Full text: 70.1942 (0070)

Der Kohlenförderung entgegen läuft die Leerwagen- 
und Materialförderung. Die Materialförderung wird 
zwar nach Möglichkeit in die Nachtschicht verlegt, um 
Störungen der produktiven Kohlenförderung zu ver¬ 
meiden, doch bleibt noch reichlich „Sperrgut" auch für 
die Frühschicht über, zumal manche Güter (Wetterlutten, 
Langholz, Rutschen, Schienen u. dergl.) auf Spezial¬ 
wagen zu fördern sind. 
Schließlich erfolgt in — allerdings seltenen Fällen — 
Ouerförderung, zum Beispiel bei der Versorgung der 
Streckenvortriebe, sowie beim Transport von Quer¬ 
schlagsbergen als Versatzgut zu den Kippsiellen ober¬ 
halb von Streben. 
Im ganzen ergibt sich demnach das Bild eines über¬ 
aus verwickelten Förderbetriebes mit zahlreichen „Knik- 
ken", d. h. Stellen, an denen das Fördermittel, die För- 
derrichtung oder Beides wechselt. Jeder solche Knick ist 
nun ein Betriebspunkt mit erhöhter Gefahr, weil sich 
gerade an diesen Stellen die Beschäftigten befinden 
müsien, also dort, wo sich die individuellen Gefahren der 
verschiedenen Fördermittel und -verfahren summieren. 
Das Studium der sedem einzelnen Fördermittel eigen¬ 
tümlichen Gefahren ist sehr wesentlich, weil es die Grund¬ 
lage für die Bekämpfung der Gefahren liefert. 
Bei Schüttelrutschen ereignen sich häufig 
schnittartige Verletzungen dadurch, daß ein Bergmann 
mit dem Unterschenkel an das scharfe Rutschenblech 
stößt. Ferner werden nicht selten Zehen- und Hand¬ 
quetschungen durch die Rutschenrollen beobachtet. Die 
Förderung von Holz in der Rutsche führt öfters dadurch 
zu Unfällen, daß das Holz über die Rutsche hinausragt 
und an Ausbauteile anfaßt, sodaß der Ausbau umge- 
risien wird. Die Antriebstcllen der Rutschen sind deshalb 
gefährlich, weil hier bei gcwisien Bauarten Antriebsteile 
Bewegungen in anderer Richtung ausführen, als die 
getriebene Rutsche, sodaß der Unkundige oder Unvor¬ 
sichtige verletzt werden kann. 
Der Förderwagen ist eine der ergiebigsten Un¬ 
fallquellen im Bergbau. Am gefährlichsten sind die Wa¬ 
gen ohne Puffer, da Finger- und Handquetschungen leicht 
vorkommen können, weil die Wagenkanten dicht aufein¬ 
anderstoßen und naturgemäß die Wagen gerade an den 
Kanten angepackt werden. Sodann ist es in dem rauhen 
Maffenbetrieb des Bergbaus nicht zu vermeiden, daß 
Wagen beschädigt werden. Sind diese nicht so erheblich, 
daß der Wagen in die Werkstatt muß, so läßt man ihn 
in der Förderung, und dann ergeben sich recht häufig 
Verletzungen — Riß- und Schnittwunden — durch die 
schadhaften Wagenbleche. Der Förderwagen ist außer¬ 
dem durch ungünstige Gleichgewichtslage gekennzeichnet; 
der Schwerpunkt liegt bei ihm verhältnismäßig hoch, 
sodaß er leicht kippt. Schließlich ist noch das besondere 
Schmerzenskind aller in der Förderung im Bergbau 
Tätigen zu erwähnen, die Förderwagenkupplung. Trotz 
angestrengter Bemühungen ist es noch immer nicht ge¬ 
lungen, eine einfache, billige und leichte, selbsttätige 
Kupplung zu bauen. Nach wie vor ereignen sich viele 
Unfälle, oft sehr schwerer Art, dadurch, daß ein Berg¬ 
mann von der Seite, statt von unten kuppelt und dabei 
mit der Hand oder gar dem Kopf oder Oberkörper zwi¬ 
schen die zusammenprallenden Wagen gerät. 
Zu diesen Gefahren können noch andere hinzutreten, 
so bei zu engen Strecken die des Überfahrens der Zehen 
oder der Oberkörperquetschung. 
Man darf die Gefährlichkeit des Förderwagens schon 
deswegen nicht unterschätzen, weil er so zahlreich ein¬ 
gesetzt ist. Es wäre an sich erwünscht, daß der Wagen 
überhaupt verschwände, oder doch nur in den geräu¬ 
migen Hauptstrecken der Fördersohle umliefe. Denn 
ganz allgemein ist es wirtschaftlich zu bedauern, daß der 
gleichmäßig mit der Rutsche zufließende Strom der 
Kohle durch das Einfüllen in die Wagen in viele kleine 
Teilchen zerlegt wird; der Förderwagen an sich ist ein 
Fremdkörper sehr sperriger Natur. 
Es ist ohne weiteres klar, daß sich die Einzelgefahren 
von Rutsche und Förderwagen erheblich vergrößern, 
wenn beide Fördermittel zusammentreffen und wenn, wie 
es an allen Ladestellen am Streb der Fall ist, noch För¬ 
derung quer zur Normalrichtung (Vortrieb!) erfolgt. 
Werden dann noch die Leerwagen mit Schlepperhaspel 
beigezogen, so haben wir noch ein drittes Fördermittel. 
Und alles spielt sich auf einem Raum von etwa 30 bis 
40 m Länge, etwa 3 m Breite, und bei künstlicher Be¬ 
leuchtung unter erheblichem Lärm ab. Es kann nicht 
wundernehmen, daß die Ladestellen Brennpunkte der 
Gefahr sind.. 
Wenn auch nicht in gleichem Maße, so doch auch recht 
beachtenswert, summieren sich die Gefahren an den an¬ 
deren „Knickpunktcn der Förderung", am Stapelkopf 
und -fuß, im Aufstellgleis und im Hauptschachtfüllort. 
Unfälle durch Anfahren und Überfahren sind hier häufig, 
weil man das Herankommen des Wagens infolge des 
allgemeinen Lärms überhört. Dazu kommen die be¬ 
kannten Verletzungen beim An- und Abkuppeln. 
Als neue Fördermittel treten hier der Haspel und die 
Lokomotive auf. 
Die Gefahren, die die H a s p e l f ö rd e r un g 
birgt, sind sattsam bekannt, durch die mannigfaltigen Vor¬ 
schriften der Bergpolizeiverordnung erfaßt und daher hier 
nicht noch aufzuzählen. 
Gleiches gilt für die Lokomotivförderung. 
Bei ihr treten zu den Gefahren, die wir schon vom 
Förderwagen he? kennen, noch die des Verbrennungs¬ 
oder Erplosionsmotorbetriebes oder des Starkstroms 
hinzu. Eine gewisse Sonderstellung nimmt die För¬ 
derung mit Preßluftlokomotiven ein, die erheblich weniger 
gefährlich ist. 
Die Hauptschachtförderung ist Gegenstand 
ganz besonderer Aufmerksamkeit aller überwachenden 
Stellen im Bergbau. Zahlreiche Vorschriften sind für 
ihre Erstellung und ihren Betrieb erlassen worden. Man 
darf sagen, daß in technischer Beziehung alle erdenk¬ 
liche Vorsorge gegen Unfälle getroffen ist. 
Es kann nicht Aufgabe dieser Darstellung sein, sämt¬ 
liche möglichen Unfälle aufzuzählen und im einzelnen zu 
erörtern, wie sie vermieden werden könnten. Vielmehr 
kommt es hier darauf an, einmal das Grundsätzliche zu 
untersuchen, nämlich die Frage: Wie muß eine För- 
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