennen läßt und
das Pulver aus dieser Kohle einnimmt. In Böhmen
will man kranke Kinder heilen, wenn man ihnen drei
Kohlen vom Herd zu verschlucken gibt; in der Pfalz
schüttelt man einem Kind mit Ausschlag drei Schippen
voll glühender Kohlen über den Kopf, dazu einen Bann¬
spruch sprechend; beides sind wohl allzu schmerzhafte
Prozeduren, als daß sie allzu häufig angewandt worden
sein mögen! Will man in Böhmen wisien, ob ein Kind
„beschrien" sei, so wirft man Kohlen in gekochtes oder
kaltes Wasier, beim Untersinken der Kohlen ist die Ver¬
hexung erfolgt; auch mit Zaubersprüchen beschriebene
Kohle, oder neun Stück Kohle, wirft man zu gleichem
Zweck ins Wasier, bei Erwachsenen. In Mähren streicht
man gewisie Kräuter auf Kohle und hält junge Gänse
über solche Feuer, damit sie gedeihen. In Thüringen
und Süddeutschland sehen Glückskinder vergrabene
Schätze immer als Kesiel voll glühender Kohlen. Vom
geweihten Osterpalm werden in Süddeutschland so viel
Blätter gepflückt als Familienglieder sind; die Blätter
werden auf glühende Kohlen geworfen und wesien Blatt
zuerst verbrennt, der soll dem Volksglauben nach zuerst
sterben.
Geht man den Gründen nach, die den Kohlen im
Volksglauben solche seltsame Wertschätzung einbringen,
so ist es wohl ihre Verbindung zum Feuer, vielleicht
auch zu Teufel und zur Hexe, die ihnen solche zauber¬
hafte Kräfte verleihen. Feuer entfaltet im alten Zauber
und Glauben reinigende, darum heilsame Kräfte, die
darum wohl auch den Kohlen zugeschrieben werden, zu¬
mal es sich ja oft um glühende Kohlen in diesem
Brauchtum handelt. Im einzelnen sind die Ursachen, die
in den Jahrhunderten, ja vielleicht Jahrtausenden, die
dieser Volksglauben im Ursprung zurückreicht, längst
vergessen, sodaß heute über diesen alten „Aberglauben",
den man aber wohl besser „sinnbildliche Handlungen"
nennt, gelächelt wird, weil man diese Ursachen nicht
mehr kennt. Was freilich nicht hindert, daß die trotzdem
nicht alle werden, die durch solchen Glauben selig werden!
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