Der Kohlenförderung entgegen läuft die Leerwagen-
und Materialförderung. Die Materialförderung wird
zwar nach Möglichkeit in die Nachtschicht verlegt, um
Störungen der produktiven Kohlenförderung zu ver¬
meiden, doch bleibt noch reichlich „Sperrgut" auch für
die Frühschicht über, zumal manche Güter (Wetterlutten,
Langholz, Rutschen, Schienen u. dergl.) auf Spezial¬
wagen zu fördern sind.
Schließlich erfolgt in — allerdings seltenen Fällen —
Ouerförderung, zum Beispiel bei der Versorgung der
Streckenvortriebe, sowie beim Transport von Quer¬
schlagsbergen als Versatzgut zu den Kippsiellen ober¬
halb von Streben.
Im ganzen ergibt sich demnach das Bild eines über¬
aus verwickelten Förderbetriebes mit zahlreichen „Knik-
ken", d. h. Stellen, an denen das Fördermittel, die För-
derrichtung oder Beides wechselt. Jeder solche Knick ist
nun ein Betriebspunkt mit erhöhter Gefahr, weil sich
gerade an diesen Stellen die Beschäftigten befinden
müsien, also dort, wo sich die individuellen Gefahren der
verschiedenen Fördermittel und -verfahren summieren.
Das Studium der sedem einzelnen Fördermittel eigen¬
tümlichen Gefahren ist sehr wesentlich, weil es die Grund¬
lage für die Bekämpfung der Gefahren liefert.
Bei Schüttelrutschen ereignen sich häufig
schnittartige Verletzungen dadurch, daß ein Bergmann
mit dem Unterschenkel an das scharfe Rutschenblech
stößt. Ferner werden nicht selten Zehen- und Hand¬
quetschungen durch die Rutschenrollen beobachtet. Die
Förderung von Holz in der Rutsche führt öfters dadurch
zu Unfällen, daß das Holz über die Rutsche hinausragt
und an Ausbauteile anfaßt, sodaß der Ausbau umge-
risien wird. Die Antriebstcllen der Rutschen sind deshalb
gefährlich, weil hier bei gcwisien Bauarten Antriebsteile
Bewegungen in anderer Richtung ausführen, als die
getriebene Rutsche, sodaß der Unkundige oder Unvor¬
sichtige verletzt werden kann.
Der Förderwagen ist eine der ergiebigsten Un¬
fallquellen im Bergbau. Am gefährlichsten sind die Wa¬
gen ohne Puffer, da Finger- und Handquetschungen leicht
vorkommen können, weil die Wagenkanten dicht aufein¬
anderstoßen und naturgemäß die Wagen gerade an den
Kanten angepackt werden. Sodann ist es in dem rauhen
Maffenbetrieb des Bergbaus nicht zu vermeiden, daß
Wagen beschädigt werden. Sind diese nicht so erheblich,
daß der Wagen in die Werkstatt muß, so läßt man ihn
in der Förderung, und dann ergeben sich recht häufig
Verletzungen — Riß- und Schnittwunden — durch die
schadhaften Wagenbleche. Der Förderwagen ist außer¬
dem durch ungünstige Gleichgewichtslage gekennzeichnet;
der Schwerpunkt liegt bei ihm verhältnismäßig hoch,
sodaß er leicht kippt. Schließlich ist noch das besondere
Schmerzenskind aller in der Förderung im Bergbau
Tätigen zu erwähnen, die Förderwagenkupplung. Trotz
angestrengter Bemühungen ist es noch immer nicht ge¬
lungen, eine einfache, billige und leichte, selbsttätige
Kupplung zu bauen. Nach wie vor ereignen sich viele
Unfälle, oft sehr schwerer Art, dadurch, daß ein Berg¬
mann von der Seite, statt von unten kuppelt und dabei
mit der Hand oder gar dem Kopf oder Oberkörper zwi¬
schen die zusammenprallenden Wagen gerät.
Zu diesen Gefahren können noch andere hinzutreten,
so bei zu engen Strecken die des Überfahrens der Zehen
oder der Oberkörperquetschung.
Man darf die Gefährlichkeit des Förderwagens schon
deswegen nicht unterschätzen, weil er so zahlreich ein¬
gesetzt ist. Es wäre an sich erwünscht, daß der Wagen
überhaupt verschwände, oder doch nur in den geräu¬
migen Hauptstrecken der Fördersohle umliefe. Denn
ganz allgemein ist es wirtschaftlich zu bedauern, daß der
gleichmäßig mit der Rutsche zufließende Strom der
Kohle durch das Einfüllen in die Wagen in viele kleine
Teilchen zerlegt wird; der Förderwagen an sich ist ein
Fremdkörper sehr sperriger Natur.
Es ist ohne weiteres klar, daß sich die Einzelgefahren
von Rutsche und Förderwagen erheblich vergrößern,
wenn beide Fördermittel zusammentreffen und wenn, wie
es an allen Ladestellen am Streb der Fall ist, noch För¬
derung quer zur Normalrichtung (Vortrieb!) erfolgt.
Werden dann noch die Leerwagen mit Schlepperhaspel
beigezogen, so haben wir noch ein drittes Fördermittel.
Und alles spielt sich auf einem Raum von etwa 30 bis
40 m Länge, etwa 3 m Breite, und bei künstlicher Be¬
leuchtung unter erheblichem Lärm ab. Es kann nicht
wundernehmen, daß die Ladestellen Brennpunkte der
Gefahr sind..
Wenn auch nicht in gleichem Maße, so doch auch recht
beachtenswert, summieren sich die Gefahren an den an¬
deren „Knickpunktcn der Förderung", am Stapelkopf
und -fuß, im Aufstellgleis und im Hauptschachtfüllort.
Unfälle durch Anfahren und Überfahren sind hier häufig,
weil man das Herankommen des Wagens infolge des
allgemeinen Lärms überhört. Dazu kommen die be¬
kannten Verletzungen beim An- und Abkuppeln.
Als neue Fördermittel treten hier der Haspel und die
Lokomotive auf.
Die Gefahren, die die H a s p e l f ö rd e r un g
birgt, sind sattsam bekannt, durch die mannigfaltigen Vor¬
schriften der Bergpolizeiverordnung erfaßt und daher hier
nicht noch aufzuzählen.
Gleiches gilt für die Lokomotivförderung.
Bei ihr treten zu den Gefahren, die wir schon vom
Förderwagen he? kennen, noch die des Verbrennungs¬
oder Erplosionsmotorbetriebes oder des Starkstroms
hinzu. Eine gewisse Sonderstellung nimmt die För¬
derung mit Preßluftlokomotiven ein, die erheblich weniger
gefährlich ist.
Die Hauptschachtförderung ist Gegenstand
ganz besonderer Aufmerksamkeit aller überwachenden
Stellen im Bergbau. Zahlreiche Vorschriften sind für
ihre Erstellung und ihren Betrieb erlassen worden. Man
darf sagen, daß in technischer Beziehung alle erdenk¬
liche Vorsorge gegen Unfälle getroffen ist.
Es kann nicht Aufgabe dieser Darstellung sein, sämt¬
liche möglichen Unfälle aufzuzählen und im einzelnen zu
erörtern, wie sie vermieden werden könnten. Vielmehr
kommt es hier darauf an, einmal das Grundsätzliche zu
untersuchen, nämlich die Frage: Wie muß eine För-
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