Von Kutno bis Compiegne
Von Hauptmann Ritgen, Oberkommando der Wehrmacht
Seit dem 1. September 1939 steht das
deutsche Volk im Entscheidungskampf um seine
Zukunft. 25 Jahre nach Ausbruch des Welt¬
krieges haben, nachdem alles Bemühen, das
Unrecht der Vergangenheit auf friedlichem
Wege zu beseitigen, trotz hoffnungsvoller An¬
sätze vergebens geblieben war, von Neuem die
Waffen zu sprechen begonnen. Vom ersten
Tage des Kampfes an verkündete die Sprache
der deutschen Waffen die unüberwindliche Kraft
und Ueberlegenheit des um seinen Führer ge¬
scharten Volkes, das nach Ueberwindung feines
inneren Haders nur das eine Ziel kennt, sich,
seinen Kindern und Enkeln die Freiheit seines
LebenöraumeS endgültig zu sichern.
Im elften Monat dieses Krieges sprach der
Führer am 19. Juli 1940 vor dem Reichstag
zu seinem Volk. Ueber die Grenzen des deut¬
schen Landes hinaus richteten sich seine Worte
an die, die auch damals — nach den stolzen
Erfolgen der deutschen Wehrmacht, nach der
Niederwerfung Polens, Norwegens, Belgiens,
Hollands und Frankreichs — noch immer den
Kampf haben wollten. Wir wiffen inzwischen,
daß die Absicht des Führers, einen letzten
Appell an die allgemeine Vernunft zu richten,
vergebens war.
Über diesen Versuch hinaus war es der
Wunsch des Führers, in seiner Rede dem deut¬
schen Volke „die Einsicht in die historische Ein¬
maligkeit der Vorgänge zu erschließen sowie den
verdienten Soldaten zu danken". Unter tosen¬
dem Beifall des Hauses nannte er die Generale,
die in den vergangenen 10 Monaten die deut¬
schen Soldaten von Sieg zu Sieg geführt
haben.
Am 1. September 1959 hatten die ersten
deutschen Truppen die Grenze des polnischen
Staates überschritten, der inzwischen verschwun¬
den ist. 18 Tage nur hatte dieser Feldzug ge¬
dauert; nach 18 Tagen war nichts mehr übrig
von der polnischen Armee, deren Führer gro߬
sprecherisch prophezeit hatten, daß sie die sieg¬
reiche Entscheidungsschlacht vor den Toren Ber¬
lins schlagen würden. Was man von den ope¬
rativen Plänen Polens für den Krieg gegen
das Deutsche Reich wußte, zeugt für die un¬
verantwortliche Selbftüberheblichkeit der füh¬
renden Männer dieses Volkes. Man hatte ge¬
glaubt, stark genug zu sein, um den Krieg
offensiv führen zu können, nachdem starke Teile
der deutschen Wehrmacht angesichts der fran¬
zösischen Mobilmachung an der Westgrenze des
Reiches gebunden waren. Nicht allein, daß
man in Danzig einmarschieren wollte, man
plante einen konzentrischen Angriff auf die
durch den berüchtigten Korridor vom Reich ge¬
trennte Provinz Ostpreußen, die man schnell
überwältigen und besetzen zu können glaubte.
Zum Zwecke der Umklammerung Ostpreußens
war sine polnische Armee im Süden dieser
Provinz im Raume nördlich Warschau bereit¬
gestellt; an ihren rechten Flügel angelehnt stand
eine zweite Armee, die Ostpreußen von Osten
her angreifen sollte, während im Korridor, also
am linken Flügel der erstgenannten Armee eine
dritte Säule aufmarschiert war, die nach Er¬
ledigung Danzigs die Provinz Ostpreußen von
Westen her aufrollen sollte. Im Gegensatz zu
der offensiven Aufgabe dieser polnischen Nord¬
armeen, hatte die im Raume Krakau—Lemberg
versammelte polnische Südarmee den Auftrag,
das für eine Kriegführung unentbehrliche In¬
dustriegebiet gegen einen deutschen Angriff zu
schützen. Im Zentrum des ganzen Aufmarsches
stand die zahlenmäßig stärkste polnische Armee
im Raume von Posen. Da diese, setzt wieder
deutsche, Provinz tief in das Gebiet des Reiches
hineinragte, sollte diese Armee eine natürliche
Flankenbedrohung für jeden nördlich oder süd¬
lich des Posener Raumes vorgetragenen deut¬
schen Angriff bilden.
Im Vertrauen auf die in jeder Hinsicht
überlegene Leistungsfähigkeit unserer Truppen
faßte unsere Führung diesen polnischen Plänen
gegenüber den kühnen Entschluß, die Haupt¬
kräfte des Gegners in einer großen UmfafsungS-
schlacht zu vernichten. Die deutschen Streit¬
kräfte wurden zu diesem Zweck in zwei Hee¬
resgruppen gegliedert. Der Gruppe
Süd fiel die Aufgabe zu, mit ihrer mittleren
Armee aus Schlesien heraus in nördlicher Rich¬
tung auf die Weichsel vorzustoßen, während die
beiden Nachbararmeen zunächst die Flanken der
vorgehenden Armee zu decken hatten. Aufgabe
der G r u p p e Nord war es einmal, schnellstens
den Korridor abzuriegeln, dann Danzig zu
sichern und nach Erzwingung des Weichselüber¬
ganges zwischen Bromberg und Graudenz aus
Ostpreußen vorstoßend die Verbindung mit den
vorstürmenden Verbänden der Gruppe Süd zu
suchen. In weitesten Räumen rechnend ging
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