Schmerz des Trauernden kehrt in Madonnen¬
bildern, Mariendarstellungcn und ChrrftuS-
bildern wieder. Szenen aus dem Volksleben mit
den vielen Menschentypen der deutschen Land¬
schaft enthalten die Heiligengeschichten. Alle Emp¬
findungen, die ein Menschenherz bewegen, hat
die Gotik gestaltet. Gewachsen ist alles aus
der Verbindung eines freien Umblicks im Dies¬
seits mit einem aufs höchste gesteigerten Icn-
seitSglauben. Sie zeigt uns, was eine Gemein¬
schaft vermag, wenn sie auf ein Ziel gerichtet
bleibt. Die gebändigte Kraft und fanatische Be-
seffenheit dieser geistigen Führer ist uns in man¬
chem Vildwerk überliefert. Abb. 6.
Auch die völkischen Kräfte wuchsen und ge¬
stalteten sich mit. Ein Walter von der Vogel¬
weide sang die frühesten Liebeslieder in deutscher
Sprache; in der Nähe unserer Heimat, gegen¬
über von Bingen, wo heute Bingerbrück liegt,
schrieb in ihrem Kloster die Äbtissin Hildegard
von Bingen die erste deutsche Naturgeschichte.
Eike von Repgow bringt in seinem „Sachsen¬
spiegel" die erste Sammlung deutschen Volks-
rechtS mit anschaulichen Bilderklärungen und
schließlich entsteht die herrliche Manessische Bil¬
derhandschrift eine Sammlung der Minnesänger
mit den berühmten Bilderseiten, auf denen sie
Abt>. 7: Ein Mensch der Renaissance (1350 — 1650)
Der Bauherr des Rathauses
selbst bei ritterlichem und minnlichem Dienst mit
ihren Wappen auf Pergament gemalt sind.
Die kämpferischen Kräfte allerdings leitet die
Kirche ab in die Kreuzzüge und läßt in den
Wüsten und Gebirgen Kleinasiens und Syriens
die Jugend Europas verbluten um ein Ziel, das
außerhalb unseres Vaterlandes lag.
Mit dem Verfall der Kaisermacht nahm der
deutsche Mensch seine Verteidigung gegen die
Auswüchse des Rittertums (Raubritter!) selbst
in die Hand. Städtebünde (Hansa!) und Zünfte
innerhalb der Städte schufen neue Gemein,
wesen. Die Wiffenschaft wurde von rastlosen
Geistern vorwärts getrieben. Neue Erdteile
(Amerika), neue Seewege wurden entdeckt. Das
alte Weltbild, das die Kirche mit aller Macht und
auch Rücksichtslosigkeit zu halten suchte, zerfiel.
— Die Reformation bricht an, die neue Epoche,
die Renaissance ist das Zeitalter der
Persönlichkeit (1300 — 1500). Man entdeckt
wieder, daß Griechen und Römer bereits vieles
voraus gewußt hatten, man lehnt die Bevor-
mundung der Kirche ab, sprengt die religiöse
und jetzt nur hemmende Gemeinschaft. Religion
wird Selbstverantwortung des einzelnen vor
seinem Gott. Der Künstler schafft als Einzel¬
persönlichkeit, Dürer, Grünewald und Cranach
sind die bekanntesten Namen. Noch wurzeln sie
in der Gotik, schaffen auö einer starken Gläu-
bigkeit, doch die Goldhintergründe der Gotik
160